Jakob, der erste Kranke in der Bibel

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Jakob ist ein Zwilling. Sein Name kommt von der Ferse, ekew, im Hebräischen. Der Mensch steht und läuft auf zwei Fersen, doch nur beim Gehen entsteht das Wechseln der Seiten: links, rechts, links, rechts … So wird Jakob als der Mensch gesehen, der von der Notwendigkeit beider Seiten weiß. So hat er auch zwei Frauen (Rachel und Leah) und zwei Namen (Jakob und Israel). Stets steht er in der Auseinandersetzung zwischen Zweien. Nach dem biblischen Bericht geht es in seinem Leben drunter und drüber. Bereits im Mutterleib rumort es zwischen ihm und seinem Bruder Esau, der eigentlich Esaw heißt.

Nachdem er alles durchgestanden hat und am Ende seines Weges steht, wird seinem Sohn Joseph gesagt: hiné, awika cholé (Siehe, dein Vater ist krank; 1. Mose 48,1). Es ist eine für den modernen Menschen befremdete Mitteilung, wenn es dann dazu in einem alten Kommentar heißt: Jakob bat Gott darum krank zu sein, weil er wissen wollte wo er auf seinem Weg steht. Er verlor die Sicht und seine Verbindung zum Ewigen war nicht mehr so intensiv. Darunter leidet er. Der moderne Mensch leidet an Krankheiten, benennt diese und möchte sie in jedem Falle los sein. Heiler aller Couleur haben lange Wartelisten, wenn Aussicht auf Heilung geboten wird. Der westliche Mensch zeigt auch in diesem Bereich seine erfolgsorientierte Gesinnung und nur wenige fragen sich: Könnte die Krankheit bzw. könnten mir die Symptome mehr über mein Leben verraten? Sind diese vielleicht doch keine Laune einer korrupten Natur? Bedenken wir, dass Jakob krank wird nachdem er alle Probleme seine Lebens hinter sich bzw. gelöst hatte. Als er 22 Jahre von seinem Vater Isaak getrennt war, hatte er keine gesundheitlichen Probleme. Dann erhält er das blutgetränkte Kleid Josephs und folgert daraus (fälschlich!), dass sein Sohn von einem Tier zerrissen wurde. Dieser Trennungsschmerz dauert weitere 22 Jahre. Solange er in diesen (aus menschlicher Sicht) belastenden Umstände war, hätte er von einem Mediziner eine “ohne Befund” Diagnose erhalten. Spannend!

Das Krank-Sein hängt mit Ägypten zusammen (2. Mose 15,26 und 5. Mose 7,15), also dem Bereich wo Ursache und Wirkung herrschen. In der Wüste kommt das Man(na) vom Himmel, ganz ohne Säen und Ernten, einfach so. Krank als Wort hängt im Hebräischen direkt mit dem Sand und mit dem Normalen zusammen. Der Sand bedeutet, dass etwas in eine unbestimmte namenlose Vielheit zerbrochen ist. Das Normale trägt den gleichen Charakter: Einer von Milliarden zu sein lässt den eigenen Wert kaum erkennen. Alles mündet in Sinnlosigkeit. Jakob wünscht sich eine neue intensive Verbindung mit dem himmlischen Vater, der ihn mit Namen kennt und ruft. Das ist ihm wichtiger als jedes vergängliche Wohlbefinden. Sein Zustand der Krankheit, so wird gesagt, gibt ihm etwas, das er anderweitig nicht erhalten hätte: Einsicht über sich und seine Kinder gepaart mit einer Weitsicht, die kein Verstand berechnen könnte.

Und Jakob rief seine Söhne und sprach:
Versammelt euch, und ich will euch verkünden, was euch begegnen wird in künftigen Tagen.

1. Mose 49,1

Diese Fähigkeit das Zukünftige zu verkünden hängt lt. alter Kommentare mit seiner Erkrankung zusammen. Vielleicht ist unsere Sicht auf die Welt auch an einem Punkt angekommen, der uns erkennen lassen will, dass die Form der Entfremdung schon sehr weit fortgeschritten ist. Dass wir selbst stets mittendrin im Geschehen sind und keinesfalls unbedeutend, zeigt folgendes Zitat:

Denn in der Krankheit, heißt es, spricht das Zeitlose. Dieses Zeichen Gottes ist ein Grund für Dankbarkeit, und wir müssen es zu verstehen suchen.
So wird von Jakob erzählt, dass er der erste ist, der Krankheit kennt, weil er Gott bittet, ihm auf diese Art zu zeigen, wo auf dem Weg er steht. Vorher gibt es keine Krankheiten, weil Gott dem Menschen nicht zeigt, an welcher Stelle des Weges er steht. Ein Kranker wird dann auch als ein Heiliger betrachtet. Jedes Geschehen beim Menschen wird als Zeichen aus dem Anderen angesehen.

Weinreb, DEr Weg durch den tempel