Beim Tanzen geht es nicht darum, ein Ziel zu erreichen, sondern nur um die Bewegung an sich. Ein Tänzer ist bewegt, wird bewegt, bewegt sich und doch hat diese Bewegung kein Ziel, denn ein Ziel ist ein Ende und ein Ende impliziert zwingend einen (neuen) Anfang, wozu sonst ein Ende? Kein Ende zu haben markiert das Endlose, Unbegreifliche, das der Mensch nur ahnen kann, aber wie gerne möchte er dem Unsagbaren Ausdruck verleihen. Insbesondere, wenn die Freude ihn bewegt und staunen lässt. Frohsinn lässt hüpfen wie ein Frosch und selbiger hängt tatsächlich in den indogermanischen Sprachen mit der Fröhlichkeit zusammen (Frosch bedeutet „Hüpfer“). Hüpfen ist lt. Duden ein »sich (im Tanze) biegen, sich drehen«.
Unter Tanzen versteht man eine harmonische Bewegung, mittels derer zwei Seiten im kindlich-spielerischen Charakter verbunden werden. Hält der Tänzer inne, ist der Tanz vorbei. Wo ist er hin, der Tanz? Nichts davon ist mehr erkennbar. Es braucht einen, der tanzt wie David vor der Bundeslade:
Und es geschah, als die Lade des Bundes des JHWH in die Stadt Davids kam, da schaute Michal, die Tochter Sauls, aus dem Fenster; und sie sah den König David hüpfen und spielen, und sie verachtete ihn in ihrem Herzen.
1. Chr. 15:29
Und Friedrich Weinreb lässt Michal, Davids erste Frau, sagen:
Ich liebte David, den Besieger der Philister. Ich glaubte, er siege durch seine Kraft, seine Strategie, seine List, seine Vernunft, seine Kenntnisse. Ich war ihm treu. Obwohl meinem Vater (Saul) dieser David schon von Anfang an suspekt war. Eigentlich liebe ich ihn noch immer. Aber ich kann ihn nicht verstehen. Mir graut sogar etwas vor ihm, denn er hat seine Kraft nicht von dorther, woher jeder Mensch sie bezieht: aus seinem Mut, seiner Übung, seiner Gewöhnung im Kampf. David hat sie aus einem Bereich, der mir eigentlich zuwider ist. Aber jetzt ist unser Bruch klar zutage getreten, denn es hat sich gezeigt, dass ich, die Tochter des Königs Saul, nicht zu David passe. Er hat keine Würde. Er verkehrt mit Menschen aller Schichten der Gesellschaft, mit jedem, der gerade glaubt, ihn ausnützen zu können. Ist das königlich? Mein Vater wird mir einen anderen Mann geben, einen, der zu einer Königstochter passt. David findet nichts dabei, sich vor der Masse, dem Groben der materiellen Erscheinung, zu entblößen, also seine Gefühle zu zeigen, die Worte zu singen, die Geschichten zu tanzen. Er behauptet, in der Welt der Verborgenheit seien alle Menschen im Bild und Gleichnis Gottes, dort könne es jeder, wer es auch sei, verstehen; dort gebe es das Geheimnis des Dummen, des Kranken, des Verbrechers, wie es auch das Geheimnis des Priesters, des Weisen, des Gelehrten dort gebe. Und was ist dann ein König?, frage ich ihn. Ein König, antwortet er mir, sei hier wie Gott im Himmel, der die ganze Welt liebe und sie mit unermesslicher Gerechtigkeit richte. – Was habe ich hier davon? Nein, den Sohn dieses Davids könnte ich nicht tragen. Aber, wenn es so ist, wie er sagt, dann wird er am Ende doch auch mich dort annehmen. Denn ich liebe ihn noch immer, er ist eigentlich unvergesslich. Ich ärgere mich nur, weil ich das alles nicht verstehe.
Friedrich Weinreb, Biblische Porträts
Auf Hebräisch heißt „tanzen“, raqad, 200+100+4. Das Wort wird in der Bibel meist mit „hüpfen“ übersetzt, allgemein ist es die „Bewegung in fröhlicher Stimmung“, also nicht einem strengen Schema folgend, sondern genau dieses durchbrechend wie ein David, was uns zum ersten Anagramm von raqad überleitet: Als daqar, 4+100+200, bedeutet es tatsächlich durchbohren und auch durchstechen. Daqar schafft einen Ein- und Ausgang, wo solche nicht vorgesehen sind.
Drehen wir die 3 Zeichen noch einmal in eine andere Reihenfolge erhalten wir das Wort qadar, 100+4+200, das den Zustand beschreibt, wenn dem Tänzer – wie man heute sagen könnte – „der Stecker gezogen wird“, sprich, es dunkel und finster wird, man eintrübt, sodass sich der Frohsinn in Trübsal verwandelt, die ein Tanzen unmöglich macht. Eine moderne Übersetzung dieses Wortes ist das Pessimistisch-Sein, man sieht nur noch schwarz. Pessimus ist im Lat. die höchste Steigerungsform des Schlechten (malus). Dieser Zustand ist die pure Lebensverneinung, die so weit geht, dass man sogar einer Freude mit Verachtung begegnet. Der Zahlenwert aller 3 genannten Wörter ist die 304 (4+100+200), die auch der volle Wert von ephes, 1+80+60, ist (111+85+108). Ephes ist „null“, also das Ergebnis davon, wenn man den Wert einer Zahl von derselben Zahl abzieht (Bsp. 13 – 13 = 0), oder etwas menschlicher formuliert: Wenn man sich selbst vollständig streicht und somit selbst entwertet. Doch um welche Streichung geht es hierbei konkret?
Wie reagieren Eltern, wenn sich ihr eigenes Kind selbst entwertet? Wenn es immer wieder sagt: „Ich bin nichts, ich kann nichts, ich bin schlecht.“ Lässt das die Eltern vor Freude hüpfen? Sicher nicht. Diese Selbstentwertung ist nicht gemeint.
David ist dem Namen nach der Geliebte, er fühlt sich geliebt und geborgen, das lässt ihn springen, tanzen und gibt ihm die Kraft, sich selbst in Bezug auf die Beurteilung anderer zu streichen, sich zum Narren zu machen und sich selbst zu erlauben, seine Gefühle frei zu äußern; darin liegt die Kraft durchzubrechen, selbst wenn andere finster dreinschauen – eine Öffnung zu schaffen, wo eigentlich keine ist, einen Ausweg zu eröffnen, wo alles verschlossen ist. Eine Selbststreichung in diesem Sinne ist keine Selbstentwertung des Inneren, sondern ein Zulassen des Ewigen auf Kosten des Vergänglichen. Der Geliebte erkennt, wie wichtig er für die liebende Seite ist, deshalb streicht er nur das, was diese Liebe hindert.
Auf seiner Suche nach Gott denkt der Mensch zu viel, überlegt zu viel, redet zu viel. Selbst wenn er diesen Tanz betrachtet, den wir Schöpfung nennen, grübelt er die ganze Zeit, spricht (zu sich und anderen), überlegt, analysiert und philosophiert. Worte, Worte, Worte. Lärm, Lärm, Lärm. Sei still und sieh dem Tanz zu. Nur hinschauen: ein Stern, eine Blume, ein welkendes Blatt, ein Vogel, ein Stein. Jeder Teil des Tanzes ist geeignet. Schauen, lauschen, riechen, berühren, schmecken. Und sicher wird es nicht lange dauern, bis du IHN siehst, den Tänzer selbst!
Anthony de Mello, Warum der Vogel singt
=================== Autor: Dieter Miunske
Was unsere Wünsche über uns selbst sagen
Es ist offensichtlich, dass alles, was man sich wünscht, von der Natur desjenigen zeugt, der es sich wünscht, und dass jede Tat von der Natur desjenigen zeugt, der sie ausführt. Deshalb ist es für jeden verständigen Menschen angebracht, sich mit den erlesensten Tätigkeiten zu beschäftigen, dies sei ein Zeichen seiner Intelligenz. (Alter jüd. Kommentar)
Diese Tätigkeiten sind derart, dass der Mensch durch sie die Verbindung zwischen Zeitlichem und Ewigem herstellen kann. Mit der Schärfung des Verstandes steigert sich das Interesse an Details, welche auch als „enge Pforte“ dienen können, die den Weg zum Leben eröffnen. Das Leben formt das Unvergängliche im Vergänglichen aus, doch muss der Mensch selbst diesen Zugang, diese Pforte in dem, was ihm als vergänglich gegenübersteht, entdecken. Sie ist weder offensichtlich noch leicht zu finden, die Mehrheit geht darüber hinweg und ahnt noch nicht einmal, welche Wunder in den kleinsten Dingen darauf warten erkannt zu werden.
Die Fragen an uns persönlich sind: Was erweckt unsere Aufmerksamkeit? Worauf reagieren wir? Was es auch sei, es hat mit dem zu tun, was uns beherrscht, was uns von innen her regiert.
In 1. Mose 1:17 heißt es, dass die Lichter des Himmels geschaffen wurden, um „auf die Erde zu leuchten“ (al ha-arez). Es heißt nicht, „um den Himmel zu erleuchten“ oder „Lichter, die zum Himmel hin leuchten“, sondern die Erde und die darauf leben, sollen nicht im Dunkeln umherirren. Niemand soll ohne Orientierung sein. Alle sollen für sich die großen Zusammenhänge sehen und erkennen, so wie auch jeder Sehende am Tag sofort einen Überblick erhält, ohne auf das Licht eines anderen angewiesen zu sein.
