Der Überbringer guter Nachrichten

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Geschichte vom Überbringen guter Nachrichten
Erzählt von Friedrich Weinreb im Buch „Legende von den beiden Bäumen“ (ab Seite 278 / weicht leicht vom Original ab)

Die Geschichte zum Hören

Es war einmal ein Mann, dem es ungeheuere Freude bereitete, anderen Leuten, vor allem solchen, welche in Not und Verzweiflung lebten, Nachrichten zu bringen, welche ihnen neuen Lebensmut schenken konnten. Es war ihm sein nächstes Anliegen. Er begab sich jeden Morgen früh schon auf die Straße, Ausschau zu halten nach Leuten in Schwierigkeiten. Es tat ihm selber gut, in den betrübten Gesichtern das Aufleuchten der Hoffnung und der Freude gewahr zu werden. Er fragte sich sogar, inwiefern er das alles zu seiner Freude machte, da ihm das alles so guttat, und ob die Anderen ihm tatsächlich so nahe standen, dass er es an erster Stelle ihretwegen tat.


Da berief er sich aber auf eine Überlieferung, dass dem Boten guter Nachrichten Lohn entrichtet wurde, während der Bringer böser Nachrichten getötet wurde. Und so glaubte er, dass seine Freude nun der Lohn sei und er auf diesen Lohn Recht hätte. Kein anderer als der Himmel schenkte ihm doch diesen Lohn.
Jetzt, nun ich diese Geschichte aufschreibe, glaube ich auch, dass dieser Lohn aus dem Jenseitigen ganz in Ordnung ist. Hat nicht Gott auch Freude, die Schöpfung aus dem Nichts hervorzurufen? Ist nicht Freude dem Begriff des Erlösens ganz nahe?
Und ich glaube auch, das Töten des Überbringers böser Nachrichten sei das Erstarren, also Sterben dieses Boten. Denn böse Nachricht bedeutet doch so viel wie das Empfinden der Sinnlosigkeit der Schöpfung, bedeutet auch die Freude an der Trauer des Andern. Es ist wie ein Zeigen: „Siehst du, es taugt doch alles nicht. Es muss einen Fehler im Plan der Schöpfung geben, und ich beweise es dir mit meiner Nachricht.“ Die Hinrichtung dieses Boten findet im menschlichen Jenseits statt. Und das bedeutet, es kommen dem Menschen in seinem Diesseits keine Nachrichten mehr aus seinem Jenseits. Gewiss ist das nicht ein endgültiges Versiegen. Eine gute Tat, eine Umkehr, kann es wiederum bringen. Nur, wenn das Überbringen böser Nachrichten zur Natur des Menschen wird, könnte Umkehr wohl schwierig oder unwahrscheinlich werden.
Denn der Mensch verändert durch Wiederholung im Diesseits sein eigenes Jenseits, sowohl im Negativen als auch im Positiven.
Der Mann unserer Geschichte kam nun eines Tages, als er sich mit seinem Begehren, Freude zu machen, auf dem Weg befand, in eine Wohnung, aus welcher er ein Weinen und Stöhnen vernahm. Er trat ein, wollte er doch Freude schenken.
Ein nicht mal alter Mann lag auf dem Bett, begrüßte den Eintretenden mit den Worten: „Welcher Schmerz ist wie mein Schmerz, wo findet man ein Leid wie mein Leid?“
Er erzählte, wie die Ärzte eine Heilung seiner Krankheit aufgegeben hätten, dass sie sogar seine Schmerzen nicht zu lindern vermochten, wie seine Frau und Kinder irgendwo unterwegs wären, sich durch Betteln das Nötigste zum Essen zu verschaffen, und überhaupt, wenn er dann bald gestorben sein würde, was sollte aus ihnen werden. Und er wandte seinen Kopf zur Wand und weinte bitterlich.
