Friedrich Weinreb in Die Freuden Hiobs
Das Sterben als physischer Tod ist im Leben des Menschen nur das Verlassen einer Lebensphase, in der man nur eine Seite der Alternative kennt, alles andere abwehrt. Dieses Phänomen, sagt man, erlebt der Mensch auch eigentlich schon dort, wo er einatmet und ausatmet. Jedes Ausatmen ist wie ein Tod, bedeutet, jetzt bist du frei, erlöst. Dein Körper also zeigt es schon. Dennoch kann man in der Gefangenschaft weiterleben, wie das Ein- und Ausatmen zeigt, das von selbst nebenher funktioniert, neben dem Menschen, der sich nie klar wird, dass er gefangen ist.
Denn das Schlimme bei der ägyptischen Knechtschaft ist, dass man sich dort sogar ganz wohlfühlt und Angst davor hat, anderes zu erleben. Es ist die Angst der Ägypter, dieses biblische Israel freizulassen, die Angst auch des Körpers, dass er einmal sterben könnte. So wird Israel als das Göttliche im Menschen gedeutet, die Seele, die frei ist, die das ganze Weltall in allen Zeiten kennt und sich nach dieser Freiheit zurücksehnt. Aber wie der verlorene Sohn, der lange Zeit gar nicht weiß, dass er herumirrt, so, heißt es, ist auch der Mensch in der Knechtschaft; er fühlt sich da eigentlich wohl und hat Angst, sie zu verlassen. Wenn er nun befreit ist und dieser Weg offen steht, dann geschieht dem Menschen etwas überwältigend Neues. Das ist es, wonach sich Hiob so sehr sehnt. Er weiß aber nicht, wie es der Mensch auch nicht weiß, was eigentlich mit ihm ist. Denn die Befreiung aus Ägypten ist, wie es der biblische Text darstellt, keine Befreiung, die durch eine menschliche Leistung zustande kommt. Der Mensch kann sich das Freikommen nicht erarbeiten – das ist der größte Irrtum –, denn Erlösung ist ein Geschenk. Und Erlösung erwartet vom Menschen eine Offenständigkeit, sein Seufzen darüber, dass er so beschränkt ist; dieses Sich-ungut-fühlen ist, kann man sagen, ein Zeichen, dass Erlösung herannaht.