Gott braucht diese Lichter nicht, er schenkt sie uns. Die Welt wurde geschaffen, auf dass wir, die wir auf Erden leben, die Wunder Gottes sehen und uns dessen gewahr werden, dass wir niemals alleine sind. Diese Lichter, die uns zum kindlichen Staunen bringen, sollen herrschen. Im Kontext des 4. Schöpfungstages kommt das Wort maschal (40+300+30, herrschen) zum ersten Mal in der Bibel vor und das gleich dreimal. Der Tag soll vom „großen Licht“ beherrscht werden und die Nacht vom „kleinen Licht“. Lesen wir das Wort maschal in der Umkehrung, lautet es l’schem, also „zum Name“, und ein Name gibt auch Auskunft über die Qualität einer Beziehung zwischen dem Namensgeber und dem Namensträger. So wie wir etwas benennen, stehen wir dazu und es deutet darauf hin, ob für uns Licht auf eine Sache oder Angelegenheit fällt oder nicht. Maschal (herrschen) bedeutet im Hebräischen auch die Bestimmung des Charakters. Unsere Wünsche stehen damit ebenso in einem direkten Zusammenhang.
Das Regiment des großen Lichtes bringt das Wachstum desjenigen hervor, das der Wärme und des Lichtes bedarf. Das kleine Licht herrscht über die kühlen flüssigen Elemente wie die Quellen des Wassers und das Meer.
Maschal (40+300+30) ist auch im Wort für Intelligenz enthalten (maskil, 40+300+20+30). Auch im Wort „verbunden“ (m’schulav, 40+300+30+2) wohnen die 3 Zeichen mit dem Zahlenwert 370 (z.B. 2. Mose 26:17). Daran lässt sich erkennen, dass die eigentliche Intelligenz mit Erhellung, Wärme, Wachstum und dem Einfluss auf das Zeitliche zusammenhängt, und nichts mit einem gemessenen IQ zu tun haben muss.
Am 4. Schöpfungstag wird das Herrschen jedoch erst nach dem Leuchten genannt, weshalb gesagt wird: Das Licht beginnt zu herrschen, sobald es sich bewegt, was an der Scheidung zwischen Tag und Nacht erkannt wird (Vers 18). Weg, Licht und Beherrschung gehören somit zusammen.
In der Negation zeigt das Unbeherrscht-Sein dunkle Seiten und dadurch fehlende Orientierung im Menschen. Ihnen fehlt die Kraft, die immer wieder teils durch Kleinigkeiten ausgelösten Aggressionen in ihnen zu beherrschen. Zum Teil verhalten sie sich beim Aufflammen dieser Emotionen wie wilde Tiere rein instinktiv, als ob ihr Verstand ad hoc in den Standby-Modus versetzt worden wäre. So wenig wie das Sonnenlicht hilft, wenn man in einem geschlossenen Raum ohne Fenster ist, so wenig hilft das göttliche Wort, wenn es keine Verbindung zu uns selbst bekommt. Es fehlt schlichtweg die Sicht auf das Ganze, welche eine Gelassenheit mit sich bringen würde.
Die Lichter des 4. Tages „setzt“ Gott an die rakia („Himmelsfeste“). Für „Setzen“ steht im Hebräischen nathan, 50+400+50, es ist das Geben und auch das Schenken. Es fügt sich alles harmonisch ineinander. Diese Gabe Gottes schenkt dem Menschen einen Überblick, den kein irdisches Licht geben kann. Menschliche „Beleuchtungen“ können situativ ein Umfeld erhellen wie eine Lampe, aber die Weite bleibt verborgen. Selbst wenn man das eigene Niveau erhöht oder denkt, ein solches innezuhaben, ist das in dieser Hinsicht nicht mehr als ein Aussichtsturm, von dem man in der Nacht einen Weitblick erwartet.
Die „Sprüche Salomos“ heißen im Original mischleij schlomoh. Auch hier finden wir als Grundwort das mittlerweile bekannte maschal (wovon mischleij stammt). Es bedeutet auch Gleichnis und in den ersten Versen dieses Buches der Sprüche liest man bezeichnenderweise von Kenntnis, Verstand, Weisheit, Besonnenheit und Klugheit, die für jeden Menschen bereitliegen. Wer diese sucht, dem wird im letzten Vers in Spr. 1 gesagt (Vers 33 sinngemäß frei übersetzt):
Wer mir sein Gehör zuwendet, wohnt sicher und ist gelassen, weil er sich außerhalb der Angst befindet, die durch das Böse hervorgebracht wird.
Wenn sich der Mensch als Geschöpf von seinem Schöpfer emanzipiert und seine Ohren abwendet, werden die Lichter, die Gott dem Menschen zur Orientierung und Freude geschenkt hat, sich ebenso emanzipieren und aus der Balance geraten. Sie werden dann auf eine Weise herrschen, die die Bedingungen auf Erden verändern. Hitze, Trockenheit und Überschwemmungen finden sich im Außen, nachdem sie im Inneren aufgetreten sind. Die gottgewollte Intelligenz, die permanent bestrebt ist, lebendige Zusammenhänge zu erkennen, weicht einem trockenen Verstand, der nur noch zeitlich vergänglich argumentiert, und der den Menschen verachtet, indem er ihn auf ein instinktgesteuertes Naturwesen degradiert, das man beliebig manipulieren kann. Nichts erscheint in der Außenwelt, was nicht zuvor innerlich aufgekommen ist. Andererseits kann jeder bei und in sich selbst den Unterschied machen, und so wie die Lichter Tag und Nacht unterscheiden, so können wir uns fragen – um auf den Anfang des Textes zurückzukommen –, was wünschen wir uns wirklich und welcher Gestalt ist unser Handeln? Die Antwort darauf hängt mit unserem inneren Klima zusammen. Dieses lässt sich durch die persönliche Suche nach der engen Pforte und dem Eintritt ins Leben ändern (Matth. 7:14). Allgemeine Bedingungen für das Leben sind das Vorhanden-Sein von Wärme, Sauerstoff, Wasser, Nahrung und Obdach, alles im rechten Maß natürlich. Sollte Gott nicht wissen, dass wir dessen bedürfen? Er schöpft ex nihilo, aus dem Nichts, nicht weil er bedürftig ist, sondern weil er schenken möchte, und wie sich ein Vater über sein Kind freut, das sein Leben annimmt und es nach bestem Wissen und Vermögen gestaltet, so freut sich Gott über jeden Menschen, der das Geschenk des Lebens annimmt und nach dem fragt, der alles um der Freude willen geschaffen hat (s. Ps. 104:31).
Als Menschen sollten wir uns unterstützen, aber nicht soll jemand über einen anderen herrschen. „Wenn das der Fall ist, so ist der Mensch seiner Würde verlustig gegangen und hinabgesunken zum Tier. Fortan wird er vom Tier in sich selbst beherrscht“ (nach Raschi). So wie Gottes Wille das Schenken der Freude, das Erfreuen des Nächsten ist, so wird auch der Mensch im Bild und Gleichnis Gottes den gleichen Wunsch verspüren.
=================== Autor: Dieter Miunske
Wenn der Glaube stirbt, erwacht der Jäger
Wenn die Zwillinge Jakob und Esau 15 Jahre alt sind, stirbt ihr Großvater Abraham. Da erwacht in Esau der Jagdtrieb. Das Ziel der Jagd ist das Fangen und Erlegen des Tieres. Im Tier zeigt sich die Erscheinungsform dieses Lebens, des Körperlichen und das, was dieses Körperliche als Ziel hat. Das Konkrete, die Materie neigt dazu, wegzulaufen und sich zu verstecken. Und so ist der Mensch herausgefordert, es einzufangen. Doch sobald er ein Tier gefangen hat, tauchen neue Tiere auf. Und so geht das endlos weiter. Nimrod ist der große Jäger, der der 4-heit nachjagt, die gerade wegen der 4 immer weglaufen kann (4 Beine). Immer dort, wo man diese Sache, diese Erscheinung, fangen und in seine Gewalt bringen will, ist man der Jäger. Eine solche Jagd bringt ernsthafte Konsequenzen für die Persönlichkeit dessen mit sich, der sich ihr widmet. Man ist dann wie Nimrod, der König von Babel, der König der Welt in diesem Zeitalter oder in der Eigenschaft des Menschen als Jäger. Esaus Weg als Jäger kommt erst, wenn Abraham nicht mehr ist. Die Kraft und der Trieb des Jagens erwachen im Menschen, wenn sein Glauben und sein Vertrauen sterben, wenn nichts mehr davon da ist. „Jetzt nehme ich die Sache selbst in die Hand, ich werde alles daran setzen, die Welt auf meine Art und Weise zu begreifen.“
Weshalb die Mühe, wenn am Ende sowieso alles umsonst war?