Was kann man als Mensch redlicherweise in solch einem Fall anderes tun, als auf den Himmel vertrösten, der schon Witwen und Waisen nicht verlässt. Man weist auf den Weg alles Fleisches hin, sagt noch einige tröstende Worte und schleicht sich weg. Angenehm ist solch ein Besuch für keine der beiden Seiten.
Nicht aber unser Mann. Er kann das Leid nicht ertragen. Das kann doch niemals die Absicht des Himmels sein. Es sieht hier nur so aus, als ob alles falsch sei und schief gehe. Und so sagt er dem Kranken, er wisse, ein berühmter Arzt sei unterwegs, er werde ihm jetzt entgegeneilen. Dieser Arzt heile Krankheiten, welche für andere als unheilbar galten, man erzähle Wunder von seinen Taten. Und ein reicher Mann, von diesem Arzt geheilt, begleite ihn und verschenke Geld und Edelsteine, wenn die Familie des Kranken durch das Kranksein keines mehr hätte. Und noch manches an nicht mal geträumten Wundern von diesem Arzt erzählte er.
Die Augen des Kranken leuchteten, er drehte sich wieder von der Wand weg zum Zimmer, er fing von Möglichkeiten des Guten zu reden an.
„Dann gehe schnell diesem Arzt entgegen, bringe ihn her, erzähle ihm von meiner Not. Du sei gesegnet, du Bringer dieser guten Nachricht.“
Unser Mann war glücklich um der Freude des Anderen. Er begab sich hinaus. Das Licht der Sonne blendete ihn mit dem Licht der klaren Realität. Es gab doch diesen Arzt überhaupt nicht. Es gab keinen reichen Mann, der Geld und Edelsteine verschenkte. Es gab nur diesen einsamen, aufgegebenen Kranken.
Und da unserem Mann dies alles nicht ungewohnt war, sagte er sich nur: „Gott wird schon helfen. Was kann ich tun? Aber da ich, wenn ich es könnte, bestimmt alles täte, hier Hilfe zu bringen, so wird Gott doch zumindest das Gleiche tun. Seine Wege sind mir nicht bekannt. Er ist aber ein gnädiger, barmherziger Gott. Und diesem Kranken und seiner Frau und seinen Kindern muß es bestimmt gut werden. Ich sage nur das, was absolut wahr sein muß.“

Er begab sich auf seinem Weg weiter. Auf einem Hof eines Hauses wurde ein Mann gefesselt. Er sollte als Sklave verkauft werden, da er seine Schulden nicht bezahlen konnte. Haus und Hof gingen an seine Gläubiger, der Ertrag des Verkaufs als Sklave ebenfalls. Er sollte weit weggeführt werden, über See, von wo man nicht mehr zurückkam. Frau und Kinder standen weinend und händeringend umher.
„Unverschuldet war er“, sagten Umstehende, „Gewitter, Wasser, Feuer, alles kam über ihn. Und jetzt wird alles aufgelöst. So ist nun mal das Los dieser Welt.“
Man kann als Mensch da nichts mehr tun. Man kann achselzuckend weitergehen und den Umstehenden nur recht geben. „So ist das Leben“, würde man heute sagen.
Unserem Mann fiel es nicht ein, so zu handeln. Er trat nach vorne, auf einmal ganz das, was er sagen möchte.
