Denn wie kann man annehmen, das Böse sei unbesiegbar? Das Böse kann doch nur während einer gewissen Phase existieren, die Zeit fließt doch. Das ist eben das Ärgernis des Bösen. Es möchte sich ausdehnen, mehr Zeit für sich beanspruchen, mehr, mehr. Es dehnt die Zeit in die Länge, auf Kosten einer Höhendimension, auf Kosten einer Sehnsucht zum Verborgenen. Es dehnt sich zur Erscheinungsform der Schlange. Sie kriecht auf dem Boden, frisst Staub, um zumindest noch etwas länger auszusehen. Sogar kleine Schlangen zeigen eine Ausdehnung. Im Verhältnis zu ihrer Höhe sind sie immer lang. Aber auch der Länge einer Schlange sind Grenzen gesetzt. Das Böse muss ein Ende haben.
Deshalb muss das Böse immer versuchen, den Eindruck von Dauer zu erwecken. Das 1000-jährige Reich von Hitler. Man lügt wie selbstverständlich. Die Lüge will eine andere Wirklichkeit suggerieren. Man besticht, weil es sonst nicht geht, zu lange geht, bis man sich durchsetzt. Man pflückt jeden Moment, um sich Glück zu suggerieren, und man weiß, dass es nur Pseudo-Glück ist, gelogenes Glück.
Wer das Böse in seinen Manifestationen sieht, muss doch schon überzeugt sein, dass es nie lange halten kann. Und dazu kommt das Schreckliche, dass das Böse seine Opfer als solche verliert. Der vom Bösen Umgebrachte hat sich ihm entzogen. Wo ist das Opfer geblieben? Weg, fort. Wäre es nur so! Es bleibt als Erinnerung, als Gewissen weiter leben. Das Blut am Schwert ist nicht wegzuwaschen. Das Opfer drückt immer mehr, zwingt den Schlächter, sich zu betäuben. Weil er nur das Diesseitige zählen kann, ist er das Opfer nie los. Bewusst schon, aber desto weniger unbewusst.
Der Umgebrachte ist in der Ewigkeit. Von dort her begegnet er den in der Zeit Lebenden als immerwährende Konfrontation mit einer Welt, die er nicht kennt, vor der er Angst hat, vor der er sich fürchtet.
Das Böse bringt sich selber um. Nur Geduld, du, der du vom Ewigen weißt. Die Schlange hat ein Ende, auch wenn sie sich in den Schwanz beißt. Ein dummes Spiel: Unendlichkeit. Ach was, spiele nur! Du hast eben keine Ahnung von der Dimension, die sich von der Erde, vom Staube erhebt und in den Himmel weist, in das Unsichtbare. Voll ist es dort. Aber du im Staub weißt nichts davon.
Die aufgerichtete Schlange ist eine Antwort an das Böse. Der Lauf der Zeit wird in eine neue Dimension gebracht. So wird die Zeit zum Segen.
Der Schlange den Kopf zertreten, sonst beißt sie in meine Ferse, nimmt sie mir das Leben in dieser Welt. Das Haupt der Schlange, das Prinzip des Bösen. Das soll man zertreten. Selber, wo doch jeder die ganze Welt in sich enthält, sich keinem Rausch hingeben. Weder Rausch der Geschäftemacherei, noch Rausch des Studiums, noch Rausch der Religion. Aufrecht bleiben, nicht das Bedürfnis, auf der Erde herumzukriechen.
– Weinreb, Das Wunder vom Ende der Kriege, Seite 371 ff