Die Schöpfung, wie sie in 1. Mose 1 vom Heiligen Geist inspiriert, berichtet wird, geschieht durch Elohim. Dieses Wort, welches mit Gott übersetzt wird, ist eigentlich gar nicht übersetzbar. Die Übersetzung zeigt eine Art Flucht aus dem Dilemma des „Nicht wissen, was gemeint ist“. Elohim meint: gerechter Gott, Garant der Gesetze, Erhalter der Welt. Dieser Name ist eine Mehrzahlform und kann auch Götter bedeuten. Wo es um Zweiheit geht, erscheint das entsprechende Wort ganz selbstverständlich in Mehrzahl. Immer aber wird eingeschärft: Denke daran, es ist nur ein Gott, denn Gott ist allumfassend. Der Mensch ist eben geneigt, das Ganze in einzelnen Stücken zu sehen.
So spricht er zum Beispiel von Gott als Schöpfer, oder Gott in der Natur, oder dem Gott der Christen. Zugleich mit dem Ganzen zerstückelt man so die Welt, etwa in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, oder in Himmel und Erde oder in Leben und Tod. Im Erscheinen und im Wort ist Gott Mehrzahl, trotzdem ist Gott Einer. Im 2. Kapitel der Genesis wird die Schöpfung durch Gott, den HERRN erzählt. Das Wort, welches mit Herr wiedergegeben wird, ist das Tetragramm JHWH. Ein Wort, das man nicht aussprechen kann und sich vom Begriff Sein ableitet. Ein Sein, welches nicht der Art unseres Seins entspricht. Die Überlieferung weist darauf hin, dass das Tetragramm die Seite Gottes offenbart, die sich als Güte, Gnade und Barmherzigkeit zeigt. Mit anderen Worten: Die Beziehung. Und dort kommt der Mensch neu zustande. Nach dem ersten Schöpfungsbericht war alles perfekt. Doch es folgt ein zweiter (1. Mose 2,4 ff). Die zwei Schöpfungsgeschichten in den ersten beiden Kapiteln der Bibel stehen einander in gewissem Sinne im Widerspruch gegenüber (ausführlich beschrieben in »Schöpfung im Wort«), und man kann dort sehen, wie viel Gegensätzlichkeit sich findet. Und gerade diese Gegensätzlichkeit finden wir doch bei der Suche nach unserem Ich auch in uns selber.
Wenn man nur sich sucht, ist man wie Narzissus, der sein Spiegelbild im Wasser sieht und sich darein verliebt. Das heißt, die Welt und alles, was in ihr ist, nicht zur Kenntnis zu nehmen, macht aggressiv oder depressiv, streitsüchtig, wie es dort ausgedrückt wird, oder traurig. Darin zeigt sich die Sünde, du bist dem anderen gegenüber sozusagen untreu. Jedoch kann nur in einem solchen Zustand Heilung kommen, das Heilige erfahren werden. Schaue also nicht in den Spiegel, dort siehst du nur dich selber, schaue aber in die Welt hinein, die ein ganz anderer Spiegel ist. Nicht dich selber siehst du dann — die anderen spiegeln dich! Das Weltall, die Sterne spiegeln dich, heißt es in einer alten Schrift. Du bist das ganze Weltall, das ist dein Spiegel, und nicht der Spiegel, der nur dich zeigt. Wenn wir selbst in das Wasser schauen und unser Spiegelbild betrachten, verschwindet dieses sofort, sobald wir etwas zwischen die Wasseroberfläche und uns bringen, bspw. ein Brett. Trotzdem sind wir – auch ohne Spiegelbild – immer noch da. Das heißt, unsere eigentliche Existenz ist nicht das, was wir Hier von uns bewusst wahrnehmen. Das fließende Wasser zeigt uns zudem noch verzerrt, denn die Oberfläche ist, je nach Strömung, unterschiedlich gewellt.
