Der gesegnete Mensch erhält alles doppelt

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Im Midrasch Kohelet Rabba 1:34 heißt es:

„Wenn ein Mensch stirbt, ist die Hälfte der von ihm angestrebten Errungenschaften im Leben unerfüllt geblieben.“

Diese Aussage bezieht sich auf den gewöhnlichen Menschen, der nur die äußere Welt akzeptiert. Wenn ein solcher Mensch bspw. eine bestimmte Karriere angestrebt und dieses Ziel erreicht hat, ohne es mit dem Wesentlichen im Inneren zu verbinden, so überkommt ihn spätestens im Angesicht des Todes das Gefühl vom Leben betrogen worden zu sein. Weshalb, er hatte doch alles erreicht?! Ja, erreicht wie ein Hiob seine äußeren Ziele zu Beginn des Buches Hiob, wenn der Satan über ihn sagt, dass Gott das Werk der Hände Hiobs gesegnet hat.

(…) Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, …

Hiob 1:10

Hier muss man genau lesen, wer etwas über wen sagt. Wenn ein Mensch nur äußerlich gesegnet ist, ist es mitunter der Satan, der ihm sagt: „Schau, wie Gott dich gesegnet hat!“, und viele würden zustimmen und vielleicht sogar hinzufügen: „Da kannst du aber sehr dankbar sein, das fällt nicht jedem zu!“ Diese Aussagen sind nicht falsch, ermangeln aber der Vollständigkeit.

Derselbe Satan gibt durch sein Handeln jedoch zu verstehen, dass er sehr gut weiß, dass Hiob in Wirklichkeit nur ein „Halb-Gesegneter“ ist, wiewohl es auf den ersten Blick so scheinen mag, als ob es nichts hinzuzufügen gäbe. Die eigentliche Bedeutung des Begriffes „segnen“ erfahren wir erst ganz am Ende des Buches Hiob in Kapitel 42 Vers 12

Und JHWH segnete das Ende Hiobs mehr als seinen Anfang;
Zwei Verse zuvor heißt es:
und JHWH mehrte alles, was Hiob gehabt hatte, um das Doppelte.

Das „mehr“ am Ende ist genau genommen eine Verdoppelung des Anfanges. Bei seinen Tieren zeigt es sich ganz praktisch: Ihre Anzahl verdoppelt sich von 11.000 auf 22.000 (vgl. Hiob 1:3 und 42:12). Das „Doppelte“ (mischneh, 40+300+50+5) ist ein Wort im Hebräischen das in anderer Reihenfolge der Zeichen das Wort neschamah (50+300+40+5, göttliche Seele) hervorbringt. Dieses Wort stammt von neschem, 50+300+40, dem Atem bzw. das Atmen, das nur dann lebenserhaltend ist, wenn es den doppelten Charakter von Ein- UND Ausatmen hat.
Auch das Zahlwort für 8, schmonah, wird mit denselben Zeichen geschrieben, und auch hierbei finden wir die Eigenschaft der Verdoppelung wie es bspw. in der Musik der Fall ist: Spielt man von einem Ton die Oktave, verdoppelt sich dabei die Frequenz. Beim Spielen einer Gitarre entspricht das der Halbierung des schwingenden Anteils einer Saite. Wir begegnen hierbei einer Systematik, die in der Mathematik und der Physik selbstverständlich ist: Um etwas zu verdoppeln, muss man etwas anderes dafür halbieren. Wenn man die 1 halbiert, erhält man 2 Teile. Wenn man eine Kraft halbieren will, muss man den Weg verdoppeln (Hebelgesetz).
Den Charakter der Doppelheit hat auch das Wort für „segnen“, barech, 2+200+20. Auf allen Ebenen hat es den Grundwert der „2“, in den Einern, in den Zehnern und in den Hundertern. Eine 2 impliziert nicht nur „dies und das“, sondern auch: „weil es nun die Gegenseite gibt, wird es begreifbar“. Zum ersten Mal kommt das Wort „segnen“ am 5. Schöpfungstag vor, wenn Gott das Leben im Wasser und das Leben in der Luft segnet, indem er spricht: „seid fruchtbar und mehret euch“, hebräisch pru urevu, in Zahlen exakt 500 (80+200+6 + 6+200+2+6). Ein Segen beinhaltet immer etwas, das über das Irdische hinausgeht, doch um dorthin zu gelangen bedarf es eines Weges, der sich bei den Geschöpfen des 5. Tages darin ausdrückt, dass sie sich nicht nur nach vorne, hinten, links und rechts bewegen können, sondern auch nach oben und unten, ihre Bewegung also eine Dimension mehr umfasst, als bei den Tieren des Landes. Merkwürdig auch, dass das Wort „segnen“ im 22. Vers der Bibel zum ersten Mal vorkommt und wir die 22 auch bei der Anzahl der Tiere Hiobs am Ende seines Weges sehen (wenngleich in den 1000ern). Wenn man das Wort für „segnen“ anders betont bedeutet es „in der Sanftheit“ (b’rach). Das ist der wirkliche Mensch, der echte Adam, Mann und Frau als Einheit im Bild und Gleichnis Gottes, wie es sich auch imposant in den Zahlen zeigt:


