Wenn etwas unrein ist, gilt es oft bis zum Untergang der Sonne als unrein. Dann aber, am Abend, ist es wieder rein. Über 30x kann man es so in der Bibel nachlesen. Die Tage dieser Schöpfung beginnen auch jeweils mit dem Abend. Darin zeigt sich der Sinn der Schöpfung im Zeichen der beth (2), denn die Welt der Zweiheit ist um der Reinigung dessen gekommen, das unrein wurde und in Verwüstung und Verwirrung gefallen ist.
Wenn etwas unrein wird, ist es oft so, dass es bis zur Nacht, bis zum Untergang der Sonne unrein ist, und mit dem Abend wird es wieder rein. So ist es auch mit dem Kommen dieser Nachtwelt, denn diese Welt begann genau mit dem Abend, wie es 6x heißt: „Es wurde Abend und es wurde Morgen …“ Der Abend ist sprachlich im Hebräischen quasi auch die Umkehrung des Bösen: erev, 70+200+2, ist der Abend und liest man das Wort rückwärts, erhält man „b’ra“, 2+200+70, übersetzt „im Bösen“ (ist auch der Name des Königs von Sodom, siehe 1. Mose 14:2). Diesen Charakter wird auch das Ende dieser Welt haben: Verwirrung, Unruhe und Unreinheit, bis die Finsternis eintritt. Dann ist nach menschlichen Erwägungen alles verloren, aber genau das Gegenteil wird der Fall sein, denn die Unreinheit geht nur „ad ha-erev“, bis zum Abend, weiter nicht.
Das Wort für unrein, tamé, 9+40+1, trägt die Rückkehr zur 1 bereits in sich. Die 1 wird erreicht, nachdem die 7 sich in allen Facetten selbst begegnet ist (tam, [9+40] = 7 x 7 = 49). Es wird noch auf die klangliche Verbindung zwischen tam und dam, dem Blut hingewiesen, welches erlöst werden muss. Es geht um das Blut des Tieres, die Seele des Tieres, die nephesch. Auffallend ist, dass diejenigen, die die Unreinheit wegnehmen, dabei selbst unrein werden. Man gibt seine eigene Reinheit bewusst auf, um die Alten Welten zu reinigen. Das ist das Gehen des Weges, man geht durch alle Widrigkeiten hindurch, nimmt hin, nimmt auf sich, weiß nicht bis ins Letzte warum, hofft aber dass es einen Sinn hat, dass diese Welt und der eigene Weg darin von größter Wichtigkeit sind.
Wenn es nach dem ersten Abend zum ersten Mal in der Bibel heißt jehi boker (es werde Morgen), dann sind das das 49. und das 50. Wort im hebräischen Text. Mit dem Erreichen des 49. Wortes kommt ein unumkehrbares „vajehi“ und „es werde!“, welches sich in einem Morgen vollendet.
Wenn im NT zum ersten Mal von einem Abend (im Sinne eines endenden Tages) die Rede ist, geht es auch um eine Art Reinigung, nämlich die Entfernung von Dämonen und unreiner Geister:
Als es aber Abend geworden war, brachten sie viele Besessene zu ihm; und er trieb die Geister aus mit [einem] Wort, und er heilte alle Leidenden,
Matth. 8:16
Für „Heilen“ steht im griech. Text das Wort θεραπεύω (therapeuo) und für „Leidenden“ steht wörtlich „die das Böse haben“. Der Besessene ist wörtlich ein Dämonisierter (daimonizomai). Damit finden wir im NT eine frappierende Übereinstimmung mit dem Wortlaut des ATs (siehe oben). In beiden Fällen geht es um die Umkehrung des Bösen, was nichts anderes ist als die Begrenzung der Entwicklung. Dem Dämonischen werden eigene Körper verwehrt, ihnen bleibt nur die Besetzung anderer Körper, insofern diese über eine „Öffnung“ verfügen. „Am Abend“ kommt es zu einer massiven Kollision der Kräfte, die sich noch weiter vom Ursprung entfernen wollen um die totale Unabhängigkeit in Form eines Supermenschen zu erreichen und derer, die zurückbinden wollen (lat. re-ligare).
