Es gibt Menschen, die lange vor sich hinleben, gelangweilt sind und andere langweilen. Nichts Nennenswertes könnte man von ihnen sagen, bis es zu einem Augenblick kommt, worin sie sich von allen anderen unterscheiden und diese nur staunen ob des Mutes, den der Nichtbeachtete auf einmal aufbringt. Ein biblisches Beispiel hierfür ist Nachschon, der die Schlange in seinem Namen hat. Nach dem Auszug aus Mizrajim (Ägypten) stehen die Kinder Israel am Schilfmeer und streiten, wer denn zuerst in die Fluten steigen soll, denn zu Beginn war kein Weg durch das Meer zu erkennen, sondern Fluten und Wellen standen ihnen entgegen.
Während die Mehrheit sich im endlosen Diskutieren ermüdet, steigt Nachschon in die Wellen und geht unaufhaltsam weiter. „Wenn nicht jetzt, wann dann, und wenn nicht ich, wer sonst?“. Aus der Sicht derer, die sich nicht trauten, war er längst untergegangen und verloren. Psalm 69:2-3 wird in einem Midrasch Nachschon zugeschrieben, wenn er sich in diese Fluten stürzt:
„Rette mich, o Gott, denn die Wasser sind bis an die Seele gekommen!
Ich versinke in tiefem Schlamm, und kein Grund ist da; in Wassertiefen bin ich gekommen, und die Flut überströmt mich.“
Eine stille Freude empfanden einige, dass sie nicht dieses unkalkulierbare Risiko eingegangen sind. „Habe ich mir gleich gedacht, dass das nichts wird …“, doch plötzlich spaltet sich das Meer, die Zeit bleibt stehen und die Ursache ist jemand, der nicht redete, sondern sich überwand. Sich wand wie eine Schlange, die nicht alsobald aufgibt. So heißt es, dass der Nachasch (Schlange), der zu Beginn den Tod brachte, am Ende den Mut gibt zu überwinden. Daher der Name Nachschon, 50+8+300+60+50, weil er in die nachschol, 50+8+300+6+30 (Fluten, Wogen, Unwetter) gegangen ist. Zugehörig ist auch das Adjektiv nechschal, das zurückgeblieben, unterentwickelt und rückständig bedeutet. Gerade in den Menschen, die so in der Gesellschaft abgewertet werden, kann in bestimmten Momenten etwas durchbrechen, das entscheidend für alle anderen wird. Am Ufer blieben die „Ehrbaren“ zurück, die Angesehenen, deren Gescheitheit nur Angst hervorbrachte, die sie in ihrem Handeln lähmte.
Welch ein Paradox: Der, der dem Namen nach für das Rechnen und Berechnen bekannt ist (Schlange), wagt etwas ohne zu berechnen, und obsiegt stellvertretend für alle anderen! So schaltet der Trieb immer wieder neu den Verstand aus und der Mensch verwundert sich, was alles in ihm vorgeht und ihn nach vorne drängt.
Nachschon entstammt der Linie Jehudas und dessen Verbindung zu Tamar, und er führt die Linie bis auf David fort. Diese Linie ist gekennzeichnet von Wagnissen und Durchbrüchen, von Verhaltensweisen, worüber der Brave nur den Kopf schüttelt und die Nase rümpft. Das Leben ist ein großes Geheimnis und die Bibel selbst durchbricht das oft hinderliche Gutmeinen immer wieder neu, wie auch hier mit dem Beispiel Nachschons, den man auch so in das eigene Leben übersetzen könnte, dass uns etwas drängt voranzugehen, nicht zurückzuschauen, weiter immer weiter, wissend, dass das bisher Erlebte doch nicht umsonst gewesen ist, sondern alles seinen Sinn hatte. Nachschon sucht nicht den Schaden anderer, nimmt ihn auch nicht billigend in Kauf, sondern spürt, dass er sich selbst schadet, wenn er es nicht schafft, sich zu überwinden. Diese Selbstüberwindung ermöglicht dann den Weg für alles andere im Menschen „durch das Meer“, das sonst nie befreit hätte werden können.