Friedrich Weinreb in Leben im Diesseits und Jenseits
Engel unterscheiden sich vom Menschen dadurch, daß sie kein Hüftgelenk haben. Engel stehen stets vor Gott. Sie stellen die Verbindung von oben nach unten her, sie sind die Botschafter, die Gottes Willen ausführen. Sie kennen die wählende Entscheidung nicht. Ihre Füße sind geschlossen. Sie richten aus, was Gott geschehen lassen will. Eigentlich beneiden sie den Menschen um seine Möglichkeit der Wahl, denn seine Freude der Einswerdung ist unendlich viel größer, weil sie mit dem bangen Gefühl vermischt ist, daß Nichtgelingen ebenso sehr im Bereiche des Möglichen lag, daß es sein freier Entschluß war, der ihn diesen Weg wählen ließ.
Der Mensch kann demnach sitzen, der Engel nicht. Und dieses Sitzen entspricht dem Thronen Gottes. Gott sitzt auf dem Kisse ha-Kabod, auf dem Thron, weil für ihn alles schon vollbracht ist und er ruhen kann. Sitzen und ruhen weisen beide den Stamm 300-2 auf, Schin-Beth. Gott im En Sof (Welt der Einheit) umgibt, neben der dynamischen Schöpferkraft, zugleich schon die Ruhe der Vollendung. Doch mit dem Vollenden der Schöpfung, mit dem siebten Tag, dem Schabbat, (300-2-400), hebt auch für Gott in dieser Welt der Ruhe, das „Sitzen“ an. Sitzen hat ferner auch den gleichen Stamm wie das Wort „Zurückkehren“ (300-2). Sitzen bedeutet, daß der Mensch ans Ziel gelangt ist, und daß er zurückkehren kann. Wenigstens bietet die Welt ihm keinen Anlaß mehr, nicht zurückzukehren. Wenn der Mensch jedoch nicht zurückkehren will, verfällt er der Unruhe und kann nicht sitzen. Der Schabbat bedeutet, daß Sitzen, Ruhen, Zurückkehren eine Realität geworden sind. Der Weg zur Einheit wird vollzogen und besiegelt. Das Sitzen ist darum das königliche Vorrecht des Menschen.