Die Geschichte von Faust erzählt, wie man das Wissen bekommen kann, nämlich nur durch einen Vertrag mit dem Teufel, bei dem der Teufel die Seele im Austausch für das von ihm gegebene Wissen erhält. Es ist dasselbe Thema, das schon beim Baum des Wissens erzählt wurde, wo der Mensch gleichermaßen alles Wissen im Austausch für seine Seele erwirbt.
Das Gleiche sehen wir auch in der Geschichte von Kain und Abel. Kain tötet seinen für diese Welt jüngeren Bruder Abel, der jünger ist, wie die Seele jünger ist als der Körper, und erhält dafür die Segnungen von Kultur und Technologie. Es ist die bekannte Tragödie der Menschheit, die sich immer auf das Momentane, das Konkrete konzentriert und dafür alles andere wegwirft, tötet und verachtet. Und auch Faust erlangt ein großes Wissen, aber dieses Wissen befriedigt ihn nicht. Er bleibt ruhelos, so wie Kain nach der Ermordung Abels ruhelos und umherirrend blieb, von einer Sache zur anderen ging, eine Sache nach der anderen machte, weil die Seele selbst nicht mehr vorhanden war. Das ist das Schicksal der Welt, wenn sie wissen und alles erklären will, und ebenso jedes Menschen, der sein Vertrauen in das Leben aufgibt, um stattdessen Erklärungen zu erlangen, die er nutzbringend einzusetzen versucht. Dabei wird ihm über den Weg des Vertrauens doch das nötige Wissen durch Erleben im Bezeugen zuteil, es folgt hernach, geht aber nicht voran, weil mit dem Wissen vorab das „Tun umsonst“ nicht mehr möglich ist.
Wer in dieser Gesinnung vorstellig wird begegnet prompt dem Teufel, der sofort bereit ist zu diesem Vertrag und der sein Wort hält, solange er es halten kann, nämlich begrenzt auf die Sichtbarkeit, denn über die 2 kommt er nicht hinaus und dann spürt der Mensch plötzlich diese schreckliche Leere, kommt nicht zum Frieden und erleidet das gleiche traurige Schicksal, das Faust in seinem Kampf um diese Welt erlitten hat.
Bei Faust ist es die Frauengestalt Gretchen, die allein durch ihre Schlichtheit immer wieder Reue bei Faust hervorruft. In dieser Legende, in dieser Überlieferung ist es die Geschichte der Erde, die gerade dadurch, dass sie sich einfach so gibt, wie sie ist, den Menschen zum Nachdenken bringt.
Statt ihn zum Bösen zu verführen, zeigt sie ihm, dass, wenn man in Bescheidenheit seine Aufgabe erfüllt, alles ruhig, harmonisch und im Gleichgewicht ist, aber wenn der Mensch Dinge sucht, die nicht auf seinem Weg liegen, kommen ihm die Begegnungen von woanders und machen ihn unstet und flüchtig, das im NT „kräftige Irrtümer“ genannt wird (2. Thess. 2:11). Das dort verwendete ἐνέργειαν πλάνης [energeian planes] kann man auch umschreibend mit „die Energie der Oberfläche“ wiedergeben*. Man ist regelrecht verdammt bei aller Gescheitheit oberflächlich zu bleiben, denn das ist das Metier des Körpers. Um nach innen zu gehen, braucht es eine lebendige Seele, die ohnehin nichts in der Welt findet außer dass sie sich in Begegnungen ihrer Heimat erinnert, und dorthin zieht es sie mit unwiderstehlicher Kraft zurück.
*Der Plan, das Planen, die plane Fläche stammen von dem griech. Wort πλανος [plános], welches an sich „irreführend“ oder „Täuschung“ bedeutet. Wer nur auf das Sichtbare schaut, geht irre. Sichtbar sind nur Oberflächen.
Basierend auf Aussagen F. Weinrebs in niederländischer Sprache