„Wartet, ihr Leute, ich komme im Namen eines weiten Verwandten dieses Mannes, ein Bruder des Großvaters, schon jung fortgereist. Er kommt als reicher Mann, fabelhaft reich. Und er sprach mir gegenüber davon, dass ihn das Gerücht erreicht hätte, sein Verwandter sei in großen Schwierigkeiten. Er wolle alles lösen. Es dauert vielleicht ein, zwei Tage. Ich würde euch raten zuzuwarten. Das ist doch für alle das Einfachste und Beste.“
Wenn auch einige etwas verstört dreinschauten, die andern waren erfreut. Und nach kurzer Zeit waren alle froh. Denn die Freude des nun Befreiten und seiner Frau und Kinder wirkte so erleichternd, dass keiner mehr auf dem Boden der schweren Realität zu bleiben vermochte. Der Hauptgläubiger lud alle zu einer Mahlzeit ein, umarmte den Schuldner, den er kurz vorher noch als Sklaven hatte verkaufen wollen. Unser Mann aber entschuldigte sich, er müsse eben zu diesem Verwandten eilen, um ihm den jetzigen Sachverhalt zu schildern. In Wirklichkeit aber verdrückte er sich. Denn diesen weiten Verwandten gab es doch nur in seiner reichen Phantasie. Die Freude war auch bei ihm groß, aber genauso groß war seine Panik. Denn er wusste, was in einigen Tagen geschehen werde. Sein einziger Trost war: „Ich habe diesen Leuten ein paar herrliche Tage geschenkt. Das ist doch unbezahlbar, das ist ihnen niemals wegzunehmen. Sie glauben es doch, und Glauben bringt Ewigkeitswerte.“
So zog er weiter, weit weg. Und er hörte aus einem Hause einen verzweifelten Seufzer. Wie es seine Art nun einmal war, er ertrug solches nicht. Wer seufzte, hatte Gott wohl nicht richtig verstanden. Gott hatte die Welt doch nicht zum Klagen und Weinen gemacht. Irgendwo steckte ein Missverständnis dahinter. Wie es auch sei, es drängte ihn, diese Verwirrung des Verständnisses zu lösen. Gott würde es bestimmt noch besser eingerichtet haben, als er selber imstande war, es ihnen darzustellen. Sie sollten nur nicht klagen. Er werde ihnen schon inzwischen etwas von ihrer endgültigen und überhaupt totalen Freude zeigen.
Er trat ein, und eine noch junge Frau mit vergrämtem und verweintem Gesicht sah ihn erstaunt und ablehnend an.
„Ich komme Ihnen eine gute Nachricht bringen.“
„Mir kann man gar keine gute Nachricht mehr bringen. Mein Mann, mit dem ich jetzt schon 14 Jahre glücklich gelebt habe, zwei Söhne bekamen wir, und jetzt ist er mit der Geliebten eines römischen Legionärs auf und davon, nahm die Buben mit und ließ mich allein, mit überhaupt nichts, zurück. Jedem bin ich ausgeliefert, ich bin machtlos. Und wie die Leute sind, die sagen, ein Mann verläßt seine Frau nicht ohne Grund. Gewiß hätte ich die Kinder falsch erzogen. Und nie war etwas Ungutes zwischen uns und zwischen uns und den Kindern. Man kann sich keine glücklichere Familie vorstellen. Er wurde wohl von dieser Frau betört. Der Legionär ist mit ihr hier vorbeigezogen, wollte sie los werden. Sie haben getrunken, mein Mann machte schon merkwürdige Augen zur Frau, der Römer versuchte, mich zu vergewaltigen, mit Mühe konnte ich mich verstecken. Hörte aber, wie mein Mann mit ihm einig wurde. Er wollte mit nach Rom, die Jungen würden dort eine römische Erziehung erhalten, die Frau versprach ihm alles. Wer also kann mir da noch helfen? Wenn mein Mann mir einen Scheidebrief gegeben hätte, aber jetzt kann sogar ein anderer Mann mich nicht nehmen. Und die Kinder! Wozu, warum, was habe ich falsch gemacht? In Gedanken sogar nicht.“
„Sehen Sie, wie gut es ist, dass ich jetzt gerade komme! Denn ich habe Ihren Mann mit den beiden Jungen – wie gut geraten die beiden sind – in einer Herberge getroffen. Und da habe ich die ganze Geschichte erfahren. Dass Sie das nicht selber eingesehen haben! Der Legionär und diese Frau waren Räuber. Ihr Mann hat schon gleich gesehen, dass Vieles in ihren Geschichten nicht stimmte. Er hat gleich kombiniert mit dem, was sich schon in der Stadt herumsprach. Da er aber fürchtete, der Römer könnte ihn, wenn er den Verdacht entdeckte, umbringen, tat er so, als ob er mit der Frau was anbändeln wollte, nahm die Kinder mit, um jeden Verdacht, wenn er aufkommen könnte, zu zerstreuen.
