Beim Tanzen geht es nicht darum, ein Ziel zu erreichen, sondern nur um die Bewegung an sich. Ein Tänzer ist bewegt, wird bewegt, bewegt sich und doch hat diese Bewegung kein Ziel, denn ein Ziel ist ein Ende und ein Ende impliziert zwingend einen (neuen) Anfang, wozu sonst ein Ende? Kein Ende zu haben markiert das Endlose, Unbegreifliche, das der Mensch nur ahnen kann, aber wie gerne möchte er dem Unsagbaren Ausdruck verleihen. Insbesondere, wenn die Freude ihn bewegt und staunen lässt. Frohsinn lässt hüpfen wie ein Frosch und selbiger hängt tatsächlich in den indogermanischen Sprachen mit der Fröhlichkeit zusammen (Frosch bedeutet „Hüpfer“). Hüpfen ist lt. Duden ein »sich (im Tanze) biegen, sich drehen«.
Unter Tanzen versteht man eine harmonische Bewegung, mittels derer zwei Seiten im kindlich-spielerischen Charakter verbunden werden. Hält der Tänzer inne, ist der Tanz vorbei. Wo ist er hin, der Tanz? Nichts davon ist mehr erkennbar. Es braucht einen, der tanzt wie David vor der Bundeslade:
Und es geschah, als die Lade des Bundes des JHWH in die Stadt Davids kam, da schaute Michal, die Tochter Sauls, aus dem Fenster; und sie sah den König David hüpfen und spielen, und sie verachtete ihn in ihrem Herzen.
1. Chr. 15:29
Und Friedrich Weinreb lässt Michal, Davids erste Frau, sagen:
Ich liebte David, den Besieger der Philister. Ich glaubte, er siege durch seine Kraft, seine Strategie, seine List, seine Vernunft, seine Kenntnisse. Ich war ihm treu. Obwohl meinem Vater (Saul) dieser David schon von Anfang an suspekt war. Eigentlich liebe ich ihn noch immer. Aber ich kann ihn nicht verstehen. Mir graut sogar etwas vor ihm, denn er hat seine Kraft nicht von dorther, woher jeder Mensch sie bezieht: aus seinem Mut, seiner Übung, seiner Gewöhnung im Kampf. David hat sie aus einem Bereich, der mir eigentlich zuwider ist. Aber jetzt ist unser Bruch klar zutage getreten, denn es hat sich gezeigt, dass ich, die Tochter des Königs Saul, nicht zu David passe. Er hat keine Würde. Er verkehrt mit Menschen aller Schichten der Gesellschaft, mit jedem, der gerade glaubt, ihn ausnützen zu können. Ist das königlich? Mein Vater wird mir einen anderen Mann geben, einen, der zu einer Königstochter passt. David findet nichts dabei, sich vor der Masse, dem Groben der materiellen Erscheinung, zu entblößen, also seine Gefühle zu zeigen, die Worte zu singen, die Geschichten zu tanzen. Er behauptet, in der Welt der Verborgenheit seien alle Menschen im Bild und Gleichnis Gottes, dort könne es jeder, wer es auch sei, verstehen; dort gebe es das Geheimnis des Dummen, des Kranken, des Verbrechers, wie es auch das Geheimnis des Priesters, des Weisen, des Gelehrten dort gebe. Und was ist dann ein König?, frage ich ihn. Ein König, antwortet er mir, sei hier wie Gott im Himmel, der die ganze Welt liebe und sie mit unermesslicher Gerechtigkeit richte. – Was habe ich hier davon? Nein, den Sohn dieses Davids könnte ich nicht tragen. Aber, wenn es so ist, wie er sagt, dann wird er am Ende doch auch mich dort annehmen. Denn ich liebe ihn noch immer, er ist eigentlich unvergesslich. Ich ärgere mich nur, weil ich das alles nicht verstehe.
Friedrich Weinreb, Biblische Porträts
Auf Hebräisch heißt „tanzen“, raqad, 200+100+4. Das Wort wird in der Bibel meist mit „hüpfen“ übersetzt, allgemein ist es die „Bewegung in fröhlicher Stimmung“, also nicht einem strengen Schema folgend, sondern genau dieses durchbrechend wie ein David, was uns zum ersten Anagramm von raqad überleitet: Als daqar, 4+100+200, bedeutet es tatsächlich durchbohren und auch durchstechen. Daqar schafft einen Ein- und Ausgang, wo solche nicht vorgesehen sind.
Drehen wir die 3 Zeichen noch einmal in eine andere Reihenfolge erhalten wir das Wort qadar, 100+4+200, das den Zustand beschreibt, wenn dem Tänzer – wie man heute sagen könnte – „der Stecker gezogen wird“, sprich, es dunkel und finster wird, man eintrübt, sodass sich der Frohsinn in Trübsal verwandelt, die ein Tanzen unmöglich macht. Eine moderne Übersetzung dieses Wortes ist das Pessimistisch-Sein, man sieht nur noch schwarz. Pessimus ist im Lat. die höchste Steigerungsform des Schlechten (malus). Dieser Zustand ist die pure Lebensverneinung, die so weit geht, dass man sogar einer Freude mit Verachtung begegnet. Der Zahlenwert aller 3 genannten Wörter ist die 304 (4+100+200), die auch der volle Wert von ephes, 1+80+60, ist (111+85+108). Ephes ist „null“, also das Ergebnis davon, wenn man den Wert einer Zahl von derselben Zahl abzieht (Bsp. 13 – 13 = 0), oder etwas menschlicher formuliert: Wenn man sich selbst vollständig streicht und somit selbst entwertet. Doch um welche Streichung geht es hierbei konkret?
Wie reagieren Eltern, wenn sich ihr eigenes Kind selbst entwertet? Wenn es immer wieder sagt: „Ich bin nichts, ich kann nichts, ich bin schlecht.“ Lässt das die Eltern vor Freude hüpfen? Sicher nicht. Diese Selbstentwertung ist nicht gemeint.
David ist dem Namen nach der Geliebte, er fühlt sich geliebt und geborgen, das lässt ihn springen, tanzen und gibt ihm die Kraft, sich selbst in Bezug auf die Beurteilung anderer zu streichen, sich zum Narren zu machen und sich selbst zu erlauben, seine Gefühle frei zu äußern; darin liegt die Kraft durchzubrechen, selbst wenn andere finster dreinschauen – eine Öffnung zu schaffen, wo eigentlich keine ist, einen Ausweg zu eröffnen, wo alles verschlossen ist.
Eine Selbststreichung in diesem Sinne ist keine Selbstentwertung des Inneren, sondern ein Zulassen des Ewigen auf Kosten des Vergänglichen. Der Geliebte erkennt, wie wichtig er für die liebende Seite ist, deshalb streicht er nur das, was diese Liebe hindert.
Auf seiner Suche nach Gott denkt der Mensch zu viel, überlegt zu viel, redet zu viel. Selbst wenn er diesen Tanz betrachtet, den wir Schöpfung nennen, grübelt er die ganze Zeit, spricht (zu sich und anderen), überlegt, analysiert und philosophiert. Worte, Worte, Worte. Lärm, Lärm, Lärm.
Anthony de Mello, Warum der Vogel singt
Sei still und sieh dem Tanz zu. Nur hinschauen: ein Stern, eine Blume, ein welkendes Blatt, ein Vogel, ein Stein. Jeder Teil des Tanzes ist geeignet. Schauen, lauschen, riechen, berühren, schmecken. Und sicher wird es nicht lange dauern, bis du IHN siehst, den Tänzer selbst!