Nimrod, der jetzt Amrafel heißt, ist neidisch auf Esau als Jäger. Er erhält den Namen Amrafel, weil alle seine Heere und Menschen beim Turmbau zu Babel umgekommen sind. Amrafel wird in 1. Mose 14:1 erwähnt. Unter Jägern gibt es immer diesen Wettbewerb, der Größte zu sein. An diesem Tag nun, nach dem Tod Abrahams, findet Esau Nimrod auf dem Feld, begleitet von zwei Männern (das Feld steht in der Welt als Jagdgebiet, in dem das Tier gefangen werden kann). Esau versteckt sich indessen und lauert Nimrod auf. Als Nimrod dann an diesen Ort kommt, taucht Esau plötzlich auf, stürzt sich mit seinem Schwert auf Nimrod und schlägt ihm den Kopf ab. Dann kämpft Esau einen großen Krieg mit den beiden Männern, die Nimrod begleiteten. Die beiden erheben ein lautes Geschrei. Esau tötet auch sie. Nimrods Helden, die sich während der Jagd vom Feld entfernt hatten, erkannten die Schreie von Nimrods Begleitern und eilten zu ihnen. Als Esau sie kommen sieht, nimmt er Nimrods Kleider und rennt mit ihnen davon. Er versteckt sich in seinem Haus und ist müde und erschöpft wegen der Angst vor den Verfolgern. Seine nephesch ist erschöpft und er glaubt, dass sein Tod nahe ist. In diesem Zustand kommt er zu Jakob. Und dort sagt er: „Was bedeutet es für mich, ein bechor (Erstgeborener) zu sein, wenn ich jetzt sowieso sterben muss?“
Der Dauerkonflikt des Jägers
Der Jäger in dieser Welt trifft immer auf andere Jäger. Die Menschen gönnen sich gegenseitig den Fang nicht. Das liegt in der Natur der Schöpfung und darin besteht das Wesen der Jagd. Es gibt immer Konflikte, solange das Konzept der Jagd – die Suche nach der Bestimmung des Lebens, um die Welt in ihrer Erscheinung zu fangen – existiert. Ob man es nun Wissenschaft, Politik, Gesellschaft oder Kirche nennt, überall dort, wo es um den Versuch geht, den Sinn des Lebens zu erreichen, indem man dem Messbaren, dem Materiellen, nachjagt, gibt es diesen Hass und Neid. Denn die Jagd bedeutet, dass man Macht anhäufen, reich und angesehen sein will, und dann stört einen die Tatsache, dass es andere gibt, die dieselben Interessen haben. Dann kommen die Gefühle für die Nuancen, man wird sensibel für kleine Unterschiede in diesem Bereich. Man reagiert dann sehr empfindlich, wenn man den Eindruck hat, dass jemand anderes in das eigene Gebiet eindringen könnte oder gar etwas Größeres „fängt“, wodurch man selbst herabgestuft würde. Ob jemand zustimmt, es viel Interesse gibt, das Ansehen steigt, heute könnte man ergänzen: ob die Anzahl der Abonnenten im Internet steigt, es hohe Klickraten gibt oder viele Daumen nach oben gegeben werden, ist für einen Jäger sehr wichtig. Als ob dadurch der Kern einer Sache oder der Kern eines Menschen verändert würde – mitnichten! Nimrod wird aus der Sicht der Welt hoch geachtet, weil er das Aushängeschild für Ansehen und Erfolg ist. Die Masse definiert ihn als einen guten Jäger, obwohl er der Inbegriff des „ra“, des Bösen ist. Nimrod geht den Weg des „ra“, des Bösen, mehr als jeder andere nach der mabul (Sintflut). Nicht genug damit lehrt er die Menschen auch noch die Wege des „ra“. Seine Erfolgsseminare haben großen Zulauf. Nur sein Sohn Mardon übertrifft ihn noch, indem er seine Ziele noch konsequenter verfolgt, völlig gleichgültig, welche Opfer andere dafür bringen müssen. Der Wahn treibt Mardon mit in den Krieg, den sein Vater Nimrod gegen Kedolaomer führt, doch der Sohn bezahlt seine Treue zur Bosheit des Vaters mit seinem Leben. Übertragen bedeutet der Tod des Sohnes, dass Nimrod der Weg in die Zukunft verbaut ist, er wird keine Zukunft haben. Mardon hat die gleichen Buchstaben in seinem Namen wie sein Vater (siehe Grafik). Dieser gleichberechtigte Sohn ist verloren. Nimrod hat keine Zukunft mehr als Nimrod, sein Reich ist am Ende. Vater und Sohn haben das Wort marad, 40+200+4 in sich, das mit rebellieren, empören, auflehnen und „nicht bereit sein, sich zu unterwerfen“ übersetzt wird. Sobald der Mensch sich der Forschung, der Technik und der Wissenschaft im Sinne eines Die-Welt-Beherrschen-Wollens unterwirft, rebelliert er gegen Gott, jagt nach dem Tier, dem Tier, das hoffentlich alles erklären wird und von dem man den Segen erwartet. Nimrod bestimmt das Leben all dieser Jäger. Wenn die menschliche Forschung darein mündet, dass sich die Gelehrten inthronisieren, um andere Menschen zu kontrollieren, dann wird der Schöpfer vom Thron gestoßen – das ist die Rebellion Nimrods.
Zwei Jäger, zwei Weltsichten, die einander nicht ertragen
Doch nun steht auch Esau, der Sohn Abrahams und Isaaks, als Jäger auf dem Feld, doch Esau jagt anders, hat einen ganz anderen Stil. Nimrod duldet diese neue, ganz andere Art von Jägern jedoch nicht. Umgekehrt lauert Esau ebenfalls darauf, diesen König der Jäger zu töten. Die Tötung gelingt, aber jetzt kommt eine weitere Unruhe über Esau. Es ist jetzt die Angst vor Nimrods Helden. Unter einem Helden versteht man hier eine mächtige materielle Konzentration. Etwas in der Welt dringt mit aufgeblasener Wichtigkeit in das eigene Leben ein, man fühlt sich von allen Seiten bedrängt. Dieses ständig drohende Unheil erzeugt in Esau das Gefühl, dass der Tod immer in seiner Nähe ist. Auch wenn es nicht bewusst so erlebt wird, ist dieses Gefühl des Todes im tiefsten Inneren des Menschen als Jäger immer präsent. Der Tod als das Ende des individuellen Lebens, als das Ende des Namens, den man in dieser Welt trägt. Man glaubt eigentlich, dass der Tod wirklich das absolute Ende ist, obwohl der Mund oft ganz anders spricht. Die körperliche Seele, die nephesch des Jägers, damit ist auch der Charakter gemeint, verändert sich mit einer solchen Gesinnung. In diesem Zustand stehen sich Esau und Jakob gegenüber. Esau ist die Seite, die nicht an das Wesentliche glaubt. Schließlich hat man nur die 4 verfolgt. Von der 1 weiß man nichts. Jakob hingegen ist die Seite des Menschen, die an das Wesentliche glaubt. Jakob bleibt bei der 1, bei seinem Kern, er hält am Inneren fest. Er lernt in der Schule von Schem und Ever. Dort lernt er, wie das Wort das Ewige mit dem Diesseitigen verbindet.
Das in sich Ruhen anstatt eines endlosen Kampfes gegen sich selbst
So steht der bechor, 2+20+200, der Erstgeborene, für das Wesentliche. Im Wort für den Erstgeborenen finden wir die 2 auf allen Ebenen, weil er als Erster aus einer anderen Welt in diese Welt durchgebrochen ist. Jemand hat einen Weg aus dem Geheimnis ins Offenbare gefunden und ist damit selbst ein Geheimnis. Zwar findet sich keine 1 bei ihm, aber seine 2 unterliegt einer anderen Ordnung, einer Ordnung, die nicht gegen sich selbst kämpft, sondern ruhig bleibt, weil sie mit dem Geheimnis verbunden ist. Es impliziert, dass man mit dem Kern dann auch den Kreis besitzt. Es ist wie der Baum, der Frucht ist und Frucht macht. Der bechor bekommt deshalb den doppelten Anteil als Erbe. Er bekommt diese Welt und die andere, die Erscheinung und das Wesentliche, das Äußere und das Innere. Der Mensch als Jäger fühlt sich jedoch von den Auswirkungen des Königs der Jäger, von Nimrod, bedroht. Er kann diesem Schatten Nimrods nicht mehr entkommen. Vor ihm bestand alles nur aus der 4 und diese 4 ist nun ständig bedroht. Er hat kein Organ für die 1. Er sieht es nicht und er hört es nicht. Man kann ihm noch so viel darüber erzählen, er hat kein Organ, um es aufzunehmen. Das ist die Bedeutung der Worte Esaus: „Was kümmert mich diese bechorah (Erstgeburt)?“, und das: „Ich werde ohnehin sterben“, so paradox es auch klingt, will eigentlich sagen: „Was habe ich von diesem Leben? Nichts, schließlich geht es um andere Dinge, Dinge, die du als wesentlich bezeichnest, aber das macht mich hier weder klüger noch hilft es mir weiter.“ Der Mensch, der mit der verdrängten Angst vor dem Tod lebt, baut große Städte, schafft Technokratie, Banken und Industrie. Was fällt ihm nicht alles ein, nur um sich seiner Todesangst zu entledigen? Über das Wesentliche sagt er: „Was soll ich damit machen, was nützt es mir, ach, das muss ich nicht haben. Gib mir lieber dieses Leben hier, denn ich habe eine solche Angst vor dem Tod.“
Cham und das tierische Erbe
Die Kleider Nimrods, die Esau mitnimmt, sind die Kleider Adams. Es ist die Umhüllung von or, 70+6+200 (Haut), die Gott Adam gibt. Diese Umhüllung gelangt irgendwann zu Noach, doch dann wird sie von dessen Sohn Cham gestohlen. An diesem Punkt kommt es zu einem „Defekt“, denn dass der Mensch hier im Körper erscheinen kann, hängt mit diesem Diebstahl zusammen, ist eine Art An-sich-Reißen von etwas, das einem eigentlich nicht gehört. Es hängt mit dem Thema der Erbanlagen zusammen. Es handelt sich um einen Fall, eine Verirrung des Menschen, eine Entfernung vom Ursprung, die durch den Begriff Cham erfolgt. Dieser Cham wird dann auch zum „König der Welt“. Ein König bestimmt und beherrscht. In diesem Kontext könnte man eine andere Sicht auf das Thema der genetischen Vererbung bekommen. Was beherrscht uns von dorther? Das Kleid des Menschen ist nicht wirklich der Körper, den wir hier sehen, sondern es ist etwas, das von Gott geschaffen wurde, durch das unser Körper immer die Form annimmt, die er annimmt, doch jetzt ist Cham „dazwischen“. Cham hat den Zahlenwert 48 (8+40), wohingegen sein Vater Noach die 58 (50+8) hat. Man sieht schon in den Namen, dass es mit diesem Sohn zu einer Art Fall ins Zeitliche, Tierische kommt. 48 ist auch die Anzahl der Chromosomen bei den Menschenaffen (Schimpanse, Gorilla und Orang-Utan). Cham stiehlt das Kleid, das an anderer Stelle mit der abgestreiften glatten Haut der Schlange gleichgesetzt wird, beim Verlassen der Arche. Durch Cham geht das Kleid weiter bis zu Nimrod. Der Besitz dieser Hülle Adams ist etwas ganz Besonderes. Denn sie ist es, die Gott dem Menschen gibt, wenn er die Welt von Eden verlassen muss und beginnt in diese Welt hinabzusteigen, so wie es der Schöpfung entspricht. Wer diese Hülle trägt, mit anderen Worten, in dieser Form erscheint, wer diese Gestalt erhalten hat, ist dem Kern am nächsten. Er trägt das Wesen der Erscheinenden. Er kann damit Gutes tun und er kann damit Böses tun. Die Macht, die diese Erscheinung bietet, kann auf diese oder jene Weise genutzt werden. „Ich möchte nicht in seiner Haut stecken“, ist ein Ausruf, der damit zusammenhängt, dass bestimmte Schicksale mit einer bestimmten Form der Verkörperung verbunden sind. Nimrod hat diese Hülle und ist damit nicht nur der König der Welt, sondern auch der König als Jäger.
