Der Erinnerung neu begegnen

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Die Auferstehung ist keine Sache, die sofort offensichtlich für jedermann zutage tritt. Die Frauen, die zum Grab des Erlösers gehen, erwarten nicht, dass dieses leer ist.
Unser Äußeres sucht den ausgeträumten Traum von der Erlösung bestätigt in der Beobachtung, wenngleich getötet. Etwas anderes kann doch nicht wahr sein?! Tod und Auferstehung gehen nicht nahtlos ineinander über, sodass alles nachvollziehbar und erklärbar wäre. Es gibt eine Lücke zwischen dem Tod und der Wandlung zum unvergänglichen Leben, sowie eine Raupe nicht nahtlos zum Schmetterling wird. Es gibt ein „Zwischen“, eine Zeit der Wandlung, die von außen als Stillstand oder gar Tod wahrgenommen wird (Verpuppung).
Das Kontinuum wird nicht nur unterbrochen, sondern ganz außer Kraft gesetzt. Die Intension des dem vermeintlich leblos Verbliebenen die Ehre zu erweisen wird von einem Beben begleitet, weil ein Engel des Herrn herniederfährt (Matth. 28:2). „Beben“ wird oft auf die Erde bezogen und auch in der Übersetzung so ergänzt („Erdbeben“), sprachlich ist es aber sowohl im Hebräischen (ra’asch, 200-70-300), als auch im Griechischen (seismo von seio) in erster Linie das heftige und gewaltige Erschüttert-Sein eines Menschen. Zeuge einer Auferstehung zu sein ist also keine Kleinigkeit, ebenso wenig wie das Korban eine Kleinigkeit ist (Matth. 27:54). Beides wird von einem Beben begleitet. Das sind Zustände, die niemand herbeiwünscht. Wenn etwas stirbt oder neu lebendig wird, schüttelt es den Menschen, der solches erlebt. Man sucht in aller Ruhe, dass alles weitergeht wie immer, doch dann endet es rasant. Man hatte so große Hoffnung, aber diese wird im wahrsten Sinne des Wortes im neutestamentlichen Sprachlaut „ans Kreuz geschlagen“. Schluss. Ende. Aus und vorbei. Was bleibt nun übrig? Eine tote Hoffnung?! Besuchen wir diese, obwohl jetzt gewiss nichts mehr von ihr zu erwarten ist. Wir suchen trotzdem die Nähe, möchten uns all der Worte des Unvergänglichen, des Trostes und der Kraft, die unser Herz brennen ließ, erinnern, weil wir spüren, dass Erinnerung mehr sein muss als ein Gedanke an etwas, dass anscheinend nicht mehr lebt.
Kein Mensch kann voraussagen, wie die Erlösung aussieht, was das „zum Leben Kommen der Toten“ wie “Auferstehung” im Hebräischen wörtlich heißt, wirklich ist. Obwohl alles zuvor gesagt war, hatte es niemand verstanden. Warum nicht? Weil die Erfahrung fehlte. Das kleine Kind hat keine Erfahrung und glaubt einfach, doch der Erwachsene blockiert sich oft selbst, weil er nur noch das zu glauben imstande ist, was er aus Erfahrung kennt.
Erst im Erleben der Auferstehung im Beben und mit Furcht, kann das Wort durchbrechen und der Inhalt der Erinnerung neu und gewandelt lebendig in uns werden. Wagen wir es doch totgeglaubte Hoffnungen noch einmal zu besuchen, uns ihnen mit „Spezereien“ (griech. „aroma“) zu nähern (Luk. 24:1). Dieses „Aroma“ soll den schlechten Geruch, den das Tote hat, wegnehmen. Wie viele Erinnerungen haben wir, die „schlecht riechen“? Nahen wir ihnen doch einfach neu, dieses Mal mit der Absicht ihnen lieblich zu begegnen.
In Luk. 24:2 wird das Wort „Gruft“ verwendet, wovon der Stein weggewälzt wurde. Im Griechischen lautet die Gruft „mnema“, es stammt von mimnésko, gedenken. Am Tag der Auferstehung öffnet sich die Erinnerung. Dort, in der Erinnerung erwartet man das Tote, doch in Wahrheit geschieht in der Erinnerung eine unerklärliche Wandlung und das, was tot zu sein schien, findet eine Öffnung ins Leben und ist auf dem Weg nach Galiläa, wo es gesehen werden kann (Mark. 16:7). Das heißt, dass der Mensch, der das Sterben der Hoffnung bezeugen konnte, (weil er es ja gesehen hatte), auch das Gegenteil sehen wird, wenn er die Erinnerung (Gruft) nicht aufgibt, sondern sie ohne Groll aufsucht. Nicht irgendwo und irgendwann, sondern in der Form (gal / Galiläa) zeigt es sich. Das Vergängliche wird dann als Ausdruck des Unvergänglichen erkannt. Wenn der Himmel uns den Zugang zur Erinnerung gewährt, ist das keine Kleinigkeit – wir werden heftig erschüttert sein, unsere Grundfesten werden wanken – , aber diese Furcht wird begleitet von einer großen Freude (Matth. 28:8), einer Freude, die niemand mehr nehmen kann.