Die Prüfung am Ende

Friedrich Weinreb in Das Buch von Zeit und Ewigkeit

(…) am Ende der Zeiten ist ja alles in allerbester Ordnung. Du hast dann so viele Möglichkeiten, Druckknopfmöglichkeiten. Du hast ein Druckknopflicht, einen Druckknopfstaubsauger, einen Druckknopfkrieg … – alles ist nur eine Frage des Druckes auf einen Knopf, dann kommt alles, was du haben willst. Wenn du lesen willst, bekommst du durch einen Druck auf den Knopf das Buch, das du haben möchtest. Der Inhalt des Buches wird dir vorerzählt (Hörbuch). Du brauchst nicht einmal mehr aufzustehen, um es zu holen. Es kommt einfach von selbst zu dir. Die Welt ist dermaßen in Ordnung, dass du auch niemals mehr Zeit für etwas anderes hast. Vom Himmel ist keine Rede mehr. Das ist die Prüfung des Endes der Zeiten. Soll man dann, wenn das Leben so überaus in Ordnung ist und fast jeder zu den »Völkern« gehört – nicht in Bezug auf die Rasse, sondern auf die Einstellung – mit ja antworten, wenn gefragt wird: Gibt es überhaupt noch jemanden, der in einer »sukka« (Laubhütte, der Hütte mit dem freien Blick zum Himmel) wohnen könnte? Nicht, um damit anzugeben, dass man so bescheiden wohnen kann. Das wäre nur Faulheit und Bequemlichkeit. Bescheidenheit ist nicht etwas, was man an den Tag legen kann. Man darf sich ihrer nicht einmal bewusst sein. Wenn man sich dessen bewusst ist, dass man bescheiden ist, ist das das Gefährlichste, was es gibt. (…) Es geht also nicht um eine Demonstration von Bescheidenheit und Demut und Einfalt, es geht darum, bescheiden und demütig zu sein. Das ist also der Begriff vom Ende der Zeit, wo die Völker geprüft werden. Am Ende der Zeit gibt es nur noch Völker. Die wenigen Einzelnen, die noch übrigbleiben, die paar, nun ja, die sind längst weggelaufen und haben sich versteckt, denn dann ist es nicht mehr auszuhalten. Es ist dann außerdem äußerst gefährlich, wenn man auffällt.

Es gibt da eine Geschichte im Talmud, im Traktat Joma, in dem von zwei Tannaim berichtet wird, zwei Menschen, die für die Redaktion des Ganzen verantwortlich sind. Sie sprechen miteinander über das Ende der Zeit. Der eine sagt kopfschüttelnd: »Was für ein sündiges Geschlecht, dort am Ende der Zeit!« Darauf sagt der andere, nachdem er ein Weilchen nachgedacht hat: »Nun ja, was heißt schon sündig … wenn du und ich dort wären, würden wir wahrscheinlich keine Sekunde zögern, alles, was wir jetzt an Verantwortung tragen, von uns zu werfen und bei allem mitzumachen, während wir jetzt die großen Meister der Niederschrift der Offenbarung, der mündlichen Überlieferung, sind.«
Diese Zeit ist also derart, dass man dann sogar bei ihnen damit rechnen muss, dass sie es nicht mehr ertragen können. Sie machen dann auch mit, es ist so selbstverständlich, und es wäre so gefährlich, nicht mitzumachen, dass ihnen beinahe keine Wahl bleibt. (…) So ist das Ende der Zeit tatsächlich ein Zustand, der trotz allem nach einer »sukka« verlangt. Die Menschen wollen sie nicht. Sie wollen in Ruhe gelassen werden, im Wohlstand leben, ab und zu mit kleinen Konzessionen um des lieben Friedens willen. Aber sonst immer nur Wohlstand, Fortschritt.