Hebräische Schriftzeichen erzählen

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Hier ein Auszug aus dem Buch “Zahl, Zeichen und Wort – Das symbolische Universum der Bibelsprache” von Friedrich Weinreb, worin er ausführlich erläutert, wie die hebräischen Schriftzeichen gleichzeitig Zahlen sind und somit jedes Wort im wahrsten Sinne des Wortes erzählt.


Im Hebräischen ist also die Buchstabenreihenfolge, die »Zeichen«-reihenfolge, dasselbe wie die Zahlenreihenfolge. Für den in dieses Urwissen Eingeweihten sind denn auch die Buchstaben Zahlen und die Zahlen Buchstaben. Er sieht das Wort mit seinem tiefen Wissen von den Namen der das Wort bauenden Buchstaben, und er sieht es auch als eine Zusammenballung von Zahlengruppen. Er versteht die Proportionen und weiß, wo Verwandtschaft vorhanden ist. Mögen auch zwei Worte in ihren Lauten verschieden klingen, wenn dieselben Zahlengruppen darin vorkommen und die Totalität dieser Zahlen die gleiche ist, dann muß im Wesentlichen eine nahe Verwandtschaft zwischen den beiden Begriffen herrschen. In der Welt der Zahlen, des für uns Abstrakten, kann man schärfer sehen, da man nicht durch die Erscheinungsformen, durch Bilder und Gefühle behindert ist.
Es gibt 22 Zahlen dort im Zentrum, von wo aus die Welt der Formen gebildet wird. Form ist eben die Konsequenz der Zahl, der Relationen. Diese 22 Zahlen kommen aus dem en sof, dem Unendlichen, dem Unmeßbaren, und bilden eine feste Struktur. Die Grundstruktur bildet die Entwicklungsreihe von der »Eins» bis zur »Zehn». Die 1 ist wie der lautlose erste Buchstabe eine besondere Zahl unter ihnen. Sie ist die noch einsame Zahl, sie ist wie Gott vor der Schöpfung, noch ohne die Schöpfung als Zugegensein neben sich. »Einer ist Gott, im Himmel und auf Erden», heißt es. Und desgleichen ist auch die 10 eine besondere Zahl, denn sie zeigt die 1 auf anderer Ebene an. Erst dort in der 10 zeigt sich der besondere Charakter der 1. Denn die 11 z. B. weist schon eine ganz andere 1 auf, da ist die 1 einfach Teil einer Reihe. Die erste 1 aber ist die alles umfassende, die Himmel und Erde umfassende 1. Und die 10 ist ihr verwandt. Deshalb ist die Form des ersten Zeichens – Alef – eine Einheit zweier »Zehner». Zwei Zehner spiegeln sich gegenseitig, und das ist die Struktur der 1. Auch der hebräische Name von Gott als »Herr» enthält diese Struktur der zwei Zehner, im Aufbau der 10 und der 5 + 5 […].
Die absoluten Zahlen kennen dann in ihrer weiteren Folge eine zweite Reihe, wieder also von 1 bis 10, nun aber auf einer anderen Ebene, auf der Zehner-Ebene. Es sind die Zahlen 10 bis 100, wobei wiederum die 10 und die 100 ihren besonderen Charakter haben, wie zuvor die 1 und die 10. Es sind also nun die Zahlen 20, 30 usw. bis 100. Und dann wiederholt sich die Reihenfolge auf der Hunderter-Ebene, aber dann nur bis zur 4, also hier der 400. Es sind die Zahlen 100, 200, 300, 400. Mit der 400 endet die Reihe der absoluten Zahlen als »Zeichen».
Die 4 Hunderter-Zahlen gehen bis zur 400, denn ihre Summe bildet die Zahl 1000. Und diese ist im Hebräischen elef und wird genauso geschrieben wie das Zeichen für die 1, Alef Die Vierheit enthält immer schon die 10, die 1 auf anderer Ebene.Die 22 Zeichen sind die Bewohner des Kernes, des Wesentlichen. Aus ihnen bauen sich alle existierenden Wörter der Ursprache. Mit ihnen macht Gott, wie es heißt, die Welt. Es ist also eine Bedingung, daß man die Bedeutung eines jeden dieser Zeichen kennt, ehe man sich mit der Sprache oder mit den Erscheinungen in den verschiedenen Formen des Lebens beschäftigt. Nur über das Wesentliche kann man die Erscheinungen verstehen.Die Welt der Erscheinungen entsteht durch die Kombinationen der 22 Urmöglichkeiten.
