Man muss den Weg doch selber gehen

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Friedrich Weinreb in Die jüdischen Wurzeln des Matthäus-Evangeliums

Der Satan will immer nur, dass wir uns mit dieser Welt abgeben und den Beweis erbringen, dass alles logisch zusammenstimme. Satan will, dass der Kreis sich schließe. Und wenn wir mit Wundern aufwarten und Glauben fordern, so ist das immer sehr verdächtig. Dass hier Wunder geschehen, ist sicher. Aber es geschehen auch »nissajon«*, also Versuchungen. Wenn ich ein echtes Wunder sähe, würde ich sagen: Das Wunder bedeutet, dass ich verstehen soll, wie diese Welt mit der anderen verbunden ist, und dass sie beide eine Einheit bilden. Und diese Dinge geschehen nicht nur in dieser Welt.
Wir hätten die Wunder gerne hier, zu unserer Verfügung, dass wir von dem Anderen loskommen, weil wir eine schreckliche Angst davor haben. Wir haben uns davon getrennt. Doch wenn man mit dem Anderen in Verbindung steht, so gibt es keine Angst mehr. Man kann sich schon einmal im Moment fürchten, und niemand wird sagen können, er besitze eine so perfekte Verbindung, dass er nie in einer Gefahr Furcht empfunden hätte. Aber mit dieser Verbindung ist die Angst auch verschwunden. Es gibt sie nur für den, der wie der Sadduzäer nur an diese Welt glaubt und für das Andere lediglich schöne Worte übrig hat, aber im Grunde denkt: Ich hoffe nur, dass es nie so weit mit mir kommt, dass ich auch dorthin muss. Ich will auf immer hier bleiben. Man dankt dem Arzt, der das Leben um ein paar Jahre verlängert. Man hält das, was der Arzt uns gegeben hat, für sehr wichtig. Die Verbindung mit dem Anderen wird der Arzt aber nicht geben können. Denn diese Verbindung kann man nur bekommen, wenn man selber den Weg geht. Man kann den Weg mit einem Freund oder Lehrer gehen, aber schließlich muss man den Weg doch selber gehen. Geschenkt bekommt man ihn nicht.

* Die Begriffe “Wunder” (nes) und “Versuchung” (nissajon) haben im Hebräischen den gleichen Wortstamm.