Die Vertreibung der Völker

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Das alte Heidentum in seiner Form und Kraft, starb, weil mit der Zerstörung des 1. Tempels der Kern hier so geschwächt wurde, dass, wenn das starke Heidentum an seinem Platz im Kreis geblieben wäre, die Welt nicht hätte fortbestehen können. Das Exil des Kerns musste ein Exil der Kreise beinhalten, also einen Wechsel des Ortes, der Form, der Macht, eine Trübung all dessen, denn schließlich sind die Kreise vom Kern abhängig.
Die Körper wurden schwächer, der Geist wurde schwächer, die großen Menschen wurden schwächer und alles nahm ein Niveau an, das nicht mehr mit dem vorherigen zu vergleichen war, und so kam ein neuer Kern, natürlich auch getrübt und verwirrt, aber dennoch ein Kern, der das andere nähren sollte.
Und dieser neue Kern bestand eben aus der Anwesenheit und dem Kommen der Völker, die den einen Gott kannten und sich – wenn auch oft verzerrt – noch auf ihn ausrichteten. So entstanden das Christentum und der Islam, und die alten heidnischen Religionen verloren ihre Macht. Auch die Wunder, die das antike Heidentum unbestreitbar vollbrachte, sind in unseren Augen verschwunden; das Orakel von Delphi spricht nicht mehr, und auch alle anderen heidnischen technischen Wunder sind in sich zusammen gefallen.
Die Menschheit verstand nicht mehr, wie es funktioniert hatte, warum es so funktioniert hatte. Auch ihr Denken und Verstehen änderte sich; sie fanden bestimmte Dinge, die bis dahin logisch waren, auf einmal unlogisch. Man könnte es mit der Situation vergleichen, dass plötzlich unser elektrisches Licht oder unser Radio und dergleichen nicht mehr funktioniert, obwohl wir wussten, dass es bis vor kurzem noch einwandfrei funktionierte. Und wenn dann all diese Dinge nicht mehr in der Weise ihren Dienst verrichten, wie wir es gewohnt waren, würden wir ihre grundlegenden Theorien nicht nur vergessen, sondern sie einfach als Unsinn abtun, weil sie einfach nicht mehr funktionieren.

So veränderte die Welt tatsächlich ihr Aussehen mit der Beseitigung des beth ha-mikdash (1. Tempels) und dem Beginn des Exils. Darum wurde gerade an der Grenze der Keim für eine neue Welt gelegt, weil nur so den Völkern die Kraft des alten Kerns zufällt, der bewirkt, dass sie in der neuen Welt nicht nur leben können, sondern auch die Möglichkeit haben, Offenbarungen zu erhalten.
In Sacharja heißt es, dass die Namen der anderen Götter vergessen wurden.


Und es wird geschehen an jenem Tag, spricht Haschem Zva’oth, da werde ich die Namen der Götzen (hebr. azabim, 70+90+2+10+40 = die dich bekümmert, geärgert und verletzt haben) ausrotten aus dem Land, und man wird sich nicht mehr an sie erinnern; und auch die Propheten und den Geist der Unreinheit werde ich aus dem Land wegschaffen.

Sach. 13:2

Diese anderen Götter haben ihren Ort verloren. Man wusste nicht mehr, was sie waren und man konnte, modern ausgedrückt, nicht mehr mit ihnen rechnen, denn ein Name ist eine Formel, eine Beziehung, ein Name stellt Verbindungen her.
Aber wie alles getrübt wurde, so wurde auch das getrübt, was als Kern, d.h. als Licht für die Welt, dienen sollte. Die Menschen verstanden die Bibel nicht mehr; sie lasen sie zwar noch, sahen jedoch nur noch die äußeren Entsprechungen des Textes, denn ihr Verstand war bereits zu stark getrübt, um zum Wesen durchdringen zu können. So kam es zu dem, was wir schuttaf, 300+400+80, nennen: Teilhaberschaft.
Es entstand eine Art partnerschaftliche Beziehung zwischen dem wirklichen Glauben, dem wirklichen Wissen und verschiedenen Überbleibseln des Heidentums, wobei zugegeben werden muss, dass die Religion der Völker im Wesentlichen richtig ist, nur in ihrer Erscheinung oft sehr getrübt ist, so dass sie selbst nicht mehr wissen, was ihre Religion ist.
So entstand das, was wir ta’ut, 9+70+6+400, den Irrtum, nennen. Man wollte das Gute, aber weil man sich nicht mehr gut auskannte, kam man oft zu falschen Schlüssen. All dies hat sich nicht nur im Christentum und im Islam, sondern auch im Judentum fortgesetzt. Sie verstrickten sich in alte Philosophien, in die arabische Wissenschaft und in indisches Wissen. Römische, griechische, ägyptische und persische Ideen wurden übernommen, sie fingen an zu kombinieren und untereinander Bezüge herzustellen, und natürlich endete das Ganze in einem schrecklichen Durcheinander, bei dem es eigentlich ganz gut war, dass man vergaß, dass der Kern in der Bibel klar und deutlich zu finden war. Das ändert nichts an der Tatsache, dass das Streben, der Wille dieser Völker sicherlich gut war und dass diese Religionen tatsächlich als wahr für diese Welt angesehen werden sollten.


