Die letzte Generation

image_pdfimage_print

Jeder Mensch wird nur nach den Maßstäben der Zeit beurteilt, in welcher er lebt. Mit jeder Generation erfolgt ein Sprung auf einen Kreis, der noch weiter außen vom Zentrum entfernt liegt. Den letzten Kreis nennt man die 10. Generation, sie ist damit auch die letzte Generation innerhalb eines Zyklus. Noach ist jemand, der in einem solchen Geschlecht lebt und als zaddik (Gerechter) zählt. In einer anderen Situation, auf einem engeren Kreis, hätte er zu wenig Gewicht gehabt, aber für den letzten Kreis genügte sein Gewicht, um nicht gänzlich abzudriften.

Weinreb, NL, Notizen

Am Ende explodiert alles in Vielheit und Vielfältigkeit, doch der Überfluss mündet in Übermut und Langeweile, aber man ist stolz darauf, es geschafft zu haben Gott los und selbstständig zu sein. Alles funktioniert auf Knopfdruck, die Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Noach lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Viele Möglichkeiten bedeuten oft keine Vereinfachung, sondern eine komplexe Welt, die für die Mehrheit zu kompliziert wird.
Die Wörter für „zehn“ und „reich machen“ werden im Hebräischen identisch geschrieben (essér und aschar, 70+300+200), wenngleich auch unterschiedlich ausgesprochen – man leitet daraus ab, dass der Charakter einer 10. Generation mit großem Wohlstand einhergeht:

Das Geschlecht der Sintflut ist durch nichts anderes übermütig geworden, als durch das Zuviel des Guten, das der Herr ihnen gab.

Sagen der Juden

Gemäß dem Midrasch Tanchuma gleichen sich das Geschlecht der Sintflut und das des Turmbaus von Babel darin, dass sie von den vorherigen Generationen nichts übernehmen, sondern deren Erkenntnisse und Traditionen als überholt brandmarken. Weiter wird von ihnen gesagt, dass sie keinerlei Reue für irgendetwas zeigten. Sie hatten sehr hohe Ansprüche für sich selbst, wodurch der Raub zum größten negativen Merkmal dieser Generation wurde. „Rauben heißt, du hast gerechnet anstatt zu lieben.“, sagt F. Weinreb. Daraus entsteht das forcierte Nehmen, ohne etwas geben zu wollen. Es entspricht dem Mechanismus des akuten Asthmas: Man kann problemlos einatmen, aber die Ausatmung ist nur noch schwer möglich.

In einer anderen Generation wäre Noach nicht aufgefallen, denn er war eigentlich kein großer Mann, aber unter seinen Zeitgenossen stand er tatsächlich am höchsten. Dieses Prinzip gilt für alle Zeiten: Wer sind wir selbst in unserer Generation? Die sogenannte letzte Generation bringt keine besonderen Persönlichkeiten mehr hervor. Wenn die Hohen einer Gesellschaft schwach und charakterlos sind, ist der Umbruch nah, doch jede Zeit hat ihren Noach, der den Plan für den Bau der Rettung (tebah / Arche) erhält. So bekommen alle, die in einer charakterlosen Zeit Trost statt Vergeltung spenden (Noach, von nacham, 50+8+40, trösten) Einsicht darein, wie die in der Zeit gewachsenen Dinge (die Hölzer) zusammengesetzt werden müssen, sodass sie nicht in der Flut der Zeit untergehen.

Im Portugiesischen heißt „trösten“ consolar, das Wort bedeutet wörtlich „mit Sonne“. Trösten bedeutet in diesem Fall die Sonne wieder scheinen zu lassen. Die Sonne ist außerirdisch, sie kümmert sich nicht um menschlich irdische Konflikte, sie scheint einfach ohne Wertung, spendet Licht und Wärme, welche grundlegend für das Leben sind. Sie macht es genau umgekehrt wie das Geschlecht der Sintflut: Sie gibt, ohne etwas dafür zu verlangen. Im Hebräischen bedeutet das Wort für „Sonne“ zugleich „dienen“ (schemesch, 300+40+300).
Sind wir imstande, ohne Wertung das weiterzugeben, was das Leben aller fördert? Diese Eigenschaft kennzeichnet den zaddik (Gerechten), wie auch Noach genannt wird, denn zedek, 90+4+100, gerecht, bedeutet im Hebräischen auch „entlasten“, und genau das macht jemand, der „mit Gott wandelt“ (1. Mose 6:9), er nimmt seinem Nächsten die Last ab, indem er aufzeigt, auf welche Weise alles miteinander zusammenhängt, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, denn die Arche trägt jeden Charakter (Tiere) durch die Zeit, insoweit sie sich rufen lassen.