Alles soll an seinen Ort

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Zu Beginn eines neuen Jahres fragt man sich, was dieses bringen wird. Sind wir selbst zufrieden mit unserer Situation, der Situation der Menschen um uns herum, dem Ort, an dem wir leben, mit der Welt? Manche versuchen, Ordnung in die Welt zu bringen, während in ihnen selbst das Chaos herrscht. Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern … man möchte meinen: der Ordnung!, doch der zitierte Bibelvers stellt der Unordnung den Frieden gegenüber:

Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens.

1. Kor. 14:33

Um die Frage vom Anfang des Textes noch einmal aufzugreifen: Zufrieden zu sein hängt mit dem Vorhanden-Sein einer Ordnung zusammen. Unordnung lautet im zitierten Vers auf Griechisch ἀκαταστασία (akatastasia). Genau wie im Deutschen beginnt es mit einer Verneinung bzw. Umkehrung (a), gefolgt jedoch vom Verb καθιστημι (kath-ístemi), dem Hinstellen, woraus sich die eigentliche Bedeutung ableitet: unbeständig, unstabil, rastlos, unruhig, wankelmütig, unstet, unentschlossen. Da ist etwas durcheinandergeworfen worden, sodass es keine Stabilität mehr geben kann.

Wenn man jemandem einen Ball zuwirft, dann überwindet der Ball die Distanz, ohne den Boden zu berühren. Das Werfen wird so gedeutet, dass die Dinge von einer Welt gewissermaßen auf unerklärliche Weise (ohne Bodenkontakt) in eine andere Welt gelangen. Im griech. NT wird der Teufel Diabolos genannt, wörtl. ist es der Durcheinander-Werfer (dia + ballo), woraus sich dann das Verleumden ableitet. Woher kann man nun wissen wie die Dinge, die Erlebnisse unseres Lebens zusammengehören? Woran kann man sich orientieren? Für ein zum Frieden-Kommen, einem Zufrieden-Sein, müsste aus dieser Sichtweise das Durcheinander aufgehoben werden. Im isolierten Betrachten des Diesseitigen werden wir jedoch keine echte Ordnung finden. Es ist die Welt des Diabolos, der fortwährend fleißig alles durcheinanderwirft. Und trotzdem ist der Mensch aufgerufen, Ordnung in sein eigenes Leben zu bringen. Wie bei einem Teppich sieht man auf der einen Seite nur Chaos, doch auf der anderen Seite entsteht beim Verknüpfen konträr dazu ein großes Kunstwerk.
Das Leben ordnet sich, wenn es nicht nur einseitig betrachtet wird. Einseitig wäre ein Leben nur horizontal und tierisch ganz im Sinne des hebräischen chaj, 8+10. Das Leben das beide Seiten, die sichtbare und die unsichtbare einbezieht, heißt chajim, 8+10+10+40. Es ist nicht nur die besondere Form des hebräischen Duals, dem wir hier begegnen, sondern auch die Prägung des Schicksals, das typisch für den Menschen ist. Tiere bekommen keinen „nischmath chajim“ (Odem des Lebens > 1. Mose 2:7), sondern nur eine „nephesch chaja“, d.h., dass sie die besondere Form der Auseinandersetzung im Leben nicht kennen, uns aber die eine Seite in all ihren Facetten vor Augen führen. Die andere Seite ist die verborgene Seite, ohne die der Mensch nicht im Bilde Gottes wäre. Im Hebräischen bedeutet Frieden (schalom) ein vollständiges „in Harmonie Sein“, das durch eine Erstattung zustande kommt. Wem erstattet wurde, der kann wiederum dort erstatten, wo seinerseits etwas gefehlt hat. Frieden und Ordnung sind nicht voneinander zu trennen. Wer zum Frieden kommt, erkennt, dass alles seinen Platz, seinen Ort und damit auch seine Berechtigung hat. Eine Holzschüssel auf einem Herd ist brandgefährlich, aber an einem anderen Ort hat sie ihre Bestimmung. Nicht jedes Thema kann man mit jedem Menschen besprechen, doch die berühmte Warnung „die Perlen nicht vor die Säue zu werfen“ hängt sprachlich eher damit zusammen „nicht glänzen zu wollen, um der Heuchelei keinen Nährboden bzw. Halt zu geben“. Die Perlen, das Glänzende, stammen im Hebräischen von der Ecke, der Wende, das Ändern der Richtung (panin / pen), doch das Schwein kann als Sinnbild der Heuchelei die Richtung nur äußerlich ändern, innerlich gibt es bei ihm nur eine Richtung, ist alles eindeutig (Schweine sind keine Wiederkäuer).