Gefangenschaft entsteht bei uns, sobald wir denken: Dieses Spiegelbild, das bin ich. Das entspricht dem, nur das Weibliche (die hier erscheinende Welt) alleine anzuerkennen. Man sagt, nach der ersten Schöpfung habe Gott für einen Augenblick als gerechter Richter auf dem Thron gesessen, diesen aber gleich verlassen und sich auf den anderen, den Thron der Gnade, gesetzt. Das möchte sagen, dass Gott selbst den größten Wunsch hat, zu schenken, zu geben und in Beziehung zu treten. Er selbst tritt aus dieser Einheit heraus, um dieses Erlebnis möglich zu machen. Er selbst geht diesen Weg. Einen Weg hinunter, hinunter in die Schwere, die Verdichtung. Der Weg hinunter wird in verschiedenen Phasen gezeichnet, die man auch als Erlebniswelten benennen könnte. Diese Welten stehen nicht in einem kausalen Zusammenhang, sondern werden durch ein fortwährendes Sich-Schenken und Erkannt-Werden durchbrochen. So kommt das Neue zustande. Dieser Weg kann nicht durch Planen und Berechnen gegangen werden. Das Weiterkommen ist immer ein Durchbruch, wie es bei einer Geburt der Fall ist. Es ist der Weg der Liebe, die nicht sich selbst sucht, sondern das Glück des Anderen. Sie nimmt das Äußerste auf sich, nur dass der Gegenüber auch nur einen einzigen Tag großer Freude erleben kann. Das ist Ausdruck einer Dimension, die nicht das Abwägen und das Kaufmännische kennt, sondern es einfach tut. Die Phasen beschreiben Erlebnisse des Eins-Werdens, die immer ein kleiner Ausschnitt des großen Eins-Werdens sind. Dieser Weg geht immer weiter, es heißt von Ewigkeiten zu Ewigkeiten, und das Erleben wird immer größer und größer.
Die vier Welten
Mann nennt die Welt, wo bei Gott dieses Bedürfnis des Sich-Schenken-Wollens entsteht, die Welt die bei Gott ist, bzw. die Welt im Schatten Gottes (olam aziluth). Dann kommt ein Durchbruch. Wer schenkt, wird in alle Konsequenzen miteinbezogen, die das Schenken mit sich bringt. Der Weg durch die Phasen hinunter wird von einer immer stärker werdenden Kraft der Anziehung beschleunigt – der Beschenkt-werden-Wollende übt diese Kraft von unten aus. Die zweite Welt – wir können auch sagen: Wirklichkeit – ist die „Wirklichkeit des Erschaffens“ (olam bria). Es ist die Welt der Kreativität aber auch der Gesundheit, wie man das Wort bria auch übersetzen kann. Dort fühlt man sich wohl. Schöpfung und Gesundheit haben im Hebräischen den gleichen Stamm, wodurch sich schon eine elementare Beziehung beider zueinander zeigt. Diese Wirklichkeit ist vollkommen heil. Das Gesunde ist so gewaltig, dass das Wort die Kraft der Schöpfung hat. Gott spricht und es ist. Es gibt nun kein Halten mehr. Die Durchbrüche geschehen schneller und schneller. So kommt es zur dritten Welt: Die Welt der Formen (olam jezirah). Gemeint sind die jenseitigen Formen. Nun kommt die Potenz, die bereit ist, die Form zu gebären. Das ist der Moment der Geburt, die sich nun nicht mehr aufhalten lässt. Es entstehen die Urformen, die aber noch nicht konkret sind und – wenn man so will – der Welt der Verdünnung angehören. Die folgende, vierte Welt, ist die Welt des Tuns (olam assia). Sie entstammt dem zweiten Schöpfungstag, wo es heißt: und Gott macht ein Firmament. Und Gott trennt die Wasser oberhalb und die Wasser unterhalb des Firmaments. Im Hebräischen bedeutet das Wort Firmament, rakia, Ausdehnung. Etwas Festes dehnt sich explosionsartig immer weiter aus. In der Überlieferung spricht man davon, dass jetzt die asplakariah, der Spiegel bzw. das Spiegelbild entsteht. Die Wasser oben spiegeln sich in den Wassern unten. In das untere Wasser wird diese konkrete sichtbare Welt geboren. Das Spiegelbild unten zeigt lediglich was auf der anderen Seite, vor dem Spiegel getan wird. Das Spiegelbild ist gefangen. Es steht für das Bewusste, welches Abbild des Unbewussten ist. Die Wasser unten sind das weibliche Prinzip; die Wasser oben das männliche. Das Weibliche, hebr. nekewa, ist doch der Sprache nach auch die Höhle oder das Umhüllende und möchte erfüllt werden. Das Männliche bildet bereits im Wort dieses Gegenstück: Die Konsonanten s-ch-r bedeuten als sachar ausgesprochen das Männliche und als secher Erinnerung, nach Innen gehen. [Interessant ist auch, dass dieses Wort (7-20-200) im modernen Hebräisch u.a. mit »Außengewinde (einer Schraube)« übersetzt wird, welches bekanntlich sein Gegenstück in einer »Mutter« findet.]
