Im Gedenken an Friedrich Weinreb (1910 – 1988)

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Mit jeder Geburt kommt ein Mensch in die Welt, der mit dem Schicksal der Welt verbunden ist. Am 18. November 1910 entließ der Leib einer Mutter ein kleines Gefäß, worin sich eine Seele befand, die ihr ganzes Leben im Körper die Verbindung mit ihrem Zuhause nicht abbrach. Heute vor 113 Jahren wurde Friedrich Weinreb in Lemberg geboren.

Mütterlicher- wie väterlicherseits stammt er aus alten Familien des jüdischen Ostens, die zur geistigen Aristokratie gehören. Er ist ein direkter Nachfahre des Großen Maggid Dov Bär von Mesritsch. Von dem wird berichtet, er habe einst aufgelacht, als er erfuhr, ein berühmter Rabbi verfüge über geheime Erkenntnis aus dem Jerusalemischen Talmud:

Er weiß es aus dem Talmud, und ich weiß es, woher der es weiß“;
als ihm aber eine Stimme von oben widerfuhr, die ihm sagte:
Du hast deinen Anteil an der kommenden Welt verloren!“,
seufzte der Maggid und sprach:
Wohlan – der Lohn ist abgeschafft. Jetzt kann ich wahrhaft zu dienen beginnen.

Ein anderer Ahn Weinrebs war der Lehrmeister des Balschem-Tov, Rabbi Israel Ben Elieser, der den Chassidismus begründete, und dessen Nachfolger der Große Maggid gewesen ist.

Wie man in Weinrebs biografischen Büchern lesen kann, waren es meist Einzelne, die entscheidend für seinen weiteren Weg waren. Und bis heute sind es Einzelne, die sich für sein Werk nicht nur interessieren, sondern auch dessen Tragweite ahnen.
Einzelne, die ihrer Sehnsucht Raum geben, können etwas aus dem Ewigen in unsere Welt durchbrechen lassen. Eigentlich sollte das die Priorität in unserem Leben haben. Der Hinderer findet hingegen noch heute die besten Argumente, um etwas nicht zu tun. Man erkennt ihn daran, dass er den Tod ausklammert. „Es geht immer so weiter!“, lautet seine Devise. Sicher, der Tod ist nicht der Tod, wie er aus biologischer Sicht erscheinen mag, aber er ist das Ende des Weges in der Welt des Tuns. Nur hier können wir aktiv werden und handeln.

Viele Gräber tragen die Inschrift „Hier ruht in Frieden“ und beim Verweilen an solchen Stätten gedenkt man vielleicht der Taten dieses Menschen. Wie aber wäre es, wenn schon jetzt unser Leben die Inschrift „Hier tut in Frieden“ tragen würde?

Als mir das erste Buch Friedrich Weinrebs fast sprichwörtlich in die Hände fiel, spürte ich etwas von seinem Tun im Frieden. Obwohl er ein unsägliches Schicksal mitsamt seiner Familie erlitt, resultierte daraus keine Bitterkeit. Unermüdlich ließ er die Wörter und Verse der Bibel wie Diamanten in der Sonne funkeln, zeigte allen, die ihm ihre Aufmerksamkeit schenkten, die Wunder im Wort und wie sich darin das Ewige ausdrückt.
Wie schön konnte er das Wort einhüllen und durch den Raum gehen lassen, als ob der, der das Wort ist, selbst im Kreise der Zuhörer wandelte und den Moment genießt, persönlich seine Nähe im schönsten Gewand des tönenden Wortes erleben zu lassen.

Friedrich Weinreb
Friedrich Weinreb während einer Tagung

Kann man das Ewige in Bitterkeit verkünden? In Schwermut? In reißerischer Manier? Sicher nicht. Das Heilige zieht sich sofort zurück. Was bleibt, ist die Hülle des Wortes.
Liebe das Wort, dann öffnet es sich“, sagte er oft, „aber wage es nicht, damit recht haben zu wollen, denn dann wird es sich gegen dich richten“, ergänzte er zuweilen.

Noch heute kann man Vorträge im Tonarchiv anhören, worin er massiv angegriffen wird, aber vergeblich wartet man auf eine Verteidigungsrede oder ein beleidigtes Zurückschießen. Ohne Zweifel kann man sich eine gewisse Disziplin antrainieren, aber zu gegebener Zeit wird an einem bestimmten Ort dann doch herauskommen, was innen gebrodelt hatte, es sei denn, man ist innerlich tatsächlich schon vor Aufrichtung des eigenen Grabsteines zur Ruhe gekommen.

Zum Thema Geburtstag hatte Friedrich Weinreb einen Text verfasst, den ich gerne an dieser Stelle wiedergeben möchte:

Kinder bedeuten das Sich-Weiterschieben der Generation, sie bedeuten, dass hier Tod ist. Auch der Tod, das Tote, ein Leichnam, verunreinigt. Unrein bedeutet also, dass man hier die andere Seite noch nicht als entscheidend erlebt. Unrein ist man, wenn man mit Zeit hier rechnet. Aus diesem Grund kennt man im jüdischen Brauch die Feier des Geburtstages nicht. Denn das würde bedeuten, man rechnet jetzt vom Geburtstag an die Länge des Lebens. Nein, das Leben ist ewig. Beim Geburtstag taucht es hier in die Zeit ein und formt sich nach der Zeit, wird in der Form gefangengehalten. Obwohl die Form doch versucht, etwas vom Wesen auszudrücken.
Im jüdischen Brauch kennt man das Datum des Sterbetages, die »Jahrzeit« genannt, denn dieses Datum will daran erinnern, wann der Mensch die Ewigkeit wieder erfährt, befreit von der gefangenhaltenden Form. Mit dem Tod ist der Mensch wieder ganz im Ewigen. Er ist hier im Leben der Zeit, damit der Weg der Welt vollendet wird, zur Vollkommenheit gerät.
Solange die Frau nicht das letzte Kind geboren hat, gibt es noch diesen Weg, getrennt vom Ewigen, diesen Weg, der unrein macht, unrein machen muss. Das letzte Kind ist der Messias.

Friedrich Weinreb, Der biblische Kalender – Der Monat Nissan, Seite 21

Ich wünsche Ihnen ein Tun in Frieden und alles Gute!
Herzlich
Ihr Dieter Miunske


Herzlichen Dank auch allen Einzelnen, die aktiv zur Aufrechterhaltung des kostenfreien Zuganges zum Tonarchiv für viele beitragen.

„Wer das Gute fördert, ist größer, als der, der es tut.“

Mischna Bava Batra S. 9 a.