Denken ist im Hebräischen identisch mit Rechnen. Das Verb denken lautet chischew, 8-300-2. Machschawah, 40-8-300-2-5, ist der Gedanke. Das Wort hat bis ins moderne Hebräisch Einzug für eine Rechenmaschine erhalten, den Computer. Dieser wird im heutigen Israel machschew genannt. Eine mögliche Eselsbrücke wäre »Mach Chef«, denn längst hat sich der Computer in unserer Zeit verselbständigt und tatsächlich zum Chef gemacht. So erhielt ich vor wenigen Tagen Post vom Bundeszentralamt für Steuern, die mit folgendem Text unterzeichnet war:
Dieses Schreiben wurde durch eine automatische Einrichtung erstellt. Es ist gemäß Paragraph 119 Absatz 3 Abgabenordnung auch ohne Namenswiedergabe und Unterschrift gültig.
Die moderne Welt braucht also keine Menschen mehr. Man autorisiert namenlose Maschinen als »Beamte«. Wer Ohren hat, der höre …
Es war keine große Sache; ich sollte nur ein paar Angaben vervollständigen, was ich dem Computer der Finanzagentur auch sogleich via Bits und Bytes meines »Mach Chefs« mitteilte. Danach war der andere »Mach Chef« zufrieden. Nun wundert mich auch der Pressebeitrag vom 22.06.2016 in der »Welt« nicht mehr: Roboter sollen juristisch zur »elektronischen Person« werden.
Widmen wir uns lieber der Innenwelt des Wortes.
Das Denken hat mehrere Aspekte. So können wir durch Nachdenken über unser Leben mit dem Psalmisten singen (Ps. 63,4):
denn deine Gnade (chesed) ist besser als Leben; meine Lippen sollen dich preisen (schewach).
Preisen, rühmen, loben, sind die Bedeutungen von schewach, 300-2-8, das sich mit den gleichen Konsonanten schreibt wie chischew, denken. Unsere Ge-Danken möchten uns zum Danken verhelfen. Jeder gesunde Mensch wird genug Grund zum Danken finden, wenn er einmal das eigene Leben anschaut. Das Hebräische zeigt noch eine weitere Verbindung, die das Göttliche im Menschen offenbart. Ps. 89,10:
Du beherrschst das Toben des Meeres; erheben sich seine Wogen – du stillst sie.
Das hebr. Wort für stillen ist identisch mit »loben«. Es wird hier und an anderen Stellen aber mit stillen im Sinne von beschwichtigen, beruhigen und besänftigen übersetzt. Ein weiterer Vers, wo wir diesen Begriff finden, ist Spr. 29,11:
Der Tor lässt seinen ganzen Unmut herausfahren, aber der Weise hält ihn beschwichtigend (schawach) zurück.
Der Weise heißt im Grundtext chakam. Dieses Wort hat den verborgenen Wert von 520. Wer ist nun der Weise? Auch das Wort Vater, aw, hat den verborgenen Wert von 520! Kommen die Kraft und Fähigkeit, zu beschwichtigen und zu besänftigen, aus unserem innersten Ursprung, wie man das Wort Vater auch übersetzen kann? Im Deutschen meint beschwichtigen »zum Schweigen bringen«. Dort wo der Mensch, hebr. adam, 1–4-40 Gott gleicht, schweigt er auch. Gleichen ist dome, 4-40-5, und dom, 4-40, ist schweigend. Adam bedeutet somit auch »ich schweige, ich bin still«.
Das Stillen der Meereswogen (den Turbulenzen in der Zeit) wird auch von Jesus erzählt (Matth. 8, 24-26):
Und siehe, ein großes Unwetter erhob sich auf dem See, so dass das Schiff von den Wellen bedeckt wurde; er aber schlief. Und [die Jünger] traten hinzu, weckten ihn auf und sprachen: Herr, rette uns, wir kommen um! Und er spricht zu ihnen: Was seid ihr furchtsam, ihr Kleingläubigen? Dann stand er auf und schalt die Winde und den See; und es trat eine große Stille ein.