Das Dämonische stellt man sich zu schnell und zu leicht im mittelalterlichen Stil als Repräsentanten des primitiven Bösen vor, was es in seinem Wesen sicher auch ist; nach außen jedoch zeigt sich das Dämonische oft durch Erstreben von Perfektion, die eine totale Kontrolle zur alternativlosen Bedingung macht. Das Ziel ist die völlige Loslösung vom Ursprung der Schöpfung im Deckmantel des Fortschrittes und einer vermeintlichen Toleranz auch den absurdesten Entartungen gegenüber, die den Menschen unter das Tier sinken lassen. Dämonen sind nie daran interessiert, dass sich die Menschen untereinander als Menschen wahrnehmen und verbinden, sondern dass jeder dem anderen gegenüber misstrauisch wird und auf Distanz geht, um sich selbst „rein“ zu erhalten. Dazu liefern sie dem Menschen allerlei plausible Erklärungen, die immer auf Kosten anderer sind. Darin liegt jedoch nicht die Aufgabe des Menschen; er soll mit Esther rufen „avadeti avadeti“ (“gehe ich verloren, so gehe ich verloren”, siehe Esther 4:16). Sie wagt den schwierigen Weg ohne zu wissen wie es ausgehen würde. Doch man wage nicht in verrückt heldenhafter Manier, sondern still und bescheiden wie Esther, die zunächst auch von der Idee umschmeichelt wird, ihre Vorzugsstellung am Hof in erster Linie für sich zu nutzen, ohne Risiko versteht sich. Mordochai gibt ihr zu bedenken, dass die Errettung so oder so kommen wird, wenn sie aber aus Feigheit schweigt und ihre Stellung nicht zum Wohle anderer einsetzt, wird sie selbst keinen Teil an der Errettung haben und umkommen.
So ist unser Lebensweg immer wieder neu in dieser Hinsicht charakterisiert, wessen Wohl wir am höchsten bewerten. Zum Abend hin verliert sich der Weitblick, das Wissen um die größeren Zusammenhänge, vielmehr geht es um das Näherrücken, das Einkehren und das zur Ruhe Kommen. Das Unreine hat im biblischen Wortlaut nichts mit einer mangelnden Hygiene oder sonstigen biologischen Aspekten zu tun, sondern bezieht sich auf den av ha-tuma, den Vater der Unreinheit, das ist der Tod. Und der hat mit Perioden und Zyklen zu tun, mit Zeiten, die kommen und gehen. Unrein kommt man nicht in den Tempel – solange man den Tod sieht und darauf hinweist, erfährt man nicht den Sinn des eigenen Lebens, man kommt nicht ins Allerheiligste und erhält somit auch keine Antworten aus dem Verborgenen, die den Menschen sättigen und zum Frieden bringen.
Dass mit dem Abend die Unreinheit aufgehoben wird, zeigt, dass es in dieser Welt in erster Linie nicht um Wissen geht, sondern um Beziehung. Bei dieser Beziehung ist die Stimme, das Wort, viel wichtiger als das Sehen. Wie oben in Matth. 8:16 zitiert, weichen die unreinen Geister nicht durch Erklären und Beweise, sondern durch das gesprochene Wort, das von „dort“, vom Himmel gesprochen wird, wo die Gegensätze auf eine hier unverständliche Art und Weise eine Einheit bilden. Von dorther soll der Mensch sprechen, soll immer imstande sein, die Gegenseite zur Vervollständigung des Mangelnden aufzuzeigen, doch dazu muss der Mensch sein „politeuma“ (Bürgerrecht) im Himmel haben (siehe Phil. 3:20). Von dorther wird alles unterworfen, nichts vermag etwas dagegen auszurichten (ebd.).
Basiert auf Aussagen F. Weinrebs (handschriftl. Notizen / NL)