und wem wird gehören, was du bereitet hast? (Lukas 12:20)
Das ist ein Zitat aus dem bekannten Gleichnis in Lukas 12 über den Mann, der seine Scheunen abreißen und neue bauen will, um seine Seele in Sicherheit zu wiegen.
„Und will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und sei guten Muts!“
Selten hört man jemand davon sprechen, dass er Vorrat für seine Seele sammelt. Der Mann kümmert sich seiner Auffassung nach um die Belange seiner Seele, ist das nicht aller Ehre wert? An sich schon, aber nicht mittels eines Reservoirs. Die Seele lebt nicht aus Vorräten, es gibt keine Konserven für sie, weil nur der jetzige Moment ihre Nahrung bereitstellen kann – nichts ist frischer als das Jetzt. Vom Erwachsenen erwartet man, dass er warten kann und geduldig ist, kleine Kinder wollen alles sofort erleben. Dieses „Jetzt erleben Wollen“ ist auch ein Ansinnen der Neschama, die permanent zum Ewigen zieht. Sie steht immer an der Grenze zur anderen Welt, doch der Reiche denkt, dass die Seele etwas Zeitliches ist, und ihr Ort doch nur hier sein kann.
Unsere Welt von Raum und Zeit ist im alten Wissen die Nachtwelt. „In dieser Nacht“ bedeutet „in diesem Leben hier“, „wird man deine Seele von dir fordern“, wörtlich „zurückerbitten“ [ἀπαιτέω (apaiteo)]. Warum? Weil du sie nicht nährst, sie nicht am Leben teilhaben lässt, die Freude im Alltag nicht suchst und den Blick für die schönen Dinge des Lebens verloren hast. Stattdessen baust und füllst du neue Scheunen und vertröstest deine Seele auf irgendwann. Scheune heißt im griech. Original „Apotheke“ [ἀποθήκη]. Sie ist ein Ort, wo etwas aufbewahrt wird, was nicht jedem zugänglich sein soll. Das hebr. Wort für Scheune, asam, 1-60-40, bedeutet auch „sich auf einen Punkt konzentrieren“, sammeln und zusammenbringen. Deshalb versteht man im alten Wissen unter einer Scheune auch das Gedächtnis und das Erinnerungsvermögen. Plötzlich gibt es so viel zu lernen und man denkt, es würde der Seele helfen …
Wenn ein Mensch durch konzentriertes „gesammeltes“ Denken gewaltsam in Bereiche gelangen will, die dem Verstand versagt und die ohne Missachtung einer Grenze unzugänglich sind, wird dessen Seele zurückgebeten, d.h. von ihm abgetrennt werden, um zu ihrer oberen Wurzel zurückzukehren. Der Betroffene bleibt seelenlos zurück, heißt es in der Überlieferung.
Das Gleichnis mündet in der Frage „wem wird gehören, was du bereitet hast?“ Es geht hierbei nicht um irdischen Besitz, der sowieso irgendwann zerfällt, sondern um Einsichten und Erkenntnisse, die man sich angeeignet hat, mittels derer man imstande ist seelenloses Leben zu nähren, denn dieses tritt jetzt in Erscheinung.
Der Mensch als Behausung bekommt dann neue Bewohner, denen die Vorräte in seiner „Apotheke“ sehr hilfreich sein werden. Seine Interessen werden sich ändern und seine Ausrichtung wird kühl und um Nutzens willen sein. Das, was einen Menschen ausmacht, weicht dann dem Überheblichen, Kalten, Abartigen, Verachtenden, kurz: dem Dämonischen. In diesen Zustand kann ein Mensch schon alleine dadurch gelangen, dass er Freude daran empfindet andere zu beherrschen. Die Art seines Sprechens ist dann eine Streuung von Samen, aus denen kein neues Leben hervorgeht, sondern solches sogar zerstört.
Mit den gleichen Zeichen wie asam (Scheune, sammeln) wird auch ma’as, 40-1-60, geschrieben, das man mit verwerfen, verschmähen und verachten übersetzt.
Etym. gibt es noch eine Verbindung zu ascham, 1-300-40 (Schuld). Als Verb bedeutet es „sich schuldig fühlen“ und „das Zerstören des inneren Selbst“. Das Zerstören der zu kleinen Scheunen zeigt sich beim Menschen darin, dass er das „primitive Verhalten“ seiner Vorfahren, die „damals eben alle dumm waren“ in mehrfacher Hinsicht verachtet und nun diese Begrenzungen niederreißt. Man gedenkt nicht mehr der Ahnen und möchte sich nicht daran erinnern, dass früher die „Sammlungen“ anders und kleiner waren. Wenn zu viel da war, hat man es weitergereicht oder anderweitig verwertet. Die Seele braucht keine „Apotheke“.