Er hat nun dem römischen Hauptmann von den Raubzügen der beiden erzählt, sie wurden gefangen genommen. Ihr Mann erzählte auch von Ihnen, wie gescheit Sie mitgespielt haben, wie er Sie verehrte. Er hat mir genau die Lage Eures Hauses beschrieben. Wie käme ich sonst her? Und ich muß Ihnen berichten, alles sei wohl auf, der Hauptmann brauche Ihren Mann noch als Zeugen, er will ihm eine große Belohnung geben. In einigen Tagen ist er wieder da. Schlimm, dass Sie es so falsch verstanden haben. Besser sagen Sie Ihrem Mann nichts davon. Jetzt aber muß ich weiter. Meine Pflicht habe ich getan. Gott segne Euch.“
Und schon ging er wieder. Denn vielleicht würde nach einigen Fragen der Frau sich ergeben, dass er überhaupt nicht wusste, wie der Mann und die Kinder aussahen, in welcher Stadt sie wären, usw. Nur sah er das ganz glückliche Lächeln der Frau während seines Erzählens, ihre wachsende Freude, er sah, wie sie sich Vorwürfe über ihre kurzsichtigen Anschauungen über ihren Mann machte. Sie ermutigte ihn mit ihren Reaktionen in seinen Ausführungen. Und sie war so überwältigt von der unglaublichen Überraschung, welche er ihr, der Verzweifelten und Verlassenen brachte, dass es ihr auch nichts ausmachte, dass der gute Bote gleich wieder gehen musste. Sie konnte in ihrem Glück jetzt wohl am besten allein sein.
„Der kommt doch gar nicht zurück, dieser Hund, dieser dumme Lüstling. Die Frau ist allein, man kann sie überfallen. Was aber kann ich machen?!“
So dachte er voller Entsetzen. Einmal, wohl bald, würde die Stunde der Wahrheit auch bei ihr eintreffen wie bei den andern.
Und dann, was würde dann sein. Gut, dass er die wohl nicht wieder treffen würde. Die würden ihn zerreißen.
Aber welch Böses hatte er ihnen angetan? Die Lage war doch ohnehin verzweifelt, Hilfe war ausgeschlossen. Er selber hatte nichts anderes als diese seine Worte. Wenn er anderes vermocht hätte, er hätte es nicht unterlassen. Es schien aber, Gott hätte anderes beschlossen. Gott wüsste wohl, warum. Warum ließ er diese Verzweifelten so allein? Und ihn selber mit seinen frohen Botschaften. Im Himmel wie auch auf Erden würden diese Leute ihn schon schön angucken. Lieber wäre ihm, denen niemals, aber auch niemals und nirgendwo wieder zu begegnen. Der Gedanke an einen Tod bedrückte ihn. Er käme, beladen mit diesen und noch manchen dergleichen Geschichten, lauter Lug und Trug, in das Jenseits. Nun, vielleicht dauerte es noch Jahre. Aber was sind Jahre? Die Ewigkeit würde kommen. Die Freude an die herrlichen verklärten Gesichter wurde von den Gedanken, was bald danach eintreten würde, verdüstert.
Ihm war gar nicht gut. So ging es noch Jahre. Er musste immer weiterziehen. Denn er wagte es nicht, an die Orte, wo er diese Nachrichten gebracht hatte, zurückzukehren.