Unser Weg hier ist auch der Weg der Schöpfung. Die Tage beginnen dort nicht mit dem Morgen, sondern dem Abend (und es war Abend und es war Morgen, der erste Tag…). Am Abend nimmt man die Welt Hier schon nicht mehr so deutlich wahr, taucht dann durch den Schlaf in die Welt des Unbewussten ein und erwacht morgens mit einem neuen Bewusstsein, einem auferstandenen Bewusstsein, welches nun die Muster der anderen Welt kennt und auf diese Weise imstande ist, das Leben Hier lenken zu können. Von Dort her weiß ich, wie es sich Hier lebt.
Es ist das Paradox, das alles immer in einer Einheit da ist und gleichzeitig entfaltet es sich hier in Zeit und Raum für unsere Wahrnehmung chronologisch. Die Rakia drückt sich in Form einer Dehnung aus (Ausdehnung / Ausbreitung). Es ist die Entstehung der untersten Welt, die wir gerade bewohnen. Der Himmel, schamajim, bleibt als »dort und dort« in einer ruhenden Einheit gegenüber der Welt unten, die sich fortwährend bewegt, bestehen. »Himmel« drückt schon durch die Endung im Dual (-ajim) eine Trennung aus. Doch ist diese noch nicht »entfaltet«. Erkennt man, dass es auch ein Geschehen in uns selbst ist, nämlich die Entstehung der Wahrnehmung der Welt, so können wir dahin kommen, zu verstehen, dass die »Scheidung« durch unsere »Ent-Scheidung« wieder aufgehoben wird. Wir haben jederzeit die Möglichkeit nur die Wasser unten, also das Fließen der Zeit, anzuerkennen, oder diese als Einheit mit den Wassern oben zu sehen, die sich nach anderen Gesetzmäßigkeiten verhalten. Welche Gesetze zählen nun? Beide! Der Mensch hat die Aufgabe beides zu einer Einheit zusammenzuführen.
Genesis 1 beschreibt den Emanationsprozess, wie er auch durch die vier Welten dargestellt wird. Himmel und Erde, Licht und Finsternis, Wasser oben und Wasser unten usw. Bei der rakia, 200-100-10-70, dem Firmament, teilen sich einerseits oben und unten, aber auch schon männlich und weiblich. Die Wasser oben folgen dem ruach (Wind / Geist) während die Wasser unten der Schwerkraft folgen. Der zweite Schöpfungstag ist der einzige Tag, der nicht mit einem »und Gott sah, dass es gut bzw. sehr gut war« beendet wird. Die Trennung der Wasser stellt somit eine gewisse Tragik dar. Besser als Firmament oder Feste trifft es der Begriff Ausdehnung, obwohl, wie Weinreb sagt, das Wort rakia kaum zu übersetzen ist. Interessant ist auch der Zahlenwert 380, den bekanntlich auch mizrajim (Ägypten), 40-90-200-10-40, hat. Es hängt mit dem Kommen in die begrenzte Form zusammen. Sprechen ist das Formen der Wörter. Die dafür notwendige Zunge, laschon, 30-300-50, auch mit »Sprache« zu übersetzen, hat ebenfalls die 380. Damit zusammen hängen wieder die Maße der Arche, die durch Noah gebaut wird.
In Psalm 19 Vers 2 lesen wir auch vom Himmel und der Rakia in einem Satz:
Die Himmel erzählen die Herrlichkeit (kawod = Ehre, aber auch Schwere, die im Himmel aufgehoben ist) Gottes, und die Ausdehnung (rakia) verkündet seiner Hände Werk (= Form-Machung).
Und Hiob 37 Vers 18, wo das Firmament mit einem Spiegel verglichen wird. (Das Wort »Spiegel«, re’i, kommt nur an dieser Stelle im AT vor):
(…) wölbst du mit Ihm das Firmament (rakia), dass es feststeht wie ein gegossener Spiegel?
Diese Welt als passiven Spiegel des DORTIGEN Geschehens zu sehen, hat mit der rakia zu tun. Diese Welt Hier ist die Projektion einer Welt, die der moderne gebildete Mensch hartnäckig verleugnet, weil sie nicht beweisbar ist. Alles hier ist Ausdruck von dort. Der Mensch verbindet beide Seiten. Spiegelbilder sind nicht begreifbar. Um die Welt vor dem Spiegel zu berühren muss der Mensch den Zugang zur anderen Seite suchen. Die Öffnung dorthin lässt sich im Erleben finden.