Die Rückkehr eines guten Schicksals
Wenn Jakob den Segen Isaaks erhält, bekommt er diese Kleidung von Rivkah (Rebekka). Fortan hat Jakob dieses Aussehen Adams, diesen gottgegebenen Körperausdruck. Es ist ganz entscheidend, dass diese Form mit Jakob zur Möglichkeit eines guten Schicksals zurückkehrt, eines Schicksals, das die Rückkehr zu Gott ermöglicht. Man versteht daher die Mitteilung, dass Rivkah ein gilgul von Chawah und Jakob von Adam ist. Gegenüber Esau findet das Gleiche statt, was in Eden mit Adam und Chawah und der Schlange geschah, nur umgekehrt.
Jetzt, da Jakob diese Hülle wieder hat, kann der Weg zu den 12 (Söhnen) beginnen, der Weg zur Menge. Jetzt kann diese Welt kommen und bevölkert werden. Dem eigentlichen Abstieg in diese Welt steht nichts mehr im Weg. Der Mensch kommt von anderswo in diese Welt. Durch Rivkah als Chawah und durch Jakob als Adam bekommt diese Welt einen menschlichen Aspekt. Eine Überlieferung besagt, dass Esau mit Nimrod auch dessen Sohn Chior 8+10+6+200 tötet (Yalkut Schimoni, Remez 110). Nimrod empfängt hier nicht mehr die Lebenden. Er kontrolliert wie ein Schatten die kommenden Jäger, die nun im Zeichen Esaus existieren. Und diese Jäger kennzeichnen in dieser Neuen Welt die Rastlosigkeit, die Unruhe, die Angst vor dem Tod, das Nicht-wirklich-Kennen des Anderen, das nur an Rausch oder Aufregung glauben kann und deshalb Angst vor dem Aufwachen hat. Wenn Esau in diesem Zustand ist, nimmt die andere Seite der Zwillinge, d. h. Jakob, die bechorah von ihm. Esau gibt sie für den Kreislauf dieser Welt auf. Sein Augenmerk ist nur auf Reichtum und Macht in dieser Welt gerichtet. Alles andere hält er für wertlos. Dadurch beschämt er die bechorah. Er achtet sie geringer als das vergängliche Leben und so verliert er auch die Fähigkeit, tragende und bleibende Zusammenhänge zu verstehen. Alles dreht sich bei ihm um den nächsten Fang, der noch größer sein muss als der letzte, der nur einen Moment lang eine gewisse Genugtuung brachte. Man folgt dem Betrug des „beim nächsten Mal werde ich DAS Tier fangen, das alle meine Wünsche befriedigt“. Das durch viel Mühe und Disziplin ergatterte Hoch mündet danach in ein noch größeres Tief, von dem man sich zuvor aufgerafft hatte. Dieses Jagen, dieser Trieb, hängt mit dem Verlust des Vertrauens in das Leben zusammen (Abraham stirbt). Wer zu jagen beginnt, muss sich tatsächlich um alles selbst kümmern, trifft auf andere, denen es genauso geht (ein Jäger begegnet dem anderen Jäger) und mit jedem gelösten Problem tauchen neue Probleme in noch größerer Zahl auf (die Tiere werden mehr).
Die Konfrontation beginnt, wenn man der 1 begegnet
Esau ist dann 15 Jahre alt. Mit der 15 kommt man an eine Schwelle. Das 15. Wort in der Bibel ist das bekannte tehom (Abgrund), das 15. Zeichen eine aleph, die der 1. Buchstabe des Alphabets ist und als Form wie ein Zwilling erscheint, und das erste Wort mit dem Zahlenwert 15 finden wir in 1. Mose 8:5, es ist b’echad, übersetzt „in (der) Eins“. Da es im Text um die Zwillinge Jakob und Esau geht, zeigt sich ein weiterer Zusammenhang in Psalm 15, worin David zu Beginn fragt: mi jagur b’ahalecha? (wer wird in deinem Zelt verweilen?). Es ist Jakob:
Und die Knaben (na’arim) wuchsen heran. Und Esau wurde ein jagdkundiger Mann, ein Mann des Feldes; Jakob aber war ein sanfter Mann, der in den Zelten blieb.
1. Mose 25:27
Wer wie Esau lebt, versteht nichts vom Wesen des Wortes, von der Erlösung, er hat keine Zeit dafür, ist voller Angst und immer auf der Flucht. Das ständige sich um sich selbst Drehen und das Trachten nach Erfolg und Sicherheiten macht müde und schläfrig. Dieser „Erstgeburtshandel“ zwischen Esau und Jakob ist eine Folge der Lebensweise des Menschen. Wer als Esau lebt, verkauft damit automatisch die bechorah, und wer als Jakob lebt, erhält sie, obwohl man doch eine Geburtsreihenfolge nicht ändern kann – oder doch? „Ehe Abraham ward, bin ich!“ (Joh. 8:58) – Was später erscheint, muss nicht jünger sein. Jakob wird das doppelte Erbteil des Erstgeborenen regelrecht in den Schoß geworfen. Jeder Mensch wird als Zwilling im Bilde von Jakob-Esau gesehen. Im Menschen selbst findet das alles statt. Deshalb frage man bei einer Handlung nicht nach dem „was“, sondern nach dem „wie“. Menschen können große Dinge vollbringen, aber „wie“ sind sie dazu gekommen und „wie“ führen sie es aus? Esau sucht die äußere Erfüllung, Jakob die innere. Beides gehört zusammen, jedoch diene das Äußere dem Inneren:
(Isaak zu Esau) und von deinem Schwert wirst du leben, und deinem Bruder (Jakob) wirst du dienen; und es wird geschehen, wenn du umherschweifst, wirst du sein Joch zerbrechen von deinem Hals.
1. Mose 27:40
Im Segen Isaaks bekommt Esau gesagt, dass er nichts von Jakob befürchten muss, wenn er rud, 200+6+4, ist. Das bedeutet zunächst einmal „in Bescheidenheit helfend unterstützen“. Die Wurzel von rud ist jarad, 10+200+4, das Herabsteigen. Wenn das Äußere in unserem Leben diese Stellung unserem Inneren gegenüber hat, es also das Innere von unten her stützt und trägt, wird das Innere sich nicht gegen das Äußere wenden. Überdies wird unsere äußere Seite, das Dienen nicht mehr als Unterwerfung, sondern als Erfüllung empfinden. Emanzipiert sich jedoch der Jäger, wird das Innere – allgemein gesprochen, die Seele – den Körper und den Verstand angreifen und das Leben zur Hölle umgestalten.
Ein Jäger tötet den anderen
Esau, der in seinem Namen das Tun hat, tötet den Jäger, der sich alles unterwerfen will (Nimrod und dessen Sohn), enthauptet ihn, nimmt ihm die Verbindung zur 1, um das Kleid Adams in seinen Besitz zu bringen. Doch beim Trauermahl anlässlich des Todes Abrahams, seines Ahnen, zieht er das „rote Runde“ (Blutkreislauf) seinem doppelten Erbe vor, woraufhin er das Kleid Adams wieder verliert und an seinen Bruder abgeben muss. Das Linsengericht ist die traditionelle Speise auf einer Trauerfeier. Jakob hält nicht an dem „roten Runden“ fest, das auf einer anderen Ebene die Entsprechung für die Durchtrennung des Blutkreislaufes steht. Das Rote wird dann aus seinem Kreislauf befreit. Esau bekommt wegen seiner Affinität zu dem endlos kreisenden Roten den Namen Edom (Roter). Alles dreht sich in dieser Gesinnung im Kreis, eine Antwort erhält man so nicht. Die Verheißung liegt ausschließlich dort, wo man den Durchbruch wagt. Praktisch zeigt es sich auch darin, im Leben nicht alles erzwingen zu wollen, als ob dieses Leben alles wäre und es sonst nichts gäbe. Ein Durchbruch kann auch gerade bedeuten, etwas zu unterlassen. Auf einmal kommt der Segen wie bei Jakob auf eine ganz andere Weise zu uns. Wenngleich Jakob daraufhin flüchten muss, bekommt am Ende jeder seinen Ort. Esau kommt nach se’ir, 300+70+10+200, zurück und Jakob hat fürder nichts mehr zu befürchten (1. Mose 33). Se’ir zählt die 580, womit das Maß der Zeitdauer des Materiellen angegeben wird (58, 580, 5800). Am Ende wird man erkennen, dass Jakob tatsächlich den Segen erhalten hat; alles Irdische musste dazu dienen, dass der Ivri (Jenseitige, der Hebräer in uns) seinen Weg gehen konnte.
Der Artikel basiert auf verschiedenen Texten Friedrich Weinrebs in NL.
