Demut gibt sich dem Glauben hin

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Friedrich Weinreb in Wort, Sprache und Sprechen

Wie kann man eigentlich das, was man gehört und erlebt hat, in den Alltag umsetzen? Man kann nicht immer gescheite oder fromme Bücher lesen oder inspirierende Vorträge hören. Man hat Umgang mit Leuten aller Art, hat seinen Beruf, ist mit der Materie oder mit Zahlen oder im Handel beschäftigt, muß sich ständig für dies oder jenes entscheiden, agieren und reagieren – wo gibt es die Beziehung zu all dem und wie schaltet man da das Geheimnis ein?
Oft stellt sich uns, wenn auch nicht immer ausgesprochen, die Frage nach dem Sinn des Lebens, dem Sinn der Welt. Es kommt dann vielleicht zu philosophischen oder religiösen Betrachtungen über den Sinn; aber wer kann sie so in seinen Alltag einbringen, daß sie wirklich auch Quelle und Nahrung werden für das Tun? In der Welt des Zeiträumlichen ist das Tun entscheidend, deshalb wird sie auch »olam assia« genannt, die Welt des Tuns. Wie ist nun die Beziehung zwischen dem Geheimnis und dem Tun, wie verhält sich der Mensch, der tut? Es geht doch um die Verbindung vom Alltag, vom Beruf oder Studium zu all dem, was man so gern hört und liest. Leider begegnet man dem selten, weil es irgendwie auch verborgen ist oder weil einem die Wellenlänge fehlt. Wir müssen uns tatsächlich fragen, wo wir im Tun des Menschen das wiederfinden können, was wir als Grundlage der Welt erkennen, nämlich dieses Geschenk dort im Urgrund, wo der Mensch sogar das Nichts auf sich nimmt, damit anderes sein kann. Dieses Nichts, das im Leben so oft beängstigt, bedrängt, zur Verzweiflung bringt – wo haben wir es in unserem Umgang mit der Welt? Da möchte ich sie daran erinnern, daß Mose von Gott der demütigste Mensch der Welt genannt wird. Demut bedeutet, bei allem, dem man begegnet – Steinen, Pflanzen, Tieren, Menschen, dem Schicksal – , sich dem Glauben hinzugeben. Ich schalte bei diesen Begegnungen nicht das Gesetzmäßige ein, sondern schenke allem, indem ich sogar zu Nichts werde, damit dem anderen Freude kommt. Also nicht sagen: Ich kenne die chemische Formel und jetzt weiß ich, was der Stein ist. Ich durchschaue die Gesellschaft, ich kenne die Gesetze der Soziologie oder der Volkswirtschaft oder der Psychologie. Ich weiß jetzt, was der Körper ist, denn ich habe seine Gesetzmäßigkeiten studiert. Damit habe ich der Begegnung mit alledem Genüge getan, jetzt kenne ich das. – Das eben wird im alten Wissen ein abscheulicher Hochmut genannt, weil man mit dieser Haltung das Wunder der Schöpfung verleugnet, die aus diesem Geheimnis hervorkommt, was sich bis ins Letzte in Stein und Pflanze zeigt.
Ich denke an Dichter wie Fechner oder Novalis, für die Sterne Engel sind, während sie im naturwissenschaftlichen Weltbild als Ballung schrecklich heißer Temperatur oder kalter Oberflächen entdeckt, untersucht, beschrieben und photographiert werden. Dann kommt man der Wahrheit viel näher, wenn man von >anderen Wesen< spricht. Vom Mond wird erzählt, daß er mit Gott spricht, mit der Sonne spricht, Wälder singen, die Berge und Täler jubeln und jauchzen. In solchem Erleben ist Demut, das heißt, du urteilst nicht nach dem Gesetzmäßigen, das sich dir zeigt. So kann man auch einen Menschen nicht auf das, was er einmal getan hat, festlegen, ihn danach beurteilen, sagen: den kenne ich jetzt. Er ist trotz dieser vielleicht bösen oder dummen Taten ein Wunder. Wir wissen nicht, warum Gott ihn das hat tun lassen, es ist verborgen, ein Geheimnis. Und der Mensch kann den Weg zum Urgrund nur gehen, indem er dieses Geheimnis wiedererkennt, indem er sein Leben im Zeiträumlichen als die Sehnsucht nach diesem Geheimnis erfährt. Dorthin zieht es ihn, und wenn er ins Geheimnis eintritt, fängt sein Weg an, der Weg durch den Tempel, durch das Haus, die Wohnung Gottes. Durch die drei Vorhöfe führt er, bis zum Grund, wo du spürst: Das bin ich. Erst wenn du das sagen kannst, sagt Gott: Dieses Ich ist in meinem Bild, so bist du mir ganz nah, einer dem anderen ähnlich.