Die Inflation des Wortes


Man kennt gegenwärtig die sogenannte Inflation des Wortes. Früher war es äußerst schwierig, bestimmte Dinge aufzuschreiben. Man verfügte kaum über geeignetes Schreibmaterial, ganz zu schweigen davon, dass kaum jemand schreiben oder lesen konnte. Dadurch war das, was aufgeschrieben wurde, von viel höherer Bedeutung. Dinge die selten sind behandelt man mit Achtung und Würde. Für jemand, der durch die Wüste reist, ist Wasser wertvoller als Gold. Wir brauchen nicht über Dinge nachzudenken, die uns leicht kommen. Deshalb ist das heute von uns Gelesene und Geschriebene oft ohne weitere Bedeutung für uns. Wir merken schon gar nicht mehr, was wir lesen, weil wir zu viel lesen; schmecken das Wort nicht mehr, haben kein Bedürfnis mehr zu überprüfen.

In gewisser Hinsicht wurde vor Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden mehr aufgeschrieben als in den vielen Büchern, die heute erscheinen. Wenn man nicht viele Möglichkeiten hat, muss man sich auf das Wesentliche beschränken. Wenn man damals etwas las, war man sich dessen bewusst, dass in den wenigen Worten viel Sinn enthalten ist. Damit hatte man mehr als genug. Ein Bedürfnis nach mehr entsteht nur, wenn Worte in einer Kombination gebraucht werden, die das Tragen eines Sinnes unmöglich macht. Worte als Füllstoff … So spricht man heute vielerorts von Nahrungsmitteln anstatt von Lebensmitteln. Ein Russe erzählte mir vor vielen Jahren, er habe im Krieg Sägemehl gegessen, nur um sein Hungergefühl loszuwerden. Der moderne Mensch hungert und zeigt es durch seine Gier nach mehr. Noch mehr Sägemehl! Doch darin sind keine Nährstoffe, die uns am Leben erhalten könnten.
Das irdische Brot sättigt die Seele nicht. Der Mensch lebt, wie es in 5. Mose 8,3 heißt von allem (hebr. kol, 20-30) was aus dem Mund des Herrn (JHWH) geht. Jesus zitiert den Vers in Matth. 4,4 mit der Ergänzung „sondern von jedem Wort, das durch <den> Mund Gottes ausgeht.“ Für Jesus ist demnach das Wort alles. Der Begriff, der im Griechischen für „Wort“ an dieser Stelle verwendet wird, lautet rhema, welcher von rheo (reden) stammt. Rhema ist in erster Linie die Rede. Auffällig ist, dass dieser Begriff ausgerechnet in diesem Zitat das erste Mal im Neuen Testament vorkommt.

Verbindet man rheo, das Reden, mit der Kunst (gr. techne), wird daraus die Rhetorik, die aber auch mit „technische Rede“ übersetzt werden kann. Kunst (gr. techne) und Technik (gr. technes) sind in dieser Sprache dem Stamme nach identisch. Es ist das Wort, mit welchem man schönredet, manipuliert; Rhetorik ist ein Sprechen „um zu“, also eine Absicht enthaltend. Esau wird im alten Wissen die Fähigkeit der Rhetorik zugeschrieben:

Wenn man glaubt, mit Worten so überzeugen zu können, dass der andere damit eingefangen wird, ist man Esau, der Jäger mit dem Mund. Dann entsteht das Gefühl, Macht zu haben über das Wort. (Weinreb, Wort, Sprache und Sprechen)

In Apg. 17,29 heißt es:

Da wir nun Gottes Geschlecht sind, so sollen wir nicht meinen, dass das Göttliche dem Gold oder Silber oder Stein, einem Gebilde der Kunst und der Erfindung des Menschen, gleich sei.

Hier finden wir das Wort techne wieder. Gott lässt sich in dieses Kleid nicht zwingen.

Heute ist das Wort billig geworden. Wir sind von Vielheit in jeder Hinsicht umgeben. Man gebraucht die Rede um des Nutzens willen und ist sich nicht mehr dessen bewusst, dass die Welt durch das Wort besteht. Der Segen der Vervielfältigung des Wortes durch Maschinen (Druck / Computer) ist ein typischer Kain-Segen. Kain bekommt die Technik, geht den leichten Weg, aber genau dadurch wird die Welt unerträglich. Das Geschlecht Kains besteht, wie ein Midrasch sagt, großteils aus Dämonen. Damit sind die Menschen gemeint, die nur noch technisch denken können, die großartige Motoren entwickeln, Flugzeuge konstruieren und die Elektronik in alle Lebensbereiche einfließen lassen. Sie können in der Tat das Leben einfacher und angenehmer gestalten. Diesem Geschlecht wird der Fortschritt regelrecht in den Schoß geworfen. Das Geschlecht Kains steht repräsentativ für diese Entwicklung. Genau dadurch verliert alles seine Würde. Was ist heutzutage noch wirklich besonders? Überall hängt die Technik dazwischen – der Mensch hat längst die Beziehung zum Leben verloren. Doch glücklich wird damit niemand, denn auf all dem Fortschritt ruht der Fluch Kains, welcher lautet: „Wir haben es erhalten, weil wir etwas anderes umgebracht haben.

Freie Übersetzung einer niederländischen Notiz Friedrich Weinrebs mit eigenen Ergänzungen.

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Autor: Dieter Miunske