=================== Autor: Dieter Miunske
Rakion, der erste Pharao
Einer Legende nach gilt der Gaukler Rakion als Begründer der Pharaonen-Dynastie. Folgende Geschichte wird dazu erzählt:
Zur Zeit, da Abraham nach Kanaan zog, lebte im Lande Schin’ar ein Mann mit Namen Rakion, der war sehr weise und alles Wissens kundig, auch schön von Gestalt, aber überaus arm und hatte nichts. Da ward ihm Angst darum, wie er sich ernähren sollte, und so beschloss er, nach Ägypten zu gehen zum König Aschwerosch, dem Sohne Enams; er wollte dem Ägypterkönig seine Weisheit zeigen, ob er nicht Gnade in seinen Augen fände, dass er ihn groß machte und ihm seinen Unterhalt gäbe. Und Rakion tat also. Da er nach Ägypten kam, befragte er die Leute des Landes um ihren König, und die gaben ihm Kunde über die Gewohnheit des Königs. Denn zu jener Zeit war es Sitte in Ägypten, dass der König nicht aus seinem Schloss herausging und sich dem Volke auch nicht zeigte, außer an einem einzigen Tag im Jahre; alsdann pflegte er sich wieder in seinen Palast zu begeben, um daselbst zu bleiben. An dem Tage aber, da der König herauskam, pflegte er das Volk zu richten, und ein jeder, der ein Anliegen an den König hatte, trat an diesem Tage vor sein Angesicht, und es ward ihm gewährt, worum er bat. Als nun Rakion von diesem Brauch hörte und erfuhr, dass er vor den König nicht kommen könne, ward er sehr bekümmert und verdrossen. Da es Abend wurde, ging er hin und fand eine verfallene Backstube und blieb dort über Nacht verbittert und hungrig, und der Schlaf kam nicht über seine Augen, denn er sann in seinem Herzen immerfort nach, was er in der Stadt tun sollte, bis er den König zu sehen bekäme und wie er sich erhalten könnte. Des Morgens aber stand er auf und ging in der Stadt umher; da führte ihn der Zufall an den Kräuterhändlern vorbei; er befragte sie um ihr Tun, und die erzählten, dass sie sich davon ernährten, dass sie Grünzeug und Samen einkauften und es nachher an die Leute der Stadt verkauften. Da wollte es Rakion auch so machen, um seine Seele zu erhalten, aber er kannte nicht die Sitten des Landes und war wie ein Blinder unter den Menschen. Dennoch ging er hin und holte sich Grünes, dass er es verkaufte und dafür Nahrung bekäme, aber es versammelte sich um ihn loses Gesindel, die verspotteten ihn, nahmen ihm die Kräuter weg und ließen ihm nichts übrig. Da machte er sich bitteren Herzens und seufzend davon, ging wieder nach der Backstube, in der er sich die vorige Nacht aufgehalten hatte, und legte sich auch diese Nacht dort nieder. Und wieder hielt er Rat mit sich, wie er es anstellen sollte, dass er seine Seele errettete, bis er in seiner Weisheit auf einen listigen Einfall kam, den wollte er ausführen. Er stand in der Frühe auf, überlegte weise und ging hin und heuerte 30 Leute an, alles kräftige Männer, freches Volk und wohl bewaffnet; er führte sie bis an die Grabeshöhlen der Ägypter und stellte sie dort auf. Und er befahl ihnen (lügnerisch und anmaßend) und sprach: „Dies ist der Erlass des Königs: Seid tapfer und seid Männer und lasst keinen Toten hier begraben, bis man für ihn 200 Silberlinge bezahlt hat, dann erst darf man ihn beisetzen.“ Also taten die Leute mit den Toten der Ägypter die ganze Zeit. Und als 8 Monate vergangen waren, da hatte Rakion und seine Leute großen Reichtum gesammelt, Gold und Silber, Kristall und Edelsteine ohne Zahl. Da kaufte sich Rakion Pferde, viel Vieh hatte er auch und heuerte noch mehr Leute an und gab auch ihnen Pferde, dass sie bei ihm blieben. Als aber das Jahr vorüber war und die Zeit kam, dass der König sich dem Volke zeigen sollte, versammelten sich alle zu Ägypten und verabredeten miteinander, dem König zu unterbreiten, was Rakion und seine Leute mit ihnen anstellten. Da kam der König an dem bestimmten Tage, und alsbald traten vor ihn alle Ägypter und schrien und sprachen: „Der König lebe ewiglich! Doch was ist es nur, das du deinen Knechten antust, dass du keinen Toten begraben lässt, ohne dass man dafür mit Gold und Silber zahle? Ist je ein solches Ding in der Welt geschehen von der Zeit der ersten Könige, die vor dir waren seit Abram bis auf heute, dass man einen Toten nicht sollte begraben können, als nur um einen Preis? Wohl wissen wir, dass es des Königs Recht ist, von den Lebenden Jahr um Jahr einen Zins zu nehmen; du aber tust nicht allein dies, sondern forderst auch von den Toten, dass sie dir Abgaben leisten. Nun aber, oh König, wir können dies nicht mehr tragen, denn die Stadt ist verderbt darum, du weißt gar nicht wie sehr.“ Da nun der König dies hörte, ergrimmte er sehr, und sein Zorn entbrannte in ihm, denn er wusste nicht um die Sache. Und er sprach: „Wer ist es nur, und wo befindet er sich, dessen Herz sich erdreistete, in meinem Lande zu tun, was ich nicht befohlen hatte? Sagt es mir an!“ Da erzählten ihm die Leute von dem Tun Rakions und seiner Männer. Da fuhr der König wieder auf, und er ließ den Rakion und seine Gesellen vor sich kommen. Rakion aber nahm etwa 1000 Kinder, Knaben und Mägdelein, hüllte sie in Leinen, Seide und gestickte Kleider, setzte sie auf Pferde, tat sie unter die Hand seiner Leute und schickte sie dem König. Er selbst bereitete auch ein Geschenk für den König, das bestand in viel Gold, Silber, Kristall und Edelsteinen, dazu noch prächtige Rosse die Menge, so kam er vor den König und fiel nieder vor ihm zur Erde. Da wunderten sich der König und seine Knechte und alle, die zu Ägypten wohnten, ob der Werke Rakions, und sahen seinen Reichtum und die Gaben, die er dem König darbrachte, und es gefiel dem König wohl und er ward voll Staunens über ihn. Rakion setzte sich vor den König; da fragte ihn der König nach seinem Tun, und Rakion sprach mit viel Weisheit vor dem König und seinen Hofleuten und allen Ägyptern. Da nun der König Rakions kluge Rede angehört hatte, fand dieser Gnade und Wohlgefallen in seinen Augen. Und auch alle Knechte des Königs und die Einwohner Ägyptens, die zugehört hatten, wurden von seiner Weisheit und von der Fertigkeit seiner Rede eingenommen und gewannen ihn sehr lieb von dem Tage an und weiter. Und der König wendete sich zu Rakion und sprach: „Dein Name soll fürder nicht Rakion heißen, sondern Pharao, denn du verstandest es, den Toten einen Zins abzugewinnen.“ Also ward er auch Pharao benannt.
Der König und seine Vögte hatten Rakion lieb wegen seiner Weisheit, und sie hielten Rat mit dem ganzen Volk der Ägypter und schlugen vor, dass man ihn neben Aschwerosch zum 2. König machen sollte. Und es taten also alle Bürger des Landes und ihre Weisen und machten den Rakion neben Aschwerosch zum König über sich und dies wurde zum Gesetz in Ägypten. Rakion aber richtete das Volk alle Tage, Aschwerosch hingegen nur einmal im Jahr, wenn er zum Volke hinausging. Also gewann Rakion mit Gewalt und List die Herrschaft über Ägypten und ließ sich von allen den Zins geben, daher nannte man ihn Pharao. Aber das ägyptische Volk liebte Rakion, den Pharao, sehr und schrieben ein Gesetz nieder, dass fortan jeder König, der über sie und über ihre Nachkommen herrschen werde, Pharao genannt werden sollte. Daher trugen die Könige Ägyptens, die von dem Tage ab und weiter regierten, den Namen Pharao.
(Sepher ha-Jaschar, Lech Lechá)
Rakion, der erste Pharao – eine kurze Deutung
Diese Geschichte aus dem Sepher ha-Jaschar (Midrasch) würde ein ganzes Buch ergeben, wenn man auf alle Punkte eingehen wollte. Zunächst einmal ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Rakion parallel mit Abraham auszieht. Der 1948 als Abram geborene Abraham zieht im Jahr 2023, wenn er 75 ist, zum zweiten Mal nach Kanaan. Er folgt explizit Gottes Geheiß und weiß nicht, was ihn erwarten wird. Rakion hingegen verspricht sich Anerkennung und eine Verbesserung seiner Lebensumstände. Abraham kommt nach Kanaan, dem Ort des Ursprungs, und baut dort einen mizbeach (Altar) für Gott. Ein mizbeach ist dazu da, alles, was der Mensch in dieser Welt erlebt und was ihm begegnet, zu Gott zu bringen und so seine gesamte irdische Existenz an Gott zu binden. Abraham kommt gemeinsam mit Lot, trennt sich aber dann von seinem Neffen. Es ist die Zeit des Weltenwandels. Die Welt Nimrods, der gegen Gott rebelliert, ist zwar noch gültig, aber im Begriff zu enden. Aus ihr fließt nun eine neue Welt hervor, es ist die Welt mizrajims, die nun Gestalt annimmt und deren König Pharao genannt werden wird. Der Ivri aus der Welt von Nimrod, der Gegenspieler Nimrods, wird auch seinen Platz in der Neuen Welt haben. Er wird sich mit mizrajim verbinden und wird durch mizrajim zum ersten Mal nach dem Anfang, nach dem Ur-Anfang, die Welt regieren. Übersetzt: Das Jenseitige kommt auf Gottes Geheiß herab und wird das Diesseitige nicht nur entmachten, sondern auch darüber herrschen. Schon bald, wenn Abraham nach mizrajim kommt, fangen dort seltsame Dinge zu geschehen an und wenn er dort weggeht, nimmt er viel von dort mit. Der Ivri verlässt mizrajim immer als König, obwohl eigentlich Pharao der König mizrajims ist. Sowohl Rakion als auch Abraham beginnen ihre Auswanderung in schin’ar, einem Ort, der für die Interessen Rakions keine Entfaltungsmöglichkeiten bietet.
