Der Mensch hat in Bezug auf sich selbst andere Maßstäbe als in Bezug auf andere. Bei anderen hat er die Begriffe „Recht“ und „Ungerechtigkeit“ schnell zur Hand; bei sich selbst jedoch spricht er stets von „Liebe“. Wenn wir darüber nachdenken, sollten wir diese Form der Liebe besser Egoismus nennen. Sobald ein Mensch in sich selbst diese Trennung vornimmt, dass er geneigt ist, alles zu verzeihen, sich zu rechtfertigen, sich auf die Umstände zu beziehen, während er bei anderen auf der Erfüllung des Rechts besteht, dann sehen wir, dass er in einer Art Selbstspaltung lebt, die sich dadurch ausdrückt, dass er sich selbst gegenüber sehr mild ist, in Bezug auf andere aber sehr hart. Das, was er auf sich beziehen sollte, bezieht er auf andere.
Zu lieben bedeutet mit der Welt so eins zu sein, wie man mit dem eigenen Körper eins ist. Mit diesem ist man nachsichtig und möchte keinesfalls, dass ihn ein hartes Gericht trifft nach dem Motto: Oh, dass es dir (mein Körper) jetzt so schlecht geht, das hast du wirklich verdient! Mildtätig behandeln wir ihn, weil wir unsere eigene „1“ so lieben. Aber genauso muss man die ganze Welt sehen. Du bist die ganze Welt!
Der Mensch muss immerfort bestrebt sein, das, was ferne steht, näher zu bringen. Denken wir an Jonah, der großes Mitleid mit dem Kikajon hatte, aber unerbittlich hart gegenüber Ninive war. Der Überlieferung nach steht der Kikajon (oft mit „Rizinus“ übersetzt) für die menschliche Erscheinung bzw. den Körper. Jonahs Weltanschauung gemäß sollte Ninive ein hartes Gericht treffen, schließlich hatten sie ein solches „verdient“. Aber seine Rechnung geht nicht auf. Seine Selbstliebe ist nichts weiter als Selbstsucht. Und diese macht ihn mürrisch und lässt ihn rebellieren. Jonah hatte nichts für diesen Baum, der den angenehmen Schatten spendete, getan. So kommt der Mensch in diese Welt mit einem Körper, in ein Land, ein Volk, eine Familie, ohne dass er etwas dafür getan hätte, aber wie böse wird er, wenn ihm genommen wird, was ihm unverdient geschenkt wurde?! Plötzlich meint er ein Recht auf dies und jenes ihn selbst betreffend zu haben, aber Ninive? Nein, dort kann, nein muss alles untergehen! Und wenn es untergegangen wäre, wäre das Rechtsempfinden Jonahs voller Genugtuung triumphierend befriedigt gewesen. Aber Gott liebt nicht unterschiedlich. Er liebt alle gleich. Und so gibt es keinen Grund zu meinen, man sei mehr geliebt als andere. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
(Zusammenfassung mehrerer frei übersetzter niederländischer Kurztexte Weinrebs)