In mir entsteht da sogleich die Frage: Wie hat er das gemacht? Er stand auf und schalt, wird gesagt. Aufstehen meint: Er geht von der Horizontalen in die Vertikale. Es stellt die Verbindung zu einer anderen Dimension her, steht nun zwischen Himmel und Erde. Hierauf »schallt« er. Andere übersetzen »ernstlich gebieten«. Das verwendete griechische Wort, epitimao, bedeutet jedoch wörtlich »hinterher ehren« bzw. »hinterher gerichtlich bestätigen«. Und das ist der Bogen zum Thema Denken, das schon im Hebräischen mit loben und besänftigen zusammenhängt. Das Sich-Aufregen über die Unruhen der Zeit erzeugt Angst, wie sie die Jünger im Boot hatten. Ihr Denken war an ihre Wahrnehmung gebunden. Aus menschlicher Sicht hatten sie vernünftig gehandelt. Vernunft stammt von nehmen. Nehmen wiederum meint ursprünglich (indogermanisch) »sich selbst zuteilen«. Vielleicht sollten wir in diesem Sinne manchmal etwas weniger vernünftig sein (?). Ist es nicht Gott, der uns zuteilt, uns schickt, uns unser Schicksal sendet? Wenn wir die Ereignisse der Zeit im Nachhinein betrachten, hatten sie ihren Sinn. Denken wir auch an Hiobs Odyssee. Am Ende sagt er (Hiob 42, 1-3):
Und Hiob antwortete dem HERRN und sprach: Ich weiß, dass du alles vermagst und kein Vorhaben dir verwehrt werden kann. Wer ist es, der den Rat verhüllt ohne Erkenntnis? So habe ich denn beurteilt, was ich nicht verstand, Dinge, zu wunderbar für mich, die ich nicht kannte.
So könnten wir unser Denken als großartige Gabe verstehen, die, mit dem Ursprung verbunden, zu innersten Einsichten führt und über die Wahrnehmung erhebt.
Im Talmud findet sich folgende bekannte Passage:
Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Deine Worte.
Achte auf Deine Worte, denn sie werden Deine Taten.
Achte auf Deine Taten, denn sie werden Deine Gewohnheiten.
Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.
In »Der Weg durch den Tempel« schreibt Weinreb:
Wir müssen also die Dinge, die zu uns kommen, als etwas sehen, das durch unser Leben, unsere Taten, unser Denken, unsere Bereitschaft, uns einzusetzen, uns einer Sache hinzugeben, heraufbeschworen wird. Ein Ausspruch in der Überlieferung lautet: Nicht der Gedanke ist die Hauptsache, ist entscheidend, sondern die Tat. Das Tun bestimmt den Gedanken. Der Gedanke ist dann dasjenige, was der Mensch auf dem Weg (wachend) träumt.
Mit anderen Worten: Menschen, die von klein auf in ein vernunftbasiertes Denken gedrängt werden, fällen auch ihre Entscheidungen nach ihrem vernünftigen, anerzogenen Denken. Darüber »stolpert« der reiche Jüngling im Neuen Testament. Im Grundtext werden seine Güter »Erworbenes« genannt. Angeeignet durch Erziehung, Erfahrung, Lernen, Studieren usw. ist es ihm nun »schwerlich« möglich (heißt es dort), in den Himmel einzugehen. Das Wort für »schwerlich« in dieser Geschichte, gr. dyskolos (z.B. Matth. 19,23), kommt nur bei diesem Gleichnis in allen drei Evangelien vor. Die Bedeutung ist: schlecht gelaunt, mürrisch, unzufrieden, unfreundlich, unangenehm, schwierig. Er wägt ab, möchte keine Fehler machen, also vernünftig handeln, und so findet er keine Lösung für sich. Obwohl ihn seine Entscheidung betrübt, hält er daran fest.
In Pred. 1,18b wird dieser Zustand in Worte gefasst:
wer sein (vernunftbasiertes) Wissen mehrt, der mehrt seinen Schmerz.
Ich möchte noch einmal den Kernsatz aus dem Zitat oben wiederholen: Nicht der Gedanke ist die Hauptsache, ist entscheidend, sondern die Tat. Das Tun bestimmt den Gedanken.
Im Handeln ändert sich das Denken, und dieses (neue) Denken können wir im Sinne des Talmuds (s. Zitat oben) verstehen. Beides bedingt einander. Trauen wir uns wieder mehr zu, spontan wie früher als Kind zu handeln, dann wird sich auch unser Denken in diese Richtung ändern, sodass wir darüber im Nachhinein loben und danken können. Das Wunder unseres Lebens ist in der Tat größer, als alle Vernunft uns glauben machen will. Über Denk-Techniken, wie sie alle heißen mögen, gerät der Mensch immer tiefer in eine Abhängigkeit, die ihn knechtet und im Herzen der Freude beraubt. Das vom Tun gelenkte Denken ist imstande Stürme zu beruhigen. Zunächst bei uns selbst. Aber heißt es nicht: »Ein einziger Mensch schon ist die ganze Welt.«?