Schin’ar (Sinear) – jeder Ort hat seine (Un-)Möglichkeiten
Das Land schin‘ar hat den Wert 620 (300+50+70+200). Das ist auch der Wert des Wortes Krone, welche der Mensch für sich sucht. Kether, Krone, schreibt sich 20+400+200. Man kann das Wort auch als „wie das Verhältnis der 2 zur 1“ lesen, darüber hinaus finden wir die beiden Zahlen 400 und 200 später auch als Entgelt für Gräber. Schin‘ar ist eine Ebene, in der das menschliche Genie Material genug findet, seine Einbildung zu einem Turm heranwachsen zu lassen, sodass der Mensch dem Wahn verfällt, er könne sich selbst krönen, indem er den Himmel dem Irdischen unterwirft. Rakion ist sehr weise und weiß auch sehr viel, doch mit dieser Art von Weisheit und Wissen kann man in schin‘ar nichts anfangen. Raubvögel mögen nun mal kein Getreide. In schin‘ar steht der Turmbau im Zentrum des Interesses. Dazu braucht man Techniker und Wissen, das konkret anwendbar ist. Mithilfe dieser Intention möchte man den Himmel stürmen, selbst Gott sein und die Geschicke der Welt in die eigene Hand nehmen. Der Himmel muss der Erde unterworfen werden, man hat es satt von einer willkürlichen Entität gelenkt zu werden. Diese Gesinnung provoziert in allen Fällen ohne Ausnahme früher oder später den Einsturz der Welt, in der man sich befindet. Rakion ist ein Fremdling in schin‘ar, für seine Weisheiten gibt es keine Ohren, deshalb trägt er dort auch diesen Namen, der andeutet, dass er arm, leer und ohne Bedeutung ist. „Was ist das nur für ein Nichtsnutz und Müßiggänger, dieser Rakion!“, ruft man über ihn aus. Schin‘ar ist die Phase im Menschen, wenn er denkt, dass er unentwegt zielorientiert leisten muss, wenn sein Streben darauf gerichtet ist, die Dynamik der Wellen des Lebens perfekt für sich zu nutzen. Rakion begreift, dass er nach mizrajim, in die Welt der Gegensätze, der Welt der endlosen Diskussionen und Debatten gehen muss. Dort wird man ihn und seine Weisheit sicher anerkennen und wertschätzen. Ein großer Mann will er werden, und mizrajim ist wie gemacht dafür, dieses Ziel zu erreichen. Rakions Absicht ist von vornherein sich mit mizrajim dauerhaft zu verbinden, wohingegen Abraham genau das nicht will, was sich auch in der Trennung von Lot ausdrückt.
Derselbe Weg, aber unterschiedliche Beweggründe
Diesen Gegensatz finden wir auch in uns selbst. Eine Seite will sich unbedingt mit der Welt hier verbinden, reich werden und etwas darstellen, während die andere Seite sagt: Ich bin hier auf Gottes Geheiß, aber so richtig weiß ich nicht, was ich hier soll. Rakion in uns sucht die Verwirklichung und Abraham sieht sich nur als Gast, der sich immer dessen bewusst ist, dass er hier keine bleibende Stätte hat, sondern die zukünftige sucht (Hebr. 13:14). Bislang klang es so, als ob Rakion tatsächlich weise wäre, doch das Leere und die Armut, die sich in seinem Namen ausdrücken, treffen auch auf seine Weisheiten zu. Es sind Phrasen ohne Inhalt, ohne Tiefe, rhetorisch zwar beeindruckend, aber zusammengefasst oberflächlich ohne inneren Nährwert. Rakion glaubt, dass er den König von mizrajim mit diesen „Weisheiten“ beeindrucken kann, aber mizrajim ist die Welt der Zeit, der Langsamkeit und des Wartens. Je länger man dort auf einen Termin warten muss, desto wichtiger scheint derjenige zu sein, den man konsultieren möchte. Der König, der Kern, das Wesentliche ist in mizrajim immer verborgen. Nur einmal im gesamten Lebenszyklus kommt der König aus seiner Verborgenheit heraus und ist dann sichtbar. Dieses eine Mal kann der Moment des Todes sein, wenn dem Menschen plötzlich klar wird, dass er seine ganze Lebenszeit vertan hat. Diese Einsicht kann aber auch in das Leben fallen. Es ist ein Durchbrechen des Bekannten, ein plötzliches Einsehen, dass es doch noch etwas ganz anderes gibt, das zwar auch die ganze Zeit über da war, jedoch nicht erkannt werden konnte, weil es verborgen war. Der König dort hat den Namen Aschwerosch, also bis auf die cheth den gleichen Namen wie der König von poras und modaj (Medien und Persien) in der Geschichte von Esther. Er ist der Sohn von Enam. Die Zahl von Aschwerosch ist 817 (1+300+6+10+200+300), das ist auch 19 x 43; das heißt, es ist die 10. Primzahl mal die 16. Primzahl, was die Verbindung zum Vater herstellt. Der Vater Enam, 70+50+40, zählt 160, also die 10 x 16 in den vor uns erscheinenden Zahlen. Die 160 ist die Zahl der gewachsenen Zeit, der Vielheit, die 4 x 40, die sowohl ein Baum, ez, 70+90, als auch das Silber, kesef, 20+60+80, zählen. Auch Kain zählt 160, denn die Zeit ist es noch heute, die ihren Bruder, das Jenseitige, erschlägt, weil sie ihn verachtet und weil er stört. Sobald man mit Zeit rechnet, erhebt man sich über die Ewigkeit, so wie Kain sich über Abel erhob (1. Mose 4:8). Deshalb ist Kain auch der eved adamah, der Diener der Erde, der nur das Prinzip von Ursache und Wirkung kennt, welches sich durch die Wahrnehmung als „Beweis“ darstellt. Auch mizrajim hat diesen Zeitcharakter, den der Zweiheit. Beim Vater (Enam) und beim Sohn (Aschwerosch) ist dieser Widerspruch präsent, aber auf unterschiedliche Art und Weise, denn der Vater zeigt den Bezug zur Zeit, zum Fließenden, in der gewöhnlichen Äußerlichkeit, in der 4 x 40, in der 10 x 16, dem 10-fachen des Ausdruckes der materiellen Vielheit und des Tierischen, also der 16. Aber der Sohn, der König, hat diese 10 x 16 in den Primzahlen (nach der alten Zählweise) in einer Reihenfolge, die unseren sichtbaren Zahlen einen ganz anderen Wert gibt. Denn was genau ist unsere Zahlenfolge, wenn doch nur die Primzahlen die wirklichen sind, die Zahlen, die für sich jeweils eine Einheit bilden. Die Zweiheit zeigt sich hier im Gegensatz zwischen der sichtbaren Reihenfolge und der Reihenfolge einer anderen Ordnung. Der König Achaschwerosch im Buch Esther ist auch der König einer Zweiheit, einer Welt von Gegensätzen. Er, der in seinem Namen die cheth hinzufügt, aber die jod entfernt und wiederum eine waw hinzufügt, hat auch die Gegensätze in seiner Welt, und er glaubt, dass dies die Welt erklärt.
Fragmentierte Erinnerungen – Ägypten und das Brot
Rakion kommt jetzt in diese Neue Welt und sieht, dass er den König dieser Welt nicht ohne weiteres erreichen kann. Es braucht Zeit, d. h. das Leben. Er verbringt die erste Nacht im beth ophim, 2+10+400 1+(6)+80+10+40, dem Haus des Backens. Man denke auch an den sar ophim, den „Herrn des Backens“, dessen Traum Joseph deutet. Rakions Backhaus ist verfallen, dort wird nichts mehr gebacken. Auch der Bäckermeister bei Joseph backt nichts mehr, weil er aufgehängt wird, d. h., die Verbindung des Zubereiters des Brotes mit der Erde wird in mizrajim gelöst. Der Zusammenhang zwischen Himmel und Erde, der sich in der Zubereitung von Brot ausformt, ist in mizrajim nur noch ein Relikt aus der Geschichte. Das Brot existierte noch in einer früheren Welt, aber in der gegenwärtigen Realität, der Welt der Zeit, weiß niemand mehr, wie das Brot zustande kommt. Das versteht man unter der verfallenen Backstube. Im Brot drückt sich das aus, was man im Hebräischen tikkun nennt. Damit meint man ein Heilwerden, ein Verbessern eines Zustandes, eine Erfüllung, denn genau das ist der Weg von der chittah (Weizen) hin zum lechem (Brot). Im Brot sind die getrennten Körner wieder vereint. Davon künden in mizrajim nur noch Ruinen, er gibt nur noch ruinierte Erinnerungen. Diese Ruinen lässt man stehen, sie gehören zu mizrajim, das will sagen, dass tief in uns selbst Erinnerungen in fragmentierter Form davon vorhanden sind, dass es mal etwas gab, das nicht nur den Geruch und den Geschmack der Einheit kannte, sondern auch den Weg, der dazu führte.
Zum Backen gehört das Feuer, das in mizrajim unerwünscht ist, denn Feuer beschleunigt die Zeit (Wasser) oder hebt sie gar auf. Die letzte Stufe des tikkun ist immer das Feuer. In mizrajim ist der Schwerpunkt ein anderer, dort ist das Wasser das wichtigste Element. Alles muss dem Fluss des Wassers und dessen Kanalisierung dienen. Auf Regen hofft man nicht, „wir teilen uns die Zeit schon so ein, dass alles versorgt wird“ (in mizrajim „wässert man mit dem Fuß“, siehe 5. Mose 11:10). In mizrajim wird das Brot gebacken, indem man es in die Sonne legt. Die Sonne bereitet es zu, nicht das von Menschen gemachte Feuer, das Feuer von unten, das durch das Feuer von oben entzündet wird. Aber mizrajim will dieses Feuer nicht, das Ewige im Menschen darf nicht entfacht werden. Dort hat man Angst vor dem Außerzeitlichen, vor dem Außergewöhnlichen, vor dem Revolutionären.
