Der Zorn Gottes

image_pdfPDFimage_printDrucken

„Denn eines Mannes Zorn wirkt nicht Gottes Gerechtigkeit.“
(Jakobus 1:20)

Der Zorn aus sprachlicher Sicht

Es wird oft von Gott gesagt, dass er zornig ist, dass sein Zorn entbrennt. Zorn wird als etwas Schlechtes im Menschen gesehen, als eine Eigenschaft, die so weit wie möglich unterdrückt werden muss. Zorn, aph, 80-1, hat die Zahl 81, die typische Zahl von tewa, 9-2-70, des Naturgesetzes. Nicht zu verwechseln mit tewa / teba, der Bezeichnung der Arche. Diese wird taw-beth-he, 400-2-5, geschrieben.
Zorn ist eigentlich etwas, dass man mit der Freilassung des Naturgesetzes vergleichen kann, welches nach dem Prinzip des Ausgleichs agiert. Die Kräfte der Natur folgen einem Ausgleichsbestreben.
Das hebr. Wort aph, 1-80 hängt bereits mit der Bewegung einer Welle zusammen, denn als Begriff ist es zugleich die Konjunktion „auch“. Eine Welle besteht nicht nur aus dem Wellental, sondern auch aus dem Wellenberg. Diese Zweiheit ist typisch für das Naturgesetz. Aph bedeutet auch Nase und diese zeigt in ihrem Aufbau außen eine Einheit, innen aber eine Zweiheit. Der ein- und ausströmende Atem wird wiederum als Ausgleichsbewegung zwischen den Welten oben und unten gesehen.

Der große Unterschied zwischen dem Zorn Gottes und dem Zorn des Menschen liegt darin, dass Gott den Kern jeder Sache kennt und somit alles einbezieht. Er berücksichtigt sowohl, was gewesen ist, als auch alles, was noch sein wird, weshalb sich Gottes Zorn aus unserer Sicht als das darstellt, was wir Vergebung nennen. Kein Mensch überblickt alle Faktoren, die zu einem Ereignis geführt haben, weshalb der menschliche Zorn auch niemals einen Ausgleich herbeiführen, sondern nur ein neues Ungleichgewicht bewirken kann.
Deshalb wird der Zorn Gottes auch ma’arich aph genannt, was man als „den langen Weg des Zorns“ übersetzen könnte. Das will sagen, dass wir beim Zorn Gottes keinesfalls an das denken sollen, was wir beim Menschen in Form von „blindlings drauf losschlagen“ oder einer Raserei sehen. Eine derartige impulsive Handlung steht im direkten Widerspruch zu der Einbeziehung des gesamten Weges, der alle Momente, alle Sichtweisen, sowohl pro als auch contra, enthält. Dazu ist nur der imstande, der das Naturgesetz selbst gemacht hat. Aus diesem Grund heißt es im NT:

Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn.

Jak. 1:20b

Gnade und Liebe als Grundlage der Schöpfung

Die Grundlage der Schöpfung und somit auch die Basis der Naturgesetze, man könnte sagen das Zentrum von allem, sind Gnade und Liebe. Wie aber können diese jenseitigen Qualitäten, die auch einem scheinbar ungerechten Naturgesetz inhärent sind, in dem blinden Wüten eines Menschen einbezogen sein?
Der menschliche Zorn ist eine Vermessenheit, ein Wunsch, sich auf einen Thron zu setzen und so zu tun, als wüsste man Bescheid. Sobald sich aber der Mensch auf diesen Thron setzt, verliert er all sein Wissen und beginnt völlig blind zu schlagen. Deshalb ist Zorn nur demjenigen vorbehalten, der in diesem Moment alles überblickt, alles abwägt und alles Wesentliche weiß. Welcher Mensch kann das von sich behaupten?
Gerade weil der göttliche Zorn etwas ganz anderes ist, etwas, das nur Gott vorbehalten sein kann, manifestiert sich der menschliche Zorn in dem Gewand des Blindwerdens vor Wut, weil der Mensch nicht warten kann. Er müsste mit seinem Urteil sehr lange warten, ja es nur unter starken Vorbehalten abgeben, weil er die naheliegenden Ursachen und Umstände noch nicht einmal erahnen kann.
Und doch maßt sich der Mensch immer wieder Urteile an, wird zornig und das bedeutet nichts anderes, als dass er sich selbst auf den Thron Gottes setzen und so tun möchte, als wüsste und kontrolliere er alles. Deshalb wird menschlicher Zorn immer bestraft, weil er ein Akt des ez ha-da’ath (Baum der Erkenntnis) ist, d.h. ein Akt der Anmaßung, die Maßstäbe aus sich selbst zu nehmen, vorzugeben, alles zu wissen und zu überblicken.