Die 555 hängt auch mit der Halbierung der 1 zusammen, denn das erste Zeichen, die Aleph, hat als vollen Wert 111, deren Hälfte 55,5 ist. Mit der 555 zeigt sich dann die Hälfte der 1 (aleph: 111) in der Konkretisierung (Faktor 10), will sagen, sie taucht in das Jetzt ein und wird erlebbar. Der „gesegnete Mensch“ hängt, wie in der Grafik dargestellt, mit 2 x 555 zusammen, das ergibt 1110. Die Bibel bestätigt diese Art des Zählens, denn im 1110. Wort finden wir den Ausdruck „w‘ha-adam“, also „und der Mensch“ (1. Mose 4:1). Was macht „der Mensch“ an dieser Stelle? Er erkennt seine Frau Eva, seine „andere Seite“, und von diesen beiden als Einheit heißt es, dass sie gesegnet sind (1. Mose 5:2).
Der echte Mensch ist immer männlich UND weiblich – nur so wird er „Mensch“ genannt (ebd.) – und das ist auch der Sinn des Wortes „segnen“, deshalb kommt es zu Beginn immer mit „pru urevu“ vor, denn ohne die Verbindung von Mann und Frau, Innerem und Äußerem, Jenseitigem und Diesseitigen entsteht keine Frucht.

Segnen ist das Wieder-EINS-Werden, ist das Erkennen, dass das Gegenüber nicht fremd, sondern die fehlende Seite ist und im Eins-Werden mit dieser Seite findet der Mensch seine Bestimmung, verbinden sich Jenseits und Diesseits und der Tod wird aufgehoben.

Der Begriff »Segen« bedeutet eigentlich, dass das Hier, diese Welt, der andern Welt, dem Dort, gleich ist. Der Segnende anerkennt diese Identität. Wie Gott den Menschen Adam nennt, ani domeh, »ich gleiche«. Ich gleiche dir, du somit mir.
In der Liebe macht der Liebende sich ganz klein. Gott zieht sich im zimzum fast vollständig zurück, um dem Geliebten Raum, Ort, zu geben. Das Gleiche tut der Mensch, indem er sich hier klein macht, um Gott den Ort zu schenken.
Segnen, barech, 2-200-20, schreibt man im Hebräischen mit dem Zeichen »2« in allen Ebenen. In Vergangenheit, in Gegenwart und in Zukunft. Aus Vergangenheit und Zukunft besteht, als das Zünglein an der Waage, die Gegenwart. Gott segnen – loben ist ein ganz anderes Wort – ist also ihn erkennen und anerkennen in allen Zeiten, ewig also. Und wenn Gott segnet, bedeutet es, dass er dem Gesegneten Ewigkeit schenkt, Allgegenwart. Wenn ein Mensch den anderen segnet, ist es auch das Gefühl, der andere lebe in allen Zeiten, bleibe zusammen, kein Tod kann mehr trennen.

Weinreb, Das Jüdische Passahmal, S. 97