Friedrich Weinreb sagt eimal über Harmonie und Ordnung in einem Vortrag:

Die Unfreiheit im Menschen besteht darin, dass er nicht glauben kann, dass er im Bilde Gottes ist. Er leidet, es tut ihm leid, das Leiden ist seine Krankheit. Von der Krankheit aber heißt es, sie sei wie eine Rebellion, die in einer Provinz deines Reiches ausbricht; schicke deine Armee hin, die Heerscharen, damit sie den Aufstand niederschlagen! Das ist die Art eines königlichen Menschen.
In der Bibel wird auch vom »ewed kanaani«, vom kanaanitischen Sklaven gesprochen. Der, heißt es, ist für immer Sklave. Das Kanaanitische ist es, was aus der Welt dir zu beherrschen gegeben wurde. Du sollst es beherrschen, indem du eine Beziehung zu ihm hast. Die ganze Welt um dich herum — Steine, Pflanzen, Tiere —: Du sollst über allem ohne Ausnahme sein, nur dann hat alles seinen Ort. Wenn es seinen Ort hat, den »makom« — das aber ist auch einer der Namen Gottes —, dann herrscht Harmonie, in der jede Farbe, jede Größe und alles in Ordnung ist.
Dann ist die ganze Welt wie ein Kristall: in prachtvoller Harmonie. Photographien von mikroskopischen Vergrößerungen der Kristalle machen uns staunen, welche Ordnung, Schönheit und Harmonie selbst im winzigsten Detail sichtbar werden! Ordnung bedeutet: Es ist eine Art Zwang vorhanden, der alles an seinem Ort hält. Das auch begibt sich, wenn du dich mit der Welt um dich herum verbunden fühlst. Dann »besitzt« du die Welt, weil du alles an seinem Ort lässt. Sei nicht grausam zu Tieren, zerstöre keine Pflanzen, achte, was dir begegnet, denn alles gehört doch zu dir.
Dein Reich, heißt es, habe Ordnung. Als König achte darauf, dass es rein sei, dass Gerechtigkeit in ihm herrsche. König Salomo, der Sohn Davids, habe — wird gesagt — die Sprache der Tiere und Pflanzen verstanden. Tiere und Pflanzen seien darüber so glücklich gewesen, dass der Duft und Wohlgeruch im ganzen Reich unvorstellbar schön gewesen sei. In den Psalmen ist davon die Rede, dass »die Ströme in die Hände klatschen«, das »Feld jubelt« und die »Bäume des Waldes jauchzen«. Es geschieht, weil alles so gern beim Menschen ist, teilhaben will am Menschlichen.
Der Mensch selbst enthält doch auch das Mineralische, das Pflanzliche und das Tierische; all das — nicht im Bilde Gottes seiend — wird der »kanaanitische Sklave« genannt; durch den Menschen aber, durch seine Vollkommenheit, durch sein Königtum gehört es zum Bilde Gottes. Sobald du es aus seinem Ort fallen lässt, wird es teuflisch. Der Satan wird der Engel genannt, der seinen Ort verlassen hat; nun irrt er herum. Bringe ihn an seinen Ort, dann ist die Harmonie wiederhergestellt.

Weinreb, Traumleben III (auch zu finden im Weinreb-Tonarchiv, Nr. 73Z27)