… und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

1. Mose 3:5

Deshalb darf man auch in der Rechtssprechung nicht leichtfertig urteilen und bestrafen, sondern muss Zeugen, Ankläger und Verdächtige so ausführlich befragen, dass die Schlussfolgerung lauten muss: „Wir wissen es nicht“. Es ist nicht so, dass man menschlich gesehen nicht einen starken Verdacht in die eine oder andere Richtung haben könnte, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass eine bestimmte Handlung das Ergebnis von so vielen Dingen ist, die bis in die eigene Erziehung zurückreichen und Begebenheiten in der eigenen Jugend, vielleicht sogar Ereignisse der eigenen Vorfahren oder Nachkommen einbeziehen, so dass es unmöglich ist, ein wirklich absolutes Urteil zu fällen.
Deshalb die Regel, dass man immer versuchen muss, sich zu versöhnen und beide Parteien von deren Grenzen zu überzeugen, auch wenn für diese Welt eine Partei das Recht viel mehr auf ihrer Seite hat als die andere. Würde ein Richter im Zorn richten, würde er in der Tat nur Unglück verursachen, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für sich selbst, denn mit diesem Urteil im Zorn hat er sich auf den Thron Gottes gesetzt.

Feinde Gottes im Kleid der Mildtätigkeit

Viele neigen dazu, Passagen der Bibel auszuklammern, wo von Gottes Zorn gesprochen wird. Das passt nicht in ihr Bild, das sie sich selbst von Gott gemacht haben. Eigentlich aber sind gerade diese Menschen oft eifersüchtig darauf, dass Gott zornig sein kann, denn sie denken, dass er ebenso wie sie aus einer Art blinden Wut alles zertrümmert, und gerne hätten sie ihm diese „Arbeit“ abgenommen. Erfahrungsgemäß verkraften solche Menschen die gebotene Zurückhaltung nicht gut, so dass Unglück und Elend in ihnen entstehen; in der Konsequenz gehen sie ihren Weg missmutig, nicht-gönnend und mit Verdruss.
Lieber hätte man es, wenn Gott eine Art Vorbild für unser Mensch-Sein in dieser Welt geben würde, indem er selbst solcherlei schlechte Eigenschaften überwindet. Es wird dann vergessen, dass Gott selbst der Herr über Gut und Böse ist, dass es bei ihm keine Gegensätze gibt; dass das, was bei uns das Böse ist, weil es sich als Gegensatz zum Guten ausdrückt, bei Gott eine Einheit zwischen allem ist, weil Gott nicht ein Stück des Weges darstellt, sondern selbst der Weg inklusive Anfang und Ende ist, sonach auch die Gegensätze enthalten sind.
Wer sich folglich innerlich gegen Ausdrücke wie „Gottes Zorn“ wendet, wendet sich in Wirklichkeit gegen Gott, denn dadurch reduziert man ihn auf ein gewöhnliches weltliches Wesen. Letztlich will man es nicht wahrhaben, dass es also jemand gibt, der über diese Welt herrscht, jemand, der sich nicht in ein irdisches Bild einfangen lässt. Und dann rebelliert die Alte Welt, das Heidentum, in diesen Menschen. Sie werden einen Gott nicht tolerieren, der Eigenschaften hat, die wir uns nicht aneignen können, und deshalb werden sie ihn kritisieren. Natürlich ist jeder Beginn einer Kritik der Beginn einer Lawine, denn wenn ein einziger Buchstabe der hebräischen Bibel in Frage gestellt oder nicht für voll genommen wird, bedeutet das, dass das ganze Gebäude nicht mehr schließt und zusammenbricht. Die Menschen vergessen, dass Gottes Zorn genau das Gegenteil von dem ist, was wir als Zorn kennen. Wir sind dem Naturgesetz unterworfen, das Zorn ist, doch Gott ist auch Herr über die Naturgesetze, er kontrolliert und lenkt sie, aber nicht aus einer Wut und einem Beleidigt-Sein heraus, sondern aus Gnade und Liebe, so wie es durch die erste sephira, der chessed, in der Schöpfung als Beginn der Schöpfung aufgezeigt wird.