Nach vielen Jahren, er war immer noch auf dem Weg, sah er auf sein Leben zurück. Welch eine Anhäufung von sogenannt guten, überraschenden Nachrichten, welche sich doch gar nicht erfüllen könnten. Welch ein verlorenes Leben, vertan, einfach voller sinnloser Unwahrheiten. Wie schön hätten es die Leute, welche einfach umgeben von Wahrheiten leben konnten, welche jedem Menschen klar in die Augen schauen könnten. Er, er musste immer weiterziehen, eben weil er keinem je mehr begegnen konnte. Fast wie eine Flucht sah sein Leben aus.
Da näherte sich ein Mann, ein älterer; mit einem Stab. Ein gewöhnlicher Mann, ein abgehärmter, milder Landmann. Er kam ihm mit dem Gruß zuvor.
„Sie haben wohl Sorgen, mein Freund. Was drückt Sie so?“
Da er selber Bringer guter Botschaften war, erkannte er sobald im Andern den Propheten Elia. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn jetzt noch mehr. Denn seine guten Botschaften waren doch alle unwahr. Es gab keinen Wunder-Arzt, es gab keinen zur Lösung bereiten Verwandten, der mit der Römerin durchgebrannte Treulose würde nicht zurückkommen.
So erzählte er dem Elia seine Erlebnisse, und vor allem sprach er von seinem schlechten Gewissen. Dieser aber war voller Verständnis.
„Du fürchtest also, diesen Leuten in jener Welt wieder zu begegnen? Du schämst dich deiner Versprechen? Komm, laßt uns in den Himmel fahren. Wir wollen selber sehen, was die dort machen. Du brauchst keine Angst zu haben, ich bringe dich schon zurück. Ich bin doch einer der beiden Kundschafter, den der Jehoschua nach Jericho schickte, und ich kam zurück. Mit guter Nachricht.“
[Nach der Überlieferung sind diese beiden Kundschafter der Kaleb von Jehuda und der Pinchas, Sohn des Elieser, des Hohepriesters. Dieser Pinchas aber ist, wiederum nach der Überlieferung, identisch mit dem Propheten Elia.]
Unser Mann hatte nicht viel Wahl mehr. Der Prophet war sehr selbstbewusst, wo es um Entscheidungen ging. Man war im Jenseits. Es hatte nichts von einer Reise. „Wird es im Tod genauso gehen?“, fragte sich unser Mann.
Viele Menschen, viele Tiere, eine farbige Landschaft gab es da. Wie auf Erden, aber klarer, als ob ein anderes Licht alles beleuchtete.
Jetzt fürchtete er sich aber noch viel mehr. Wenn alles dort so wie hier ist, müssten diese Menschen ihn doch erst richtig durchschauen. Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Wohin könnte er jetzt fliehen. Er hatte das Gefühl, alles sei sehr viel und alles sehr nah. Das Licht war eben ein ganz anderes. Also versuchte er, sich hinter dem Elia zu verstecken und in den Falten dessen Mantels unterzukommen.
Zu spät! Schon kam der Kranke, den die Ärzte aufgegeben hatten, auf ihn zu. Aber was war das? Er hatte seine Arme ausgebreitet, und diese Frau bei ihm, musste doch wohl die bettelnde gewesen sein, und da waren auch die Kinder. Sie jauchzten, umarmten und küssten ihn.
„Ohne Sie wäre ich umgekommen. Ich hatte alles schon aufgegeben. Dann kamen Sie, und ich faßte Mut und Hoffnung. Und tatsächlich, bald kam dieser Arzt, und ich habe noch nie einen so gütigen, bescheidenen und wissenden Arzt erlebt. Er gab mir gleich die richtigen Heilmittel und sein Begleiter gab mir eine Geldsumme, so dass wir keine Sorgen mehr kannten. Gut, dass Sie uns besucht haben. Und wie Sie sehen, es hat schnell gestimmt, alles ist auf einmal gut und glücklich geworden. Gesegnet sei der Überbringer guter Nachrichten.“
Unser Mann war sprachlos. Jener sprach, als ob er gar nicht gestorben wäre. Es war doch jetzt viele Jahre her! Und die Kinder müssten doch inzwischen erwachsen sein? Und dass der gar nicht bemerkt hatte, dass doch gar kein Arzt hätte kommen können. Wusste der überhaupt, dass er gestorben war?
