David gegen Goliath ist eine Begegnung, die sogar Menschen ein Begriff ist, die keinerlei Bibelkenntnisse haben. Das allgemeine Verständnis ist, dass der Kleine gegen den Großen oder der Schwache gegen den Starken gewinnt.
Der biblische Kontext in 1. Samuel 17 zeigt, dass Goliath erst in Zusammenhang mit David seine Bedeutung erhält. Vorher spielt er überhaupt keine Rolle. Auch steht sein Name nie alleine. Immer erhält er einen Zusatz: Goliath, der Philister oder Goliath aus Gat bzw. der Gatiter wird er genannt. Für sich alleine ist er ein Unbekannter, eigentlich ein bemitleidenswerter Mann. Nur in Verbindung zu seiner Herkunft ist er jemand.
Goliath hat das gemacht. Wer? Na, Goliath, der Philister. Ach, der!
Seine Minderwertigkeit wird im Hebräischen noch benachdruckt. In 1. Sam. 17:4 heißt es GOLIATH SCHMO, also „Goliath (ist) sein Name“ (nicht „Sein Name ist Goliath“). Sein Name steht vor dem Ausdruck SCHMO (sein Name), weshalb er als Böser in der Überlieferung gilt: „Die Bösen nennen ihren Namen immer zuerst“. Bei den Zaddikim („Gerechten“) wird zuerst SCHMO gesagt und dann folgt der Name (die Übersetzungen werfen das durcheinander, sodass die Bezüge leider nicht mehr erkannt werden können).
Der Grund hierfür liegt in der Antwort auf die Frage: Wer steht an erster Stelle? An erster Stelle steht HaSchem (JHWH, siehe Ex. 15:3) und wer sich selbst an die erste Stelle setzt, nimmt dessen Platz ein. Durch das Voranstellen des Nächsten in einer Aufzählung bekundet man, dass man Gott im Nächsten erkennt.
Goliaths „Kompetenz“ ist sein großes Mundwerk oder etwas philiströser ausgedrückt sein großes Maul, dessen er sich obendrein rühmt: „Ich habe die Schlachtreihen Israels verhöhnt an diesem Tag!“ (1. Sam. 17:10)
Zum Verhöhnen (CHARAPH) kommt ein Mensch, wenn sich bei ihm alles abkühlt und er sich zur Kälte hingezogen fühlt. CHARAPH (חרף) ist „das Herbeibringen des Winters“. Goliath ist ein solcher kalter Typ, heute eher „cool“ genannt. Super cool, so ein körperlich imposanter Typ! Saul ist vollends beeindruckt von Goliaths Gehabe und weiß manches von ihm zu berichten.
Ach Saul, ist dir nie aufgefallen, dass Minderwertige untereinander das Schauspiel nicht durchschauen und das Sich-Darstellen als Stärke fehldeuten?
David, der Geliebte, spürt, dass sich hinter der Fassade nichts verbirgt. Wer Gott so verhöhnt, kann keine Stärke haben. Nur charakterschwache Weichlinge treten als Lästerer auf! Das entflammt David, dessen Feuer die Spreu namens Goliath verbrennen wird.
Davids herausragendes Talent war, dass er „zu spielen verstand“ (1. Sam. 16:18). Das bezieht sich, wie ein alter Kommentar anmerkt, nicht nur auf sein Musizieren, sondern auf alle seine Fähigkeiten. Er verband alle Themen des Lebens spielerisch und bei ihm wirkt alles „einfach, wie von selbst“. Professionalität ist dadurch charakterisiert, dass alles spielerisch wirkt. Ein virtuoser Pianist spielt scheinbar vollkommen mühelos spielerisch komplexeste Kompositionen, doch steckt jahrelanges intensives, streng diszipliniertes Üben dahinter, das niemand gesehen hat.
Diese Disziplin war nicht angeordnet, sondern ergab sich aus dem Empfinden: Das ist es – das ist mein Weg! Und dann ist jede Herausforderung eine Begegnung mit Goliath. Ich kann das schaffen! Warum? Weil es mein Weg ist und Gott mich genau dazu hierher gebracht hat. Immer wieder bläst sich etwas vor uns auf und stellt alles infrage. Dieses Aufgeblähte wird verglichen mit der Spreu, die das nährende Korn enthält.
David durchschaut es. Er achtet nicht auf Goliaths Werdegang wie Saul und auf dessen Erscheinung, er hört genau hin, als Musiker lässt sich sein geschulter Sinn für das, was man Stimmung nennt, nicht täuschen.
David wertet sogar „rückwirkend“ seine Ahnen auf. Bei seiner ersten Nennung im Buch Ruth (4:17) werden seine Wurzeln genannt und es wird direkt auf ihn verwiesen. Es wirkt, als wollte man sagen: Diese ganze Reihe erhält nur durch David ihren Sinn. Wenn man einen wertvollen Kronenleuchter an der Decke eines Palastes bewundert, so achtet man kaum auf die Kette, an der er mit seinem ganzen Gewicht hängt. Die Kette hält ihn und gibt ihm seinen Ort. Würde die Kette reißen, wäre das Schicksal des Kronenleuchters besiegelt. Was uns bis hierher gebracht hat, ist eine solche Kette, die wir nicht verachten, sondern wertschätzen sollten.
Goliaths Ära endet dort, wo Davids eigentlicher Weg beginnt. Goliath stammt von Orpa, David von Ruth. Was einst ein friedliches Auseinandergehen war, mündet in einen Kampf auf Leben und Tod. Manche Entscheidungen bringen Konsequenzen mit sich, die zu Beginn nicht absehbar sind.