Das Grüne hat keinen Weg – Kaufen und Verkaufen
Um Rakion besser zu verstehen, muss man mit den Umständen dort vertraut sein. Er übernachtet also in einem solchen verfallenen Haus und hofft, dass ihm dort die richtigen Einfälle kommen, außerzeitliche Einfälle („hier wurde doch mal gebacken!“), die ihm eine Lösung für seine Probleme aufzeigen. Doch er wartet vergebens. Dann, wenn es Morgen ist, geht er hinaus in die Welt und trifft die Menschen. Er sieht, dass ihr Leben darin besteht, das Grüne, jerek, 10+200+100 zu kaufen, das Kraut, das wie Gras wächst, um es wieder zu verkaufen. Das Grün kommt fertig aus der Erde hervor, und veranschaulicht, dass es vollständig ist, weil Anfang und Ende sich berührt haben, das Gelb des Ostens und das Blau des Westens. Der Mensch in der Welt von mizrajim empfängt das Grün „fertig“, er kauft es, aber er hat keinen Anteil am Weg. Es kommt zu ihm und er zahlt den Preis dafür, ein Äquivalent, ein Opfer von dem, was er selbst hier ist. Und er gibt es wieder ab. Aus diesem Empfangen und wieder Abgeben besteht sein Leben hier. Das Grüne kommt schon fix und fertig aus einer anderen Welt zu ihm. Es ist hier bei ihm und er gibt es der anderen Welt unverändert genauso grün zurück. Es kommt aus dem Geheimnis und es geht wieder in das Geheimnis. Das ist bei jeder Erscheinung hier so, bei allem, was dem Menschen begegnet. Das ist, von diesem Standpunkt aus gesehen, die Beschäftigung der Menschen in der unteren Welt. Sie sind Kaufleute, die mit dem Grün handeln.
Rakion denkt, er könne damit sein Ziel, den König zu treffen, am Leben erhalten, indem er sich ebenfalls als Kaufmann für Grünes verdingt, und so bezahlt er für das Grün den geforderten Preis, aber er wird von rauen, wilden Männern überfallen, die ihm das Grün wegnehmen. Der Mensch, der den Kern mizrajims sucht (den König), denkt, dass er einen Weg gefunden hat, der ihn an sein Ziel bringen wird, indem er einfach alles so macht, wie die anderen es machen: So macht MAN das! Doch dann kommen Kräfte, mit denen er nicht gerechnet hat und die er nicht besiegen kann. Man kann sie als störende Geister, störende Gedanken oder störende Ereignisse bezeichnen. Andere nennen es „höhere Gewalt“; wie man sie auch nennt, es gibt Einflüsse, die uns mitunter auf „raue Art“ davon abhalten, bestimmte Ziele zu erreichen. Auf diese Mächte hat der Mensch keinen Einfluss. Wenn wir mit solchen „Räubern“ konfrontiert werden, zeigt sich darin Gottes persönliches Interesse an uns. Geh‘ doch nicht den Weg, den alle gehen! Nur weil es so bei den anderen funktioniert, muss es bei dir noch nicht lange nicht funktionieren. Niemand wurde geboren, um sich am Schicksal anderer zu orientieren.
Wenn wir uns den Namen Rakions einmal genauer ansehen, erkennen wir, dass dort auch zwei Zeichen des Wortes „grün“, jarok, enthalten sind. In seinem Namen wird dann auch deutlich, woher seine Idee mit dem Grünen kommt. Der Name Rakion, der Ur-Pharao, steht sprachlich insoweit für die Verbindung von arm, leer und hohl mit dem Grünen, das keinen Weg hat. Er will als oberflächlicher Mensch über das Grüne eine Möglichkeit finden, anständig zu leben. Raue Umstände verleiden ihm diesen Weg, und so kehrt er nach diesem enttäuschenden Tag voller Bitterkeit und Kummer in die Backstube zurück, um auch die zweite Nacht dort zu verbringen. Wir wissen bereits, dass diese Welt nur in ihrer zweiten Hälfte die Entscheidung bringt. Erst die zweite Hälfte kann wieder an den Anfang anknüpfen. In dieser zweiten Nacht hat er einen Einfall, der in eine ganz andere Richtung geht. Am nächsten Morgen heuert er 30 Männer an, stark und angriffslustig. Mit der 30 beginnt die Bewegung; es ist als Buchstabe die lamed, der Ochsenstachel, der das Tier in Bewegung bringt. Und er spricht, frech und ohne Autorisierung, im Namen des Königs zum Volk. Ab sofort muss für jeden Toten eine Gebühr von 200 Silberlingen (kesef) gezahlt werden. Mizrajim kennt zwar den Tribut der Lebenden an den König – alles Lebendige wird für den König geopfert –, für das Leben muss bezahlt werden, doch einen Preis für die Toten kannte man noch nicht.
Der Tod zählt mit
Die Weisheit Rakions, mit der er mizrajim etwas Neues gibt, besteht in der Einführung der Tatsache, dass auch der Tod mitzählt. Abraham zahlt Ephron, dem Chitti, die 400 (Schekel Silber). Rakion verlangt die Hälfte für einen Toten. Es handelt sich hier jedoch nicht um die doppelte Höhle machpela (machpela bedeutet „doppelt“), sondern um die einfache, wie es sich auch in den beiden Zahlen 400 und 200 ausdrückt. Für mizrajim bleibt die andere Hälfte verborgen. Mizrajim ist die Welt der Gegensätze; des Offenbaren und des Verborgenen, aber nicht als harmonische Einheit, sondern als unauflösbarer Gegensatz. Da mizrajim nun auch den Preis für die Toten zahlen muss, besagt dies, dass der Tod eine Bedeutung erhalten hat. Was Rakion mizrajim bringt, was seine Weisheit tatsächlich impliziert, ist die Tatsache, dass der Tod einen Sinn bekommt, dass er Anteil am Leben erhält. Es gibt eine Verbindung zwischen diesem Leben und dem Tod. Der Tod nimmt Gestalt an, zählt, ist nicht länger ein Vergehen. Das ist seine Weisheit und damit gibt er mizrajim einen neuen Aspekt.
Es naht sich der Tag, an dem der König vor dem Volk erscheint, weshalb es in mizrajim zu großer Bewegung kommt. Die Ruhe des Alltags weicht der Unruhe. Große Ereignisse, im Kleinen wie im Großen, kündigen sich oft durch Unruhe, durch Hyperaktivität an, die nicht näher bestimmbar ist, weil es Verbindungen in Bereiche gibt, zu denen der Mensch keinen Zugang hat, aber diese Bereiche drücken sich im Leben des Menschen aus. Rakion hatte durch seine Taten große Reichtümer erworben. Derjenige, der dem Tod einen Sinn und einen Platz in dieser Welt gibt, kann alle Schätze dieser Welt sammeln. Es sind die Schätze, die bleiben, es sind die Früchte, die die Welt dann gibt, die jeder Tote hervorbringt. Nach 8 Monaten hat Rakion sein Ziel schon erreicht. Diese 8 steht als 2 den verbleibenden 4 Monaten, die die 1 repräsentieren, gegenüber (8:4 = 2:1). Mit der Erfüllung der 2 hat Rakion bereits alle Früchte eingesammelt. Beim Übergang in die 1, in der der Zyklus vollendet wird, ist er nicht arm und mittellos, sondern ein reicher Mann. Alle zahlen jetzt für das Leben und für den Tod. In diesem Zustand, am Ende des Zyklus, kommt die Begegnung mit dem König Aschwerosch. Das Bezahlen beim Tod und vor dem Tod ist auch das Opfer, das man bereits in diesem Leben bringt, denn dieses Leben und das Leben nach dem Tod greifen ineinander und man kann dieses Leben hier nicht ohne diese Verbindung zum anderen leben. Rakions Reichtum entsteht, weil er diese Erkenntnis einführt. Sobald ein Mensch die Verbindung zwischen Tod und Leben erkennt, wird Rakion bezahlt. Er wird von der Seite im Menschen bezahlt, die durch ihn auf den Zusammenhang zwischen Tod und Leben aufmerksam gemacht wird. Auf andere Art formuliert könnte man sagen, dass von der vollen Aufmerksamkeit auf das äußere Leben, nun die Hälfte weggenommen wird, die der Tod erhält. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit dem Tod widmen, dann „bezahlen“ wir Rakion. Dieses Bezahlen wird para, 80+200+70, genannt, was sich direkt im Namen Pharao 80+200+70+5 ausdrückt. Das Kaufen und Verkaufen ist sein Wesen. Abgesehen von bezahlen bedeutet para verderben, verwildern, besudeln, Unruhe bringen. Die Zeichen des Wortes zählen 350, also die 3½ in den Hundertern und als Athbasch zählt es 16, die oben schon einmal zum Ausdruck kam. Auch das Wort für Strafe, Katastrophe und Unglück, pur‘anuth 80+200+70+50+6+400, geht auf para zurück. Diese Zahlung und dieser König, der auf dieser Zahlung aufbaut, haben einen sehr starken Einfluss auf die Welt. Rakion legt den Tod als Last auf die Welt. Der Tod drückt durch Rakion auf das Leben, und dieser Druck hängt unmittelbar mit dem Thema „Bezahlung“ zusammen. Auch im historischen mizrajim (Ägypten) kommt der Druck und die Last des Todes zum Ausdruck. Darin sieht man das Wirken Rakions als Pharao. Ihm gegenüber steht Abraham, der als Ivri nichts für den Tod verlangt, aber selbst 400 an Ephron zahlt, wenn er die meorath ha-machpelah kauft (1. Mose 23). Durch die 400, die letztlich für „alles“ steht, verbindet Abraham den Tod mit dem Leben. Dieses Opfer ist ausschließlich für Gott, der der Herr über Tod und Leben ist. Der Ivri opfert weder für das eine noch für das andere separat, denn er sieht und erkennt die Einheit von allem, weshalb er alles an Gott und damit an den Ursprung bindet.
