Der Mensch als Baum des Lebens

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In der Pflanzenwelt des dritten Schöpfungstages entstehen auch die beiden Bäume, der ez ha-da’ath (Baum des Wissens) und der ez ha-chajim (Baum des Lebens). Die Alten Welten drücken sich in dem ez ha-da’ath aus, dem „Baum, der Frucht macht“ (ez osse pri). Das heißt, dass man den Genuss und das Vergnügen ausschließlich auf dem Weg des Werdens kennt, auf dem man das Ziel noch nicht erreicht hat, aber fest daran glaubt, es auf diese Weise zu finden. Tatsächlich geht es bei dem Getrieben-Werden durch diese Kräfte der Entwicklung nur um das Gefühl des herannahenden Erfolges, denn sobald man das Ziel erreicht hat, stellt sich ein dégoût ein, eine Verachtung für das Erreichte – man will mehr! Nun beginnt das Spiel von vorne. Der Baum des Wissens hängt direkt mit der Jagd zusammen, deren Erfolg nur einen Augenblick befriedigt. Um den Stimulus zu erhalten, muss der Reiz beim nächsten Mal noch größer sein.

Der Mensch hingegen wurde wie der „ez ha-chajim“ geschaffen, nämlich gleichzeitig als Baum, der Frucht ist, d.h. bereits vollendet, und darüber hinaus als Baum, der Frucht macht, d.h. im Werden ist. Der Baum, der Frucht ist, ist das, was wir die Seele des Menschen nennen, und der Baum, der Frucht macht, ist sein Körper. Und der Mensch vereinte beides in sich, so dass er in Wirklichkeit der Baum war, der Frucht ist und Frucht macht. Solange eine Einheit zwischen Körper und Seele besteht, ist der Mensch der „ez ha-chajim“, der auch die Alte Welt enthält, denn schließlich ist nichts verloren. Aber sobald im Menschen der Widerspruch von Körper und Seele aufbricht und es einen Bereich für die Welt und einen Bereich für Gott gibt, dann ist die Alte Welt emanzipiert und kann so den Menschen als eigenständiges „Ding“ angreifen. Deshalb kann man in keinem Lebensbereich diese beiden Mächte, wie sie sich bis in die moderne Staatlichkeit hinein zeigen, trennen.
Sobald man den Staat, d.h. den Körper, unabhängig von der Kirche macht, die eigentlich die Seele repräsentiert, rebelliert er prompt (und das ist ein Gesetz, das Gott ihm bei der Schöpfung gegeben hat, dem sich niemand entwinden kann) und verführt die andere Seite. Alles beginnt beim Menschen und so verwundert es nicht, dass mit der Leugnung und Lächerlich-Machung der Seele das Körperliche in den Vordergrund trat und diese Trennung sich bis in die letzte Konsequenz durchzog. Aber auch umgekehrt: Heilung beginnt immer bei jedem persönlich und bedeutet in diesem Fall sich selbst als Verbindung, als Gemeinschaft von Seele und Körper zu erkennen und zuzulassen. Wenn man in diesem Bereich Zugeständnisse macht und bspw. Krankheiten als etwas rein Materielles einstuft, wird man selbst gebrochen, gerät in starke innere Auseinandersetzungen und es braucht die Dauer des langen Weges, um wieder zurückzukehren.
Deshalb suche man bei sich und bei allem der Seele Raum zu geben; keine Situation darf davon ausgenommen sein.

Nach F. Weinreb, NL, handschriftliche Aufzeichnungen