Gottes Zorn entzieht sich dem menschlichen Verstand

Sobald von Gott als dem Namen JHWH, 10-5-6-5, gesprochen wird, d.h., von Gott, wie er bei uns in dieser Welt ist, dann wird die Betonung darauf gelegt, dass dieser Name nur Barmherzigkeit und Liebe ist. Sobald aber Gott als übernatürliches Wesen auftritt, als der Name Elokim, dann wird von Gott als dem Richter gesprochen. Gott über der Welt als Richter ist nicht mit einem irdischen Richter zu vergleichen. Es ist gerade so viel Liebe auf Erden wie Gott als JHWH mit uns geht, denn außerhalb von ihm gibt es weder Liebe noch Gnade. In seinem Namen sehen wir die Verbindung dieser beiden göttlichen Eigenschaften in der 10-5 und der 6-5. Daher steht das Wort elokim im Plural, obwohl es eine singuläre Einheit ausdrückt. Es zeigt sowohl was es gibt, als auch das was es nicht gibt auf dieser Erde. Aus irdischer Sicht erscheinen die Dinge entweder einfach oder mehrfach, aber nicht beide gleichzeitig.
Man darf deshalb auch keine Angst haben vor einem sich rächenden Gott, der in zornigen Handlungen seine Lust blind wütend auslebt, die er aus menschlich irdischer Sicht haben müsste, denn das ist nichts anderes als die Angst vor einem Bild, das man selbst gemacht hat. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Ein solcher Mensch, der zürnen und rächen will, erwirbt das Äußere – auch in Bezug auf Veränderungen seines Organismusses – des Tieres, weil er mit diesem Verhalten zeigt, dass er intensiv und mit Nachdruck vom Baum der Erkenntnis isst, sich so bestimmend auf den Thron Gottes setzt, dass das, was beim ersten Nehmen vom Baum der Erkenntnis geschah, nämlich die Einkleidung in das Äußere des Tieres (kothnoth or in 1. Mose 3:21), erneut in Kraft tritt und sich bei ihm deutlich zeigt.
Deshalb wird ein zorniger und rachsüchtiger Mensch niemals geliebt, sondern nur gefürchtet. Darüber hinaus reizt er andere in ein gleichartiges Verhalten zu fallen, bzw. neigen diese dann dazu, ebenfalls mit Zorn und Rache nach menschlichen Maßstäben, also zerstörerisch, zu reagieren. Das entspricht der typischen Anziehungskraft einer Sünde, die immer einen destruktiven mitreißenden Charakter hat, so wie Wassermassen der Schwerkraft folgen und erbarmungslos und ungeachtet aller Konsequenzen mitreißen, was sich in den Weg stellt.
Sehen sie sich das verzerrte Gesicht eines zornigen Menschen an, wenn er in Rage ist. Von einem Antlitz eines Menschen, der im Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, ist dann nichts mehr zu erkennen. Das sollte uns nachdenklich über die Eigenschaften machen, die Gott ausschließlich für sich beansprucht. Sich selbst zur ausführenden Instanz von Gottes Gerechtigkeit zu machen, mündet in ein sofortiges Herabgestoßen-Werden auf das Niveau eines Tieres. Der Zorn ist keine menschliche Eigenschaft, weshalb der Mensch stets auf der Hut sein muss, Gefühle des Zornes, die aus der isolierten Beurteilung des Augenblicks entstehen, freizulassen. Andernfalls richten sich diese Aggressionen gegen den Menschen, der ihnen keinen Einhalt gebietet.
Es ist daher sinnlos, zu versuchen, ausführlich zu erklären, was mit dem Zorn Gottes oder der Rache Gottes gemeint ist, denn diese Dinge lassen sich ebenso wenig mit Worten erklären wie die Tatsache, dass Leben und Tod eins sind, dass Gut und Böse eigentlich eins sind, dass freier Wille und Prädestination ein und dasselbe sind. Wer sich damit beschäftigt, diese Dinge mit unserem logischen Verstand zu erklären, ist dabei, sich ein Bild von Gott zu machen, und begeht damit eines der fundamentalsten Vergehen: Er überschreitet seine menschlichen Grenzen.
Es ist nur etwas, das denen vorbehalten ist, die das ganze Gebäude – man sollte sagen, den ganzen Palast – der Wohnung Gottes kennen, und diese werden darüber lachen, wenn sie von einem sich rächenden Gott hören, der Angst und Schrecken verbreitet. Dieser rächende Gott ist nichts anderes als der Gott der Liebe. Um das zu begreifen, muss man jedoch zuerst die Liebe entlang des irdischen Weges wirklich erkennen und bei sich selbst erfüllen. Solange man von einem rächenden und zornigen Gott im menschlichen Sinne spricht, zeigt man eher, dass man selbst keine Liebe erfahren hat, obschon man vielleicht viel davon redet. In der Umkehrung aber wird der Mensch erkennen, dass der rächende Gott identisch ist mit dem liebenden. Dieser Punkt ist zugleich das Ende der Logik.


Basierend auf handschriftlichen Notizen von Friedrich Weinreb, die unter dem Titel „ritme en rijm“ in NL veröffentlicht wurden.