Man kann sich vorstellen, dass bald auch die anderen kamen, alle glücklich und dankbar. Beim Schuldner war der reiche, entfernte Verwandte eingetroffen, und es wurde alles gut. Der davongelaufene Mann war da mit seiner strahlenden Frau und den beiden Buben. Man dankte ihm, er hatte doch die lebenbringende Nachricht gebracht. Und noch viele, viele andere kamen. Unendlich viele. Denn während seines Lebens und seines Weges war er so vielen begegnet. Sogar viele, die er gar nicht kannte, dankten ihm, und er wusste gar nicht warum. Denn es war ihm klar, dass er diesen Menschen, viele aus fremden Ländern, mit andern Gesichtern, niemals etwas erzählt hatte. Ein großes Jauchzen des Glücks herrschte.
Elia nahm ihn bei der Hand, und man war wieder auf dem Weg auf Erden. Einsam und verlassen, finster war es hier, obwohl es ein strahlender, sonniger Tag war.
Über Elias Gesicht huschte ein verschmitztes Lächeln.
„Hast du dich aber geängstigt! Weißt du warum? Weil du selber nicht glaubtest an deine Geschichten. Siehe, die gute Nachricht, ausgesprochen aus Güte, zum Trost, zur Freude, zur Wiederbelebung, hat schöpferische Kraft. Deine Worte haben andern Leben geschenkt. Wie Gottes Schöpfungsworte. Die Schöpfung ist doch eine große gute Botschaft. Und das ist die Kraft des Wortes. Gott schenkt dem Menschen das Wort. Ist nicht der Mensch im Bild und Gleichnis Gottes? Wer hat sonst das Wort in der Schöpfung? Doch nur Gott und der Mensch. Das ist das Wunder des Wortes. Es kann zum Zerstören benutzt werden, und dann zerstört es. Es kann zum Bauen gebraucht werden, und dann baut es. Der Böse hat Freude am Zerstören, der Gute am Bauen. Wisse aber: Die gute Nachricht zeugt vom Glauben. Nicht nur das Überbringen von schon feststehenden Fakten; das könnte jeder Sklave machen. Der freie Mann aber steht auf Gottes Erde; so wie Gott erfreuen möchte, so kann es der Mensch. Gott macht die Welt im Glauben an den Menschen, trotz allem. Der Mensch nun kann Leben schenken im Glauben an Gott. Schau, Gott hat alles erschaffen. Könnte er dann nicht auch den Glauben im Menschen erschaffen? Doch wo wäre dann die Möglichkeit der sich hingebenden Liebe? So hat er den Menschen erschaffen als freie Kreatur. Er kann glauben, er muß es aber nicht. Und gehört dann nicht das Bringen guter Nachrichten aus diesem Glauben heraus zu den intimsten Liebesbeweisen?“
Unser Mann war glücklich, dass ihn dieses Bezeugen von Liebe zu seinem wohl ziemlich merkwürdigen Verhalten geführt hatte, er wusste aber, dass ihm etwas Wesentliches fehlte. Er hatte wie aus einem Traum immer so gehandelt. Seine Vernunft ließ ihn nicht glauben.