Du Narr!, sagt Gott zu diesem Mann. Der Narr ist im Griechischen ein a-phron [ἄφρων], also jemand, der dem Worte nach weder Sinn noch Verstand hat. Sprachlich ist der Narr der verneinte Verstand. Das Wort kommt von phren und das bedeutet auch Zwerchfell (ebenso wie diaphragma).
Im Hebräischen entspricht die gewölbte Muskelplatte (Zwerchfell), die nicht nur Brust- und Bauchhöhle voneinander trennt, sondern auch der Hauptmuskel für die Atmung ist, der rakia, 200-100-10-5 (Scheidewand / Firmament), die am 2. Schöpfungstag zustande kommt. Sie trennt die oberen Wasser, die mit der Luft in Verbindung stehen, von den unteren Wassern, die der Schwerkraft folgen, ebenso wie das Zwerchfell die Lungen vom Verdauungstrakt trennt. Nicht umsonst wird ausgerechnet in diesem Gleichnis der Begriff Narr gebraucht, denn dessen Erkennungsmerkmal besteht darin, dass er lebensnotwendige Grenzen ignoriert und niederreißt. Unser Verstand ist einerseits eine Grenze, andererseits funktioniert er beim aufrechten Menschen so, dass dieser oben und unten unterscheiden kann.
Der Reiche im Gleichnis hat diese Grenze bei sich selbst zerstört. Ganz praktisch würde im Organismus bei einer Zerstörung des Zwerchfells die Atmung zum Erliegen kommen. Atmen ist neschem, 50-300-40, daher neschamah, die göttliche Seele.
Neschem, atmen, hat als Summe die 390, genau wie der Himmel schamajim, 300-40-10-40 (Systematik: oben!) und “verdauen” hat die 120. Auf Hebräisch heißt es achol, 70-20-30. Die 120 ist die Zahl für das Leben des Menschen auf Erden. Die 12 steht in engstem Zusammenhang mit Zeit an sich (Systematik: unten!).
Interessant: Diese Seele wird nun zurückgebeten, der Atem weicht. Das Bestehen-Lassen der Grenzen zwischen oben und unten ist also eine Grundvoraussetzung für das Bleiben der Seele. Dinge können nur durch ihre Abgrenzung erscheinen, genau wie Buchstaben nur lesbar sind, wenn ein Kontrast zum Hintergrund besteht. Ein Kontrast ist das „Entgegenstehende“ (lat. contra-stare).
Man spricht dabei von schwarzem Feuer auf weißem Feuer. Auch der Hintergrund der Buchstaben erzählt eine Geschichte, die sich jedoch dem Bewusstsein nicht erschließt. Vordringen in Bereiche, die der Mensch verkleidet lassen soll, bringt den Zustand der Verwirrung mit sich, weil es dann nichts mehr gibt, woran man sich orientieren kann. Die Wurzel freizulegen nimmt der Pflanze den Halt und lässt sie sterben. Was bleibt, ist ein trockenes erstarrtes Überbleibsel, das zu Lebzeiten elastisch, grün, blühend und duftend war.
Das Fehlen der Seele äußert sich dann in allen Lebensbereichen, weshalb das Gleichnis mit einer Feststellung endet: So ist der, der für sich selbst Schätze sammelt und nicht reich ist in Bezug auf Gott. (Lukas 12:21)
Im gesamten Gleichnis ist nicht vom Tod die Rede, wiewohl man diesen gerne hineininterpretiert. Gewissermaßen geht es aber doch um ein Sterben, denn wie anders soll man einen Menschen beschreiben, der keine Verbindung mehr zum Ewigen hat.
Dieses Gleichnis betrifft einen Reichen. Der Reiche ist im Hebräischen auch die Zehn (aschir und esser, 70-300-[10]-200). Das 10. Geschlecht ist wie bei Noach immer ein reiches Geschlecht, das im Verhältnis zu den Generationen zuvor großen Wohlstand erfährt. Aus dem Nichts trägt das Land plötzlich unerwartet viel, d.h. das Wissen, die Erkenntnisse und die Möglichkeiten explodieren. Trüglicherweise denkt man, dass dadurch der Mensch innerlich gesättigt würde, wenn man das alles „abspeichert“. Diese Lebenseinstellung ruft jedoch eine destruktive Seite herbei. Der Mensch distanziere sich von dem Trugschluss, dass mehr Wissen und Know-How ihn zu innerem Glück verhelfen könne. Stattdessen lebe er bewusster, bescheidener und in Aufrechterhaltung der Balance zwischen Zeit und Ewigkeit. Dann wird die Seele gerne bei ihm wohnen und ihn dorthin steigen lassen, wohin kein Wissen dieser Welt ihn hätte bringen können.