Mystik

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Das Wort Mystik stammt aus dem Griechischen (myein) und meint das Verschließen von Augen und Lippen. Die Augen verschließen in dem Sinne, dass der äußeren Wahrnehmung kein größerer Wert mehr zugemessen wird. Das ist in unserer Bildschirmgesellschaft schon eine Herausforderung. Aber auch abseits der Bildschirme sind wir geneigt, nur das für wahr zu halten, was uns unsere Augen bestätigen. Wahrheit ist so nicht zu finden. Das Verschließen der Lippen ist ein Zeichen für das Schweigen auf das die Welt gebaut ist. Die Entsprechung in der Bibel hierfür ist das Lamm. Weiter führt uns das griechische Wort zu myeo, übersetzt: einweihen, schulen und unterrichten. Rein von der Sprache her lässt sich leicht ableiten, dass die wahre Schulung innerlich stattfindet. 

Mystik ist das Erlebnis unserer Verborgenheit, unseres eigentlichen Ichs und hat nichts damit zu tun, im Schneidersitz einen Meter über dem Boden schwebend in einem abgedunkelten Raum zu meditieren. In der Mystik ist es vollkommen normal, die Welt so zu verstehen, dass wir bspw. in 10 Jahren die Ursache für das setzen, was jetzt passiert. Daraus wird ersichtlich, dass Raum und Zeit nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten beurteilt werden. Deshalb wird auch gesagt, dass jeder Mensch seine Vergangenheit ändern kann. Die äußere Wirklichkeit sträubt sich hartnäckig, das zu akzeptieren. Der Schlüssel ist unser Vertrauen. Worein wir vertrauen wird und ist unsere ganz persönliche Wirklichkeit. Ein Mystiker verbindet ohne Unterlass die Welt außen mit der Welt innen. Nichts ist getrennt, auch wenn es so scheint. So gesehen ist er der größte Realist, weil er die äußere Welt als Ausdruck der unsichtbaren Welt versteht. Die materielle Welt ist nach der jüdischen Überlieferung die unterste von vier Welten und nicht imstande aus sich selbst zu existieren. Somit kann diese Welt nicht als unumstößiche Realität verstanden werden.

Der Mystiker aber liebt diese Welt, liebt den Nächsten, tut alles für ihn, aber schon nicht mehr um Lohn, nicht um Dankbarkeitserweise zu erhalten. Er tut umsonst, er weiß nicht einmal, daß er es tut. Es freut ihn, wenn der andere sich freut, daß er für ihn da ist, ohne es zu wissen. Es bedeutet eine Sanftmut, eine Liebe zur Welt, zu den Menschen, und nicht nur zum »Nächsten«, wie man sagt; jeder Mensch ist »der Nächste«, jedes Tier, jede Pflanze. Es ist die Sehnsucht nach anderen Welten, die Sehnsucht nach der großen Einheit von Diesseits und Jenseits, Erde und Himmel, wo alle Generationen in einem da sind, alle deine Wünsche, deine Gedanken, deine Hoffnungen erfüllt sind. Wenn du dich danach sehnst, kann der Weg beginnen.
(Weinreb, Der mystische Weg)