Wir sehen also, wie das alte Heidentum gerade in dieser ersten Zeit nach dem Aufkommen des Christentums verschwand. Wir sehen noch die letzten Zuckungen, die Nachwirkungen unter Julianus Apostata (röm. Kaiser 360-363), aber dann auch die große Völkerwanderung. Die alten Völker, die ihre Religion auf ihrem Boden hatten, die diesen Kontakt mit der Erde kannten, wurden von diesen Orten weggerissen, von den Orten, aus denen sie entstanden waren und wo sie geformt wurden, mit denen sie gerade eine solche Kraft und intensiven Kontakt erworben hatten, und so wurden sie an ganz andere, neue Orte gesetzt, was bedeutete, dass auch die Bedeutung ihrer Religion weitgehend verschwand.
Genauso wie man heute sagen würde, dass man kein Wissen über Ölförderung braucht, wenn man in ein Land kommt, in dem es kein Öl gibt; in dem man keine Industrie haben könnte, wenn es weder Kohle, noch Erze oder dergleichen gäbe. Wir verstehen die Verbindung mit einem Land fast nur auf diese Weise, aber das ist bereits ein sehr flaches Verständnis.

Schafe auf der Weide
Tiere haben eine direkte Verbindung zur Erde

In Wirklichkeit ist die Verbindung zwischen dem Tier und dem Boden viel stärker, und es ist genau diese tierische Verbindung, die das Heidentum kannte, man könnte fast sagen, in gleichem Maße wie das alte Israel die Verbindung zu Gott kannte war das Heidentum mit dem Boden verbunden. Deshalb wurden die Völker, nachdem sie besiegt worden waren, aus ihrem Land vertrieben und anderswo angesiedelt. Wir sehen das sehr deutlich an den Eroberungskriegen der Assyrer und Babylonier, denn sobald diese Völker kollektiv an einem anderen Ort untergebracht wurden und das Land, in dem sie zuerst kolonisiert wurden, von anderen besiedelt wurde, verloren sie ihre Stärke. Das ist auch einer der Gründe, warum das alte Israel aus dem Land vertrieben wurde, weil es begann, den Kontakt mit der Erde zu verstehen und diese auszubeuten. Die Erde wurde für dieses Volk gefährlich, und deshalb musste diese Verbindung gelöst werden.


Der Kontakt mit dem Grund, mit der Erde, ist eigentlich das sich Klammern an den Kreis, an die 2, und von dorther versucht man dann zum Kern, zur 1 zu gelangen. Gleichermaßen ist das sich Klammern an den Körper zugleich ein Klammern am Kreis, weshalb der Körper zur Gefahr werden kann. Um das Wesentliche des Menschen, sein Inneres, seinen Kern zu retten, muss der Körper entmachtet werden. Schon zu Beginn wird die Schlange als Körper entkräftet.
Und wir lesen auch, wie die Könige von Assyrien und Babylonien – nachdem sie das Land von anderen, wiederum fremden Völkern besetzt hatten – immer noch jüdische Priester kommen ließen, weil die anderen (die Neubürger) nicht wussten, wie sie mit dem Land umgehen sollten. Wir würden heute sagen: „Dann holen wir die Techniker, die Ingenieure, die sich mit den Bodenarten und dem Bergbau auskennen“; aber wir sehen, dass damals der Begriff „Techniker“ eine ganz andere Bedeutsamkeit hatte, oder besser gesagt, wir haben dem Begriff „Priester“ eine völlig idiotische und falsche Bedeutung gegeben.
Als das Land zu einer Gefahr wurde, wurde es weggenommen, so wie man sieht, dass die Körper weggenommen werden, wenn sie zu einer Gefahr für den Menschen werden, und ebenso haben wir gesehen, dass der Körper sterblich wurde, nachdem dieser am Baum der Erkenntnis zu einer großen Gefahr für den Menschen geworden war.


