Der seelenlose Mensch

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Friedrich Weinreb in Wie sie den Anfang träumten (Abschnitt 112)

Wenn die Störung der Sprache über den Menschen hereinbricht, entscheidet sich auch das Los der drei Gruppen. Jene, die den Himmel ersteigen wollten um ihn für die Erde zu erobern, werden über die weite Welt zerstreut und der Turmbau (zu Babel) kommt zum Stillstand. Die aber darauf aus waren, die Götter irdischer Form im Himmel aufzustellen, werden zu kofim, das sind Affen. Die Letzten hatten der höheren Welt ein Ende machen wollen; sie töten einer den andern. Die missgünstige Dreiheit ist auch in jedem Menschen am Werk. Diese drei sind in jedem Menschen, der den Weg des migdal (Turmes) geht. Die Welt, die dann entsteht, heißt Babel. Die Begriffe balbel und balul – verwirren, vermengen – hängen damit zusammen. Am Platze Babel gibt es keine Klarheit mehr. Darum ist die erste Gefangenschaft daselbst. Wenn der Tempel untergeht, wird alles trüb und unbestimmt, das Verschwommene schleicht sich ein, das Verwirrung Schaffende, das Missverstehen. Die Verwüstung des Tempels kommt durch den König von Babel. Die Unwissenheit, die Unkenntnis der wesentlichen Struktur ist das Lebenselement dieser Stadt.
Die erste Gruppe verteilt sich über die Erde hin, sie zerflattert in alle Richtungen. Die Vielheit kommt auf, jede Idee von Einheit geht verloren. Den Himmel wollten sie der irdischen Verfügung öffnen, er sollte berechenbar und erdkonform werden. Die Gegensätze sollten zur Einheit gemacht werden: das Ergebnis ist eine bis zum Äußersten gesteigerte Vielheit. Unmittelbar vor der Erlösung aus Mizrajim (Ägypten, der Welt der Zweiheit) wird auch Israel über die ganze Welt Mizrajims verbreitet (Ex. 5,12). Dann kommt die Phase der großen Vielheit. Die zweite Gruppe wird zu „Affen«. Der Mensch sollte seinen Fuß auf himmlischen Boden setzen um dort den auf irdische Weise gebildeten Gott einzusetzen und ihm dort zu dienen. Der Mensch, in welchem diese Hochfahrenheit herrscht, verliert das göttliche Ebenbild. Wenn der Mensch den Himmel und den Gott des Himmels ignoriert und totschweigt, dann ist er ein ausschließlich irdisches Wesen, ohne Neschamah (göttliche Seele). Er ist dann das, was ihm hier als Affe erscheint. Er kann nur noch nachahmen, er kann kaum Neues, Durchbrechenderes mehr finden. Einzig und allein Körper ist er, nichts anderes. Der Bau des migdal bringt Menschen ohne Neschamah hervor. Die aber den Himmel ausmerzen wollten, töten sich gegenseitig. Diese Welt verabsolutierend, leugnen sie das Bestehen der anderen Welt. Diese Gesinnung gönnt im Menschlichen dem Andersartigen keinen freien Raum. Das braucht keineswegs in ein buchstäbliches Töten auszumünden. Es genügt, dass man den Kreis seines Mitleids eng zieht, dass man allem Andersartigen abschätzig gegenübersteht, dass man seinem eigenen Erfolg mit Härte dient und dem Frieden keine Chance lässt. Die Entfremdung gegenüber Gott steht am Anfang eines inneren Absterbens und einer äußeren Unversöhnlichkeit. Der Weg des migdal zeitigt all das. Und darin liegt auch die Konsequenz für dessen Erbauer. Sie haben den Weg des Menschen im Bilde Gottes gemieden und gerieten folgerichtig auf den Weg des migdal. In diesem Leben haben sie ihre Bestimmung verfehlt. Nur das Wunder der Teschuwah (Umkehr / Einkehr) kann sie in diesem Leben noch retten, anders gehen sie mit diesem Leben zum Untergang. Was ihr ferneres Los ist, anderswo, entzieht sich dem Urteil dieser Welt.