Elia aber sprach weiter: „Dass du dir fortwährend ein schlechtes Gewissen machtest, liegt an deiner Position als Mensch im Zwischen. Wäre alles für dich klar, so wie du es soeben erfahren hast, wo wäre dann dein Glauben? Jetzt erst hast du erfahren, welchen Wert und welche Bedeutung dein Weg hatte. Aber jetzt wäre dein Weg auch zu Ende. Denn niemals kannst du es jetzt noch aus Glauben machen. Dass du die Menschen liebtest, erwies sich aus der Last der Vorwürfe, die du auf dich genommen hast. Einfach mitteilen, es sei schon gut und Gott überlassen, es dann auch gut zu machen, ist doch sinnlos. Dann brauchte Gott dich nicht. Er hat dich aber gebraucht, sehr gebraucht. Denn seine Freude über deine guten Botschaften, wo du Leute erfreuen und trösten wolltest, ist gewaltig. Die Heerscharen freuten sich mit ihm. Deine reine Seele sprach aus dir. Und deine Vernunft wurde dadurch gereinigt. Denn die Vernunft braucht diese Verzweiflung, um den Hochmut der irdischen menschlichen Überlegungen zu brechen. Dein Leid um deine irdischen Unwahrheiten brachte all diese Menschen im Glück in den Himmel.“
„Aber sie scheinen gar nicht zu wissen, dass sie gestorben sind. Sie sind doch gestorben? Denn sie können doch unmöglich, auch wenn ihnen geholfen worden wäre, jetzt noch leben. Es ist doch schon viele Jahrzehnte her, manche Jahrzehnte.“
„Weißt du denn nicht, dass diese Welt vom Himmel den Baum des Lebens hat? Dieser Baum enthält doch jene himmlische Welt und die irdische. Die irdische Welt wird fortwährend von der Himmlischen genährt. Die fünf Ströme aus dem Paradies nähren sie. Aber die vier Ströme trocknen doch aus, wenn nicht der eine große, aus Eden hervorkommende, ihnen fortwährend sein Wasser schenkt. Die irdische Zeit ist trocken und bringt Hungersnot, wenn sie nicht von der himmlischen genährt wird. Dort, im Himmel, findet man diese Welt zurück. Aber jetzt klar und voller Einsicht, weil sie direkt mit dem himmlischen Leben verbunden ist. Der Strom aus Eden, der Eine, gibt den vier Strömen ein sicheres Dasein. Wenn man glauben müsste, man versehe die vier Ströme selber mit Wasser, dann spürt man gleich, dass es nicht stimmen kann. Denn woher hat man denn sein eigenes Leben mit dem persönlichen, eigenen Ich?“
„Aber bemerkt man denn nicht den Übergang? Jetzt, nun du sagtest, mein Weg sei zu Ende, bekam ich doch auch Angst und Wehmut. Hat nicht auch der Prophet der Propheten, unser Mose, sich dem Hinübergehen widersetzt?“
„Jetzt solltest du es doch auch schon wissen. Du hast doch den Himmel erfahren? Die guten Nachrichten, welche du bringen wolltest, und du brachtest sie doch auch, die hast du selber nicht geglaubt. Das war das Gift der Schlange, es hat deine Vernunft vergiftet. Es wäre auch hübsch unvernünftig, wenn du deinen Geschichten selber Glauben geschenkt hättest. Wäre aber deine Liebe zu den Leuten, welche du beschenkt hast, dann aber so uneigennützig, so selbstlos? Dein Ertrag war neben dem Erleben der Freude der Leute nur deine Verzweiflung und deine Angst, als größter Lügner dazustehen. Das aber war der Stab, der dich auf den Weg durchs Leben getrieben hat. Der Hirte benutzt den Stab, die Lämmer vorwärts zu treiben. Er führt sie zu fetten Weiden, wo Neues und Großes erlebt werden kann. Bedenke aber, während deines Lebens erzählt dein Traum, wo deine Seele im Himmel ist, dir eben diese Geschichten, welche deine Seele während deines Lebens fortwährend erzählte. Deine Vernunft läßt