Der Reiche und der Tod

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Ein Märchen aus Äthiopien

Ein Reicher hatte mit dem Tod Freundschaft geschlossen, und sie hatten sich geschworen, dass der Tod nicht käme, um ihn zu töten, bevor er ihm nicht gesagt hätte: »Ich bin gekommen.« Er dachte, dergestalt vorbereitet zu sein und Buße zu tun, wenn der Tod ihm sagte: »Ich bin gekommen.« Nachdem sie sich so geeinigt hatten, tötete ihm der Tod ein ganz kleines Böckchen. Der Reiche dachte sich nichts dabei und blieb ruhig. Danach tötete er ihm alle Herden, jeweils ein Tier nach dem anderen. Danach tötete er diejenigen im Haus und die Söhne und zum Schluss die Gattin. Und der Reiche dachte sich noch immer nichts dabei. Danach erschien der Tod bei ihm selbst. Er sprach zu ihm: »Warum hast Du unseren Schwur gebrochen?« Und der Tod antwortete ihm: »Ich habe ihn nicht gebrochen. Unser Schwur war zweifelsohne <Du wirst mich nicht sehen, bevor ich es Dir nicht gesagt hätte>. Also sagte ich es zunächst durch das Böckchen; und darauf sagte ich es Dir jeden Tag. Aber wenn Du Elefantenohren machtest und Dich weigertest, Dich auf das Sterben vorzubereiten, was sollte ich Dir dann noch sagen?« Und er nahm ihn mit sich und ging davon. So erzählt man sich.

Der Reiche möchte nichts dem Zufall überlassen. Mit dem Zufall lässt sich schließlich nicht gut rechnen. Unbekannte Variablen stören das Sicherheitsempfinden erheblich. Die indirekte Rede des Todes versteht der Reiche bestenfalls als »unglückliche Zufälle«; dass sie aber eine an ihn gerichtete Rede sind – das fällt ihm im Traum nicht ein.
Inwieweit verstehen wir die Sprache der Ereignisse, die um uns herum passieren?