Das erste Gebot für Israel wurde bereits in Ägypten gegeben, wo Gott Mose und Aaron den Mond zeigte und sagte: ha-chodesch ha-seh, was bedeutet, dass die Grundlage von allem die Erneuerung ist, wie sie sich auch im Mond zeigt. Denn der Mond ist die Form, und diese Form zeigt einen konstanten Fluss während des Monats; es gibt eine Veränderung, aber nur allmählich. Bei Vollmond ist die Form bis an ihre Grenze gekommen, um sich in der gleichen Sekunde schon wieder davon zu verabschieden. Die Form verschwindet bis ins Unsichtbare – Finsternis. Doch plötzlich gibt es eine Erneuerung, es taucht etwas aus dem Nichts auf, alt und doch neu.
So ist es auch mit dem Körper. Irgendwann verschwindet der Körper aus dem Blickfeld und der Mensch schreit entsetzt auf: „Er ist tot, er ist weg!“ Die Menschen wissen nicht, dass die Zeit eine relative Sache ist, dass (so wie der Mond bei Neumond für einen Moment verschwindet und doch auch wieder zurückkommt) auch der Körper nicht verschwinden kann, sondern genau wie der Mond in einer Erneuerung zurückkommt. Und gerade vor dem Auszug aus Ägypten zeigt sich dies. Denn der Exodus bedeutete ja ein Verschwinden des Körpers, und das konnte die Angst mit sich bringen, dass er für immer absterben würde. Deshalb zeigt Gott vor diesem Auszug den Neumond und sagt: „So wie dieser – denn hier ist der Zyklus für euch wahrnehmbar – auch vor euren Augen wiederkehrt, so ist die Grundlage von allem, was Form ist, sie verschwindet für einen Augenblick, aber sie kommt wieder. Und nur wenn deine Wahrnehmung im Vergleich zum Zyklus der Form zu langsam ist, empfindest du die Nacht, in der es keinen Mond gibt, als eine schreckliche Nacht voller Angst und voller Verzweiflung, denkst wehmütig an die Zeit der irdischen Umhüllung zurück, aber du vergisst, dass es nur deine begrenzte Wahrnehmung ist, die dieses ängstliche Gefühl hervorruft, denn in Wirklichkeit – wie der Mond dir zeigt – kommt alles, was zum Kreis gehört, wirklich zurück und verschwindet nicht für immer.“
Aber es ist der Unglaube des Menschen an das Wunder der Erneuerung, weil er immer nur linear weiter in die Ferne schaut, anstatt sich daran zu gewöhnen, um die Ecke zu schauen. Er sieht den Körper allmählich schwächer werden und schließlich absterben, so wie man wiederum den Mond allmählich abnehmen und verschwinden sieht, und weil es nur langsam vonstattengeht, kommen die Gewöhnung und der Glaube an das vermeintlich Unumkehrbare. Dass es plötzlich eine Kraft gibt (ha, woher soll die denn kommen?), die ihn wiederbelebt und aufstehen lässt, kann er sich nicht vorstellen, so tief hat sich das Wesen der Zeit in sein Innerstes gefressen. Der Mensch hat diesen Glauben an die Erneuerung nicht, und deshalb war das die Grundlage für alles, was Gott Israel danach mitzuteilen hatte. Deshalb musste der Mensch diese Erneuerung auch als Grundlage für sein Leben und seine Taten nehmen. Er musste darauf achten, immer neu zu sein, jeder Tag musste sozusagen eine Wende im Vergleich zum Vortag sein.
Der Mensch, der still und leise in einem Trott lebt, ist nicht auf dem richtigen Weg. Du musst immer genau darauf achten, dass bei dir das Gefühl vorhanden ist, neu zu sein, in deiner Form, in deinem Denken, in deinem ganzen Wesen; das weckt dich auch auf, denn der Trott ist eigentlich der Tod für den Menschen. Das tierische Leben kennt die Mühsal, weil es auf Erlösung wartet. Der Mensch als befreites Wesen muss sich jedoch immer, in jedem Augenblick, dieser vollbrachten Erlösung bewusst sein und sich deshalb neu fühlen, auferstanden aus dem Staub, wie die Toten auferstehen und die Welt immer mit einer erneuerten Perspektive und einem erneuerten Geist betrachten.
Man muss jeden Tag etwas Neues kennenlernen, etwas Neues entdecken, die Dinge in einem neuen Licht sehen, denn nur dann lebt man als Mensch, und nur deshalb wurde diese Geschichte von den Erneuerungen des Mondes bereits in Ägypten erzählt, also noch in dieser Welt. Und jedes Mal wenn ein Mensch denkt: „Jetzt ist es vorbei, hat alles keinen Sinn mehr“, soll er den Mond als Zeugen befragen, ihn ansehen und entdecken, dass dieser sich immer wieder erneuert. Und wenn Gott schon einen Mond erneuert, wie viel mehr einen Menschen!
Basiert auf einem NL-Artikel von F. Weinreb