Hohes Denken und tiefes Fallen
Rakion ist eigentlich DER Pharao, der immer als König über die Welt von mizrajim regiert. Aschwerosch lässt sich nur an einem Tag im Jahr von den Lebenden bezahlen, aber Pharao fordert permanent, das ganze Jahr über, seinen Tribut von den Toten. Rakion wird wegen seines Reichtums geliebt, auch wenn dieser Reichtum dadurch kommt, dass gestorben werden muss. Aschwerosch reagiert zunächst ablehnend, doch als er Rakions Reichtum sieht, akzeptiert er ihn. Die Welt wird reich, weil der Tod einbezogen wird und mitzählt – das überzeugt Aschwerosch. Auf uns heute übertragen könnte man sagen, dass der Tod nicht mehr verdrängt, sondern gewinnbringend für das Denken und den daraus resultierenden Einsichten genutzt wird. Rakion ist schließlich ein Weiser, ein Philosoph. Seine Aufgabe ist es nicht, den Menschen zu Gott zu bringen, sondern seine Aufgabe ist es, den Tod in das Leben einzubeziehen. Genau genommen heißt das, den Gegensatz zwischen Leben und Tod erst richtig herzustellen. Der Tod wird zu einer Tatsache des Lebens. Deshalb sieht die Überlieferung in Rakion nicht nur den Philosophen, sondern auch den Magier und den Zauberer. Er gaukelt dem Menschen eine Welt vor, die jedoch nicht die Realität ist. Er zaubert diese Welt herbei, damit er selbst in ihr existieren und Macht über sie erlangen kann. Mizrajim ist deshalb auch der Platz der avodah zarah, des Götzendienstes, der sich dem Worte nach darin äußert, dass man dem äußeren Kreis, dem ser, dient, während man den Kern leugnet.
Der Hunger zwingt zum Aufbruch
In jenem Jahr gibt es eine schwere Hungersnot in Kanaan, wo Abraham lebt. Es bedeutet, dass es keine Botschaft vom Himmel gibt, dass der Mensch im Himmel nur etwas Hartes und Unerbittliches sieht, wofür es sich nicht lohnt, sich zu interessieren. Das sind die Umstände, weshalb Abraham nach mizrajim kommt, dorthin, wo die Weisheit Rakions, der nun Pharao ist, herrscht. Abraham aber kennt die Gesetze mizrajims. Er weiß, dass dort nur die Hülle, das Äußere, zählt und dass das Innere dem Tod geweiht ist. Das heißt, man wird dort gerne seine Frau (Hülle) nehmen, ihn aber töten wollen. Die Welt Rakions ist eine Hülle ohne Inhalt, ein Schein ohne Sein, selbst beim Tod redet man nur von der Hülle, vom Körper und von den Leistungen des Verstorbenen und wie nützlich dieser doch gewesen war, aber von seinem Sehnen, seinen inneren Wünschen, den Bedürfnissen seiner Seele weiß man dort nichts und man interessiert sich auch nicht dafür. Rakion fordert nur 200, nur die Hälfte, weil die andere Seite für ihn nicht relevant ist. Wenn Abraham und Sarah an den Fluss mizrajims kommen, ruhen sie eine gewisse Zeit. Dieser Fluss ist der Lebensspender für das Leben in mizrajim. Fortwährend strömt er in seiner Regelmäßigkeit, fast alles ist vorherseh- und berechenbar. Abraham läuft mit seiner Frau am Fluss mizrajims entlang und sieht sie, wie sie im Wasser dieses Flusses erscheint. Er erkennt, wie sie in der Zeit wahrgenommen werden wird, dass sie auf mizrajim eine große Anziehungskraft ausüben wird. Sie ist genau das, was mizrajim sucht und erwartet, im Gegensatz dazu wird der Kern, der in der Entsprechung für den Mann steht, abgelehnt. Aus diesem Grund soll Sarah nicht als Frau, sondern als Schwester Abrahams auftreten, also als Zweiheit. Wenn das Wesen nicht mit dem übereinstimmt, wie es erscheint, kann mizrajim gut damit umgehen. Schauspielen, „so tun als ob“, der Rummel um eine Person, also die ganze Bandbreite der Heuchelei, stehen dort hoch im Kurs. Auf einen Kern schließt man in mizrajim nur von der äußeren Wahrnehmung her kommend, aber niemals umgekehrt, also dass das Äußere vom Inneren her kommt und an dieses Innere gebunden ist. Abraham steckt Sarah in eine tevah. So bringt er sie nach mizrajim. Aber die tevah wird dort geöffnet und sie bringen das Wunder ihres Inhalts, diese strahlende Erscheinung, vor den Pharao. Dieser will Sarah zu sich nehmen, aber es kommen Schläge über ihn. Er merkt, dass an der Erscheinung doch etwas Besonderes ist. Er weiß noch nicht, dass die Erscheinung, die durch den Ivri gebunden ist, etwas ganz Besonderes ist, etwas aus einer anderen Welt. Auch ist ihm unbekannt, dass diese Erscheinung, anders als die nicht durch den Ivri gebundene, einen ewigen, einen überirdischen Charakter hat. Dann wird er von Gott darauf hingewiesen, dass es eine Verbindung zwischen Sein und Schein gibt und dass man die innere Welt nicht ungestraft von der äußeren Welt trennen kann. Das ist die große Lektion für Rakion, der sein ganzes Weltbild auf das Äußere, auf den Schein, aufbaut und der eine getrennte, entgegengesetzte Dualität von Leben und Tod, von Sein und Schein kennt.
Und dann kommt Abrahams Auszug aus mizrajim. Der Pharao hat bemerkt, dass mit dem Ivri etwas ganz anderes vor sich geht. Er schickt ihn aus seiner Welt von mizrajim hinaus und schenkt ihm große Reichtümer. Mizrajims Eigentum geht in den Besitz des Ivri über, die Materie wird an das Jenseitige gebunden. Überdies gibt Pharao ihm noch seine Tochter Hagar mit. Er sagt ihr: „Es ist besser für dich, eine schiphchah, 300+80+8+5, eine untergeordnete Frau im Haus Abrahams zu sein, als eine große Persönlichkeit in meinem Haus zu sein.“ Das ist der Sinn von Abrahams Ankunft in mizrajim. Mizrajim trifft auf die Welt der Einheit. Und diese Begegnung bringt es mit sich, dass ein großer Teil von mizrajim mitgeht und befreit wird, weil es an das Ewige gebunden wird. Und Abraham nimmt aus dieser Begegnung Hagar mit, die später auch seine Frau wird. Der Hunger in Kanaan lässt den Menschen nach mizrajim, in eine niedere Welt gehen, doch wozu geschieht das? Um die niedere Welt zu befreien – sehr viel aus ihr muss befreit werden, sogar die Tochter Pharaos, die später eine Rolle spielen wird, wird mitgenommen und aus ihrem Umfeld befreit. Das ist das Prinzip der ganzen Schöpfung an sich: Es ist ein Herabkommen um der Begegnung und um der Befreiung willen, denn ohne Begegnung kann keine Befreiung stattfinden.
Die Deutung basiert auf Aussagen Friedrich Weinrebs in dem Werk „bijbel en midrash“.
=================== Autor: Dieter Miunske
Vergleiche dich nicht mit anderen!
Uns wird gesagt, dass das, was sich hier als Gesetz darstellt, dem entspricht, was in der anderen Welt Freiheit genannt wird. Gesetz und Freiheit scheinen also kein Widerspruch zu sein, sondern sind Ausdruck ein und derselben Sache in unterschiedlichen Realitäten. Es stellt sich als Paradoxon dar, als scheinbarer Widerspruch. Einheit und Vielheit sind also auch keine Gegensätze. Das eine antwortet auf das andere. Für Ruhe und Bewegung gilt das Gleiche. Ruhe gibt es in der Einheit, man ist zu Hause, aber das antwortet auf die andere Seite, wo wir von Bewegung sprechen. Das heißt, sobald wir die Dualität wahrnehmen und von zwei Realitäten sprechen, existiert diese Dualität bereits. Diese Dualität zeigt uns, dass man das eine nur an dem anderen messen kann. Denn was würde das Konzept der Ruhe, des Stillstands bedeuten, wenn wir nicht auch das Konzept der Bewegung kennen würden und umgekehrt. Deshalb spricht man auch von Vielheit, denn auf der anderen Seite gibt es die Einheit.
Man vergleiche nicht innerhalb der Vielheit (der erscheinenden Welt) einen Menschen mit dem anderen. Das macht höchstens hochmütig oder wirkt frustrierend oder gar beschämend. Du stehst Gott ganz alleine gegenüber, dein Nächster ebenso und Gott hat es so gewollt, dass dir manche Dinge leichter fallen als anderen und manche Dinge fallen dir schwerer. Das ist weder Strafe noch Privileg, es hat vielmehr mit deinem Schicksal zu tun. Sobald du das Gefühl hast, etwas ausführen zu müssen, einen Weg einzuschlagen, ohne genau zu wissen warum, also „umsonst“, dann folgst du dem, was in dich hineingelegt wurde. Ein Vergleich ist nur in einer einzigen Sache gefragt: Stimmt meine eigene Vielheit (meine Außenwelt, alles, was damit zu tun hat) mit der Einheit in mir überein. Der Mensch ist im Gleichnis Gottes geschaffen und nicht im Gleichnis zu einem anderen Menschen.
Für die Vielheit verwendet die Bibel die Zahl 70 und die Einheit wird wesentlich in der 1 ausgedrückt; zusammen ergeben beide die 71, das ist der Zahlenwert der Taube (Jonah, 10+6+50+5), die den Weg zurückfindet. Eine BeStimmung ist in diesem Zusammenhang nichts anderes als eine ÜbereinStimmung, und das wiederum ist die ursprüngliche Bedeutung des Wortes zedek, 90+4+100, das heute meist mit „gerecht“ übersetzt wird. Ein zadik („Gerechter“) ist der alten Bedeutung nach jemand, der darauf achtet, dass sein Inneres mit seinem Äußeren übereinstimmt, also eine Art Anti-Pharisäer. Das möge sich in unserem Leben erfüllen. „Sich erfüllen“ heißt auf Hebräisch malé, ein Wort, dessen Zeichen ebenfalls 71 ergeben (40+30+1). Wenn man den Psalm 71 liest, dann findet man dieses ganz persönliche Sich-Gegenüberstehen, in der auch die Frage aufkommt: Wer bist du? (Vers 19 am Ende). Und er beginnt mit: „Zu dir, HaSchem, nehme ich Zuflucht: Lass mich niemals beschämt werden!“