nicht glauben. Das ist der Preis, im Bild Gottes da zu sein. Sagen die himmlischen Heerscharen nicht auch, die ganze Sache mit der Erschaffung des Menschen stimme von vorne und von hinten nicht? Ihre Überlegungen sind eigentlich Vernunftüberlegungen. Und recht haben sie auch noch! Damit kommt dann die Schlange in die Welt. Und stelle dir vor, der Mensch steht der Schlange gegenüber, wie Gott den nicht-Gönnenden, weil aus gescheiten Schlussfolgerungen handelnden Heerscharen. Gott vertraut aber den Menschen. Vertrauen wir also Gott. Das ist doch das Verhalten von Liebenden. Bis zuletzt trägt man das Joch dieser Welt. Um dann zu erfahren, dass es eine große Auserwählung des Vertrauens war, dieses zum Tragen aufgebürdet zu bekommen. Deshalb nimmt Gott den Mose mit einem Kuß in die andere Welt hinüber. Eine Liebeshandlung am Ende also. So geht er hinüber. Und so gehen alle Menschen hinüber. So werden sie, im Sinne vom Namen des Mose, des aus der Zeit Gezogenen, selber jedesmal aus der Zeit der Welt gezogen, und alle mit diesem Kuß der Liebe. Und weil es Liebe ist, kommt kein Schrecken. Man findet sich in der Welt, welche man kannte. Und weil es Liebe ist, spürt man das Süße der Liebe, und dann ist diese gleiche Welt klar und schön. Geheimnis der Freude der Liebe. Niemals kann Freude der Vernunft das erreichen. Liebe aber macht das Auge klar, klar auch zu einer himmlischen Vernunft. So lernen wir doch die Thora mit himmlischer Vernunft. Man erinnert sich dort an das Leben auf Erden, wie an einen sich in Nebel auflösenden Traum. Man befindet sich dort, als ob man immer schon dort war. Denn, ist man nicht schon immer dort? Nur durch die Schlange kommt der Mensch dazu, die Wurzeln seiner Existenz von denen vom Baum des Lebens zu trennen. Er will eben selbständig sein. Durch Liebe wird aber die Schlange überlistet. Liebe gibt der Vernunft ihre göttlichen Maße wieder zurück. Durch die Schlange kann der Mensch umsonst handeln, wie du getan hast; deine Vernunft ließ dich umsonst handeln. Umsonst dir selber gegenüber. Damit hast du der Schlange den Kopf zertreten. Sonst wärest du durch ihren Biss in deine Ferse schon bald gefallen und wäre dein Weg verunmöglicht. Du tratest ihr auf den Kopf, du handeltest in deinen eigenen Augen unvernünftig, und damit hast du deinen Weg vollbracht. Nur Liebe und Vertrauen, nur Glauben und Hoffen bringen im Menschen die beiden Welten zusammen. Heißt es denn nicht, Israel erhalte diese Welt und jene Welt?“
„Die Leute wissen also gar nicht, dass ich sie hier schließlich doch belogen habe?“
„Im Gegenteil! Weil dein Verhalten von der Liebe zu ihnen gelenkt wurde, ist die einseitige Wahrheit der sinnlichen Wahrnehmung einfach nicht mehr relevant. Wahr ist nur diese Liebe, diese Sehnsucht in der Beziehung zum Andern, diesen Andern zu beglücken. Die Überlegungen der einseitigen Vernunft sind wie Nebelfetzen in der Sonne verschwunden. Das Leben der Erde fließt doch immer weiter. Es vergeht. Es vergeht, wenn nicht der eine große Strom aus Eden das Wasser schenkt. Und dieser eine Strom enthält doch schon alles von den vier anderen Strömen, welche sich aus diesem einen selbständig machen. Bedenke nur die Folgen, wenn man einen Damm bauen würde, um den Übergang zu den Vieren abzusperren! Ja, die Menschen bauen einen Damm, sie zerschneiden die Wurzeln. Du sahst das glückliche Strahlen der Leute, wie sie dir für ihr Leben dankten. Die gute Nachricht schenkt und baut Leben.“