Und so kamen die Völker nach dem Aufkommen des Christentums in Bewegung, wurden von ihrem Grund und Boden gelöst, worin sie von Anfang an verwurzelt waren, und wurden in ganz andere Regionen verpflanzt, wo sie für andere Dinge, die nichts mehr mit der Kraft ihrer Muttererde zu tun hatten, empfänglicher wurden.
Man kann dies auch am Untergang der Welten der Könige von Edom und dem Eintritt Israels in diese Welt sehen. Es lässt sich sagen, dass das Absterben der alten Welt in allen Sphären stattfand und sich so auch in der Wegnahme der Völker ausdrückte, wie sie hier auf Erden lebten, dass sie also einen neuen Körper in einem neuen Klima erhielten, wodurch sie im Laufe der Jahrhunderte auch für das Christentum empfänglich wurden.
Denn es waren vor allem die europäischen Völker, die das Christentum empfingen und die ursprünglich aus den Regionen des alten Assyriens und Persiens kamen. So wurden auch sie bei der Ankunft auf der neuen Erde durcheinandergebracht, so dass die Reinheit ihres Daseins und ihrer Kräfte, wie auch alles andere in der Welt, getrübt und durcheinandergeworfen wurde; ebenso sehen wir, wie der erste Mensch – je weiter die Entwicklung ging – in späteren Jahrhunderten immer mehr eintrübte und verwirrt wurde, wie es sich dann auch durch Einzelne beispielhaft zeigte, die in der Geschichte bekannt wurden.
Deshalb sind die Kriege von Babel, Persien, Griechenland und Rom so grundlegend, denn sie haben die alten Völker und ihr Heidentum vernichtet. Und so konnte in den ersten 1000 Jahren die Welt, d.h. das äußere Erscheinungsbild der Welt, insbesondere Europa und seine Umgebung, vom Christentum und vom Islam erobert werden, und damit wurden nicht nur Reste des alten Heidentums vernichtet, sondern sie bekamen auch einen ganz anderen Aspekt, weil der Kern anders geworden war.
Aber nun, als Folge dieses geschwächten Kerns, entstand eine neue Art von Heidentum, das im Wesentlichen natürlich dasselbe ist wie das alte und genauso gefährlich wie das alte, weil die Entmachtung auch den Kern betroffen hatte. Und dieses Heidentum erwartet nun vom Kern her den Einfluss, die Erlösung zum Besseren. So wie der Körper geschwächt hervorging, wurde auch jeder Kreis als solcher geschwächt, wodurch die Verführungskraft des früheren Körpers und des früheren Kreises gemindert wurde.
Auf die gleiche Art und Weise sind auch die Völker in ihrem Heidentum eine Art schwächere Ausgabe des Originals; aber gerade weil der Kern nicht mehr der alte ist, ist es dennoch genauso gefährlich und in seinen Grundzügen selbstverständlich vollkommen identisch mit dem alten Heidentum.
Es ist immer die Frage nach dem Baum der Erkenntnis, nach der Wahl der Maßstäbe, die darüber entscheidet, ob es sich um Heidentum handelt oder nicht. Diese Welt der letzten 2000 Jahre kann als die 2. Welt im großen Zyklus gesehen werden, also in einer abgeschwächten Form im Vergleich zur ersten, aber mit der großen Vereinigung mit dem Ursprung an deren Ende. Gerade weil die Schwächung so stark und aussagekräftig ist, wird die Überraschung bei der Begegnung mit dem Ursprung umso größer sein.

Freie Übersetzung eines NL-Artikels Friedrich Weinrebs um 1950.