Das letzte Zeichen dieser 22 ist das Taw, also der absolute Wert von 400. Das will sagen, daß es im Absoluten keinen höheren Wert in der Reihe gibt als eben diese 400. Höheres findet keine Ausdrucksmöglichkeit mehr. Bis dorthin läßt Gott die Welt der Schöpfung sich entwickeln. Deshalb ist für diese Welt die absolute Zahl 400 das Unendliche, ist sie die äußerste Grenze des Alls, in Raum und Zeit. Wenn also die Bibel von 400 spricht, dann ist das immer die absolute 400 — die Bibel ist eben die Mitteilung aus dem Absoluten —, und es bedeutet dann die ganze Schöpfung und die ganze Zeit.Wenn erzählt wird, daß das Land Israel 400 Einheiten (Parasangen [= altes persisches Maß], aber es könnte jede andere Maßeinheit sein) lang und breit ist, dann will das sagen, daß für Gott diese ganze Schöpfung das Land Israel ist. Wenn gesagt wird, daß die Knechtschaft in Ägypten 400 Jahre dauert, dann bedeutet es, daß sie so lange dauert wie diese Welt, die ganze Zeit hindurch.Und so sind auch die 4 und die 40 Hinweise auf eine »ganze« Zeit. Denn, wie schon gesagt, mit der 4 entsteht die 10 (als 4+3+2+1), und mit der 40 die 100. Mit der 4 reicht es immer bis in die andere Ebene, jedenfalls bis zur Grenze, bis zur neuen Manifestation der »1«.Das ist der Grund, warum die Bibel so oft, wenn sie Zeitmaße nennt, von 40 und 400 spricht. Und deshalb bedeutet die 500, wofür also Gott kein Zeichen für diese Schöpfung gegeben hat, eine Welt außerhalb dieser Schöpfung. Es ist die Welt, wo Gott, nachdem er dieser Welt hier Zeit und Raum gegeben hat, in seiner Transzendenz wohnt, während er in der Welt der 400 in seiner Immanenz anwesend ist.
So sagt die Überlieferung dann auch, daß Himmel und Erde 500 Jahre voneinander entfernt sind. Tatsächlich, 500, jene hier nicht existierende Form, das hier nicht existierende Zeichen. Und so bezeichnet sie den Umfang des Baumes des Lebens ebenfalls mit 500 Ellen (oder auch Jahren). Denn diese Welt hat mit dem Nehmen vom Baum der Erkenntnis eben »nur« das Maß 400 behalten. Die restlichen 100 sind ihr verborgen, sind hier nicht zu finden. Jetzt nur noch über den Tod, der diese 400 durchbricht.
Und wie die 500, so haben auch die 50 und die 5 einen besonderen Charakter in der Welt des Absoluten. Die 50 gilt als Moment der neuen Welt, des neuen Welttages. Es ist der 8. Tag, wie man es nennt. Denn diese Schöpfung endet mit dem 7. Tag. Der 7. Tag ist unsere immerwährende Gegenwart. Er erfüllt sich in seiner Begegnung mit sich selbst, durch die Erscheinung aller Möglichkeiten, so wie sie im 7. Tag erscheinen können. Im Absoluten ist es die Begegnung der 7 mit der 7, und das drückt sich, wie man mit Hilfe eines Quadrats, das in 7 Teile geteilt ist, leicht sehen kann, in 49 Möglichkeiten aus. Mit der 49 ist der 7. Tag, diese Welt also, erfüllt. Darum spricht die Überlieferung auch von den 49 Pforten, die hier durchschritten werden können. Mit dem 50. kommt der neue Tag, der 8. Tag. Am 50. Tag ist denn auch die Offenbarung des Wortes, der Thora, ist Pfingsten.Der 5 ist ebenfalls ein solch überweltlicher Charakter eigen. Der Name Gottes als »Herr« zeigt denn auch in seiner Struktur die 10 und 5+5 auf. Mit diesen Beispielen will ich hier nur zeigen, daß Zahlen in der Bibel in einer ganz ernsthaften Weise gelesen werden sollen. Denn es handelt sich um absolute Zahlen. Man kann an ihnen — und das gilt für jedes Wort in dieser wunderbaren Schöpfung im Worte — nicht achtlos vorbeigehen. Die Überlieferung kennt natürlich die Bedeutung von Wort und Zahl, und auch ihre Mitteilungen kommen aus dem Bereich des Wesentlichen.