Friedrich Weinreb in Traumleben II
Ein Weltbild, das auf Lohn und Strafe baut, bringt für den, der daran glaubt, dasselbe Risiko mit sich wie die Investition in ein Handelsgeschäft: Es kann trotz aller Planung schlecht ausgehen. Man investiert, gleichzeitig aber fürchtet man, falsch investiert zu haben. Immer droht das schreckliche Wort: Fehlinvestition! Den im Kausalen Gefangenen quält die Frage: >Warum hat man uns nicht ein Buch gegeben, worin genau steht, was man tun soll?< Immer sucht er sozusagen dieses Gesetzbuch. Die Bibel erweist sich als untauglich; »Auge um Auge« — »wer den Sabbat entweiht, wird getötet«: Wie soll man das in die Praxis umsetzen? Wo fängt das Entweihen an?
— Wer die Bibel kausal anwenden will, gerät sofort in die verrücktesten Widersprüche. In der Enge des kausalen Weltbildes verhält man sich dem Himmel gegenüber, wie man sich vor einer strengen Prüfungskommission verhält: angstvoll und in Unsicherheit, vielleicht doch der falschen Gruppe oder Religion anzugehören. Man glaubt an eine Macht, die sozusagen rechnet und Buchhaltung führt, und weiß nie genau, ob das, was man einzahlt, dort dasselbe wert ist wie hier; hier kennt man die Währung, aber dort … ? Durch Jahrhunderte, ja, vielleicht Jahrtausende hat sich dieses Weltbild immer starker herauskristallisiert und jenes von der Überraschung, der »guten Nachricht« fast völlig verdrängt. Vielleicht nähern wir uns gegenwärtig dem Höhepunkt, oder haben ihn schon überschritten. Die Berechnungen stimmen, es zeigen sich große, berauschende Erfolge, die Entwicklung geht immer weiter. Da allerdings im kausalen Bereich alles Überraschende stört, muß vieles, das nicht in den Plan paßt, ausgeschaltet werden. Der Mensch ist möglichst so auszubilden, daß er dem Plan gemäß lebt. Damit wird schon im Kindergarten begonnen, der jetzt ja auch »Vorschule« heißt. Das Kind soll doch einmal mitzählen! Die Masse zählt, die Produktion, die Leistung. Der Mensch wird so erzogen, daß man dann sagen kann: >Der leistet etwas!<
Immer deutlicher aber zeigen sich in der Gegenwart auch Bestätigungen für die These, die vor einigen Jahrzehnten der Holländer Max Dendermonde treffend als Titel seines Buches formuliert hat: »Die Welt geht am Fleiß zugrunde«. Die Begleiterscheinungen der Leistungsbesessenheit treten immer drastischer zutage. Der Umweltverschmutzung entspricht eine Art Innenwelt-Verschmutzung des Menschen. Ein Heer von Spezialisten bemüht sich um die »Entgiftung« der natürlichen wie der menschlichen Natur. In Indonesien, einem sogenannten Entwicklungsland, habe ich es während meiner Lehrtätigkeit erlebt, daß sich die Studenten für ihr Volk schämten, weil es noch so »unentwickelt« war. Man spürte, daß die breite Masse des Volkes eigentlich in Ruhe gelassen zu werden wünschte und zu fragen schien: >Warum neue Straßen, wozu mehr leisten, wozu den Export erhöhen?< Den Studenten war das peinlich: >Tut uns leid<, sagten sie, >aber die werden das schon noch lernen.<
Entwicklungspläne sind eine ernste Sache, da gibt es nichts zu lachen. Die Diktatur der Leistung läßt Humor nicht zu. Das Lachen aber, die Freude des Lachens ist doch das Befreiende. — Wie kann Abraham die Verheißung eines Sohnes ernst nehmen, der nach aller Berechnung unmöglich kommen kann? Heute würde man sagen: naturwissenschaftlich unmöglich. Gott aber sagt: Der Sohn kommt doch. Es bedeutet: Deine Zukunft bleibt, deine vergangenen Momente gehen nicht verloren, dein Sohn wird sein wie du — die Verheißung also einer Identität. Und der Sohn heißt Jizchak (Isaak), ein Name, der vom Wort »lachen« kommt, und soviel bedeutet wie: >Es ist zum Lachen, ist viel zu schön, um wahr zu sein.< die andere Dimension bricht durch.