Niemand hat gesagt, dass es einfach wird

Jakob, der Zwillingsbruder Esaus, bekommt an einem bestimmten Punkt seines Lebens den Namen Israel. Viel hat er bis dahin erlebt, viel durchlitten, aus der Heimat war er geflohen und in der Fremde bei Laban lernt er die Liebe seines Lebens kennen (Rachel), doch wird ihm diese zunächst vorenthalten und es geht drunter und drüber, bis er irgendwann nach vielen Jahren mitsamt Frauen und Kindern den Weg zurück antritt. Waren das keine Kämpfe bis dahin? Waren das keine Nöte? Was für ein Auf und Ab, was für ein Durchringen und dabei wollte er doch nur rechtschaffen sein Leben leben, schlitterte aber von einem Ungemach ins nächste.

Auf dem Weg zurück passiert bei der Überquerung des Jabbok diese eigentlich unbedeutende Kleinigkeit, dass er ein kleines Gefäß, ein Krüglein verliert. Außer ihm bemerkt es niemand. Warum auch, es gibt doch wichtigeres als ein kleines Gefäß! So geht er unbemerkt zurück; unbemerkt für die Seinen, aber nicht unbemerkt vor der unsichtbaren Welt, vor der alles sichtbar ist. Während die ganze Mischpoche weiterzieht und ihm in diesem Sinne sogar voraus ist, kümmert er sich um eine Kleinigkeit, die nicht durch Spots auf der Bühne in Szene gesetzt wird, sondern tatsächlich im Dunkel der Nacht passiert. Diese in den Augen der Welt lächerliche Tat, löst in der anderen Welt ein Inferno aus, moderner ausgedrückt könnte man sagen, dass sich ein Krisenstab zusammensetzte, weil man bei einem Menschen mit vielem rechnet, aber nicht damit! Und so löst diese Kleinigkeit den größten Kampf aus, den Jakob bis dahin kämpfen muss, verborgen vor den Augen irdischer Zeugen, ganz ohne Kameras oder sonstigem Equipment. Und doch wurde es aufgezeichnet, sonst wüssten wir heute nichts davon.

Was wirklich wichtig ist in unserem Leben, die echten Kämpfe, die wir innerlich kämpfen, mit dem „sar esaw“, wie das Wesen dort bei Jakob genannt wird, von denen bekommt meist niemand etwas mit. Aber sie sind es, durch die wir einen neuen Namen erhalten, d.h. dass sich das Schicksal mitunter vollständig ändert und der weitere Weg in ganz neue Bahnen gelenkt wird. Und was hätten seine Leute sagen können: „Jakob, was ist denn los, bist du etwa zurückgeblieben, hast du schlapp gemacht? Wir haben schon gedacht, du kommst gar nicht mehr.“ Tatsächlich werden die hebräischen Worte zu Beginn von 1. Mose 32:25 so gedeutet, dass er allen den Vorrang gab und sich selbst hintanstellte. Er kümmerte sich darum, dass alle wohlbehalten durch den Fluss kamen, die Unversehrtheit der anderen war ihm wichtiger als seine eigene. Nur wer „zurückbleibt“ erkennt, was verlorengegangen ist, und kann es retten.
Für die anderen hatte sich zunächst nichts geändert, vielleicht waren sie sogar, während Jakob den Kampf seines Lebens kämpfte, mit Alltagsfragen beschäftigt; doch als die Begegnung mit Esau wider Erwarten friedlich verlief, hätten sie stutzig werden müssen, wurden sie aber nicht, weil in der Gegenwart dieses Jakobs ständig komische Sachen passieren, die sich niemand erklären kann.

Die größten Kämpfe in unserem Leben haben wir selten vor den Augen anderer. Oft bekommen es noch nicht einmal die engsten Angehörigen mit, was eigentlich in uns vorgeht. Die Auslöser für solche Kämpfe bleiben ebenfalls für andere im Dunkeln. „Und es rang ein Mann mit ihm“, ist die erste Beschreibung des Gegners Jakobs. Weil er „Mann“ (isch, 1+10+300) genannt wird, sagen die Kommentare, dass Gott selbst diesen Gegner geschickt hatte, als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet, dass Jakob durch den Weg seines Lebens die nötige Reife, Kraft und Ausdauer erworben hatte. „Jetzt, Jakob, bist du so weit, jetzt bist du gerüstet für diese Auseinandersetzung. Vorher hättest du es nicht verkraftet.

Es gibt jedoch auch noch eine andere Seite dieser Erzählung, so wie jede Situation unseres Lebens auch Unausgesprochenes enthält. Das Zurückbleiben Jakobs wird auch damit in Verbindung gebracht, dass er vor der Begegnung mit seinem Bruder in einen Zustand großer Angst kam und erwogen hatte zu fliehen, um dem Aufeinandertreffen zu entgehen. Und plötzlich werden kleine Dinge wichtig, denen man zuvor weniger Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ, denn genau deshalb gingen sie auch verloren! Es ging nicht um irgendeinen Krug, sondern um seinen Krug. Das geht aus dem hebr. Wort „l’vaddo“ (30+2+4+6, „zu allein bzw. getrennt“) in 1. Mose 32:25 hervor, das man auch „l’kaddo“ (30+20+4+6, „zu seinem Krüglein“) liest. [Die Kaf und die Beth sind sich als Zeichen sehr ähnlich.]
Nun sendet Gott diesen „isch“ (Mann), um Jakob am Fliehen zu hindern, und dann wird dieser Hinderer zur Ursache dafür, dass ihn sein Bruder nicht mehr hindert! Jakob realisiert dann, wie es heißt, dass wenn er diesen Kampf gewonnen hat, er nichts mehr fürchten müsse. Zunächst stimmte das auch – unsere Einsichten genügen immer nur für unsere unmittelbar nächste Wegstrecke –, aber der spätere Verlust seiner Frau Rachel und seines Sohnes Joseph lagen noch einmal auf einem ganz anderen Niveau der Auseinandersetzung mit sich selbst.

Wie komplex ist des Menschen Handeln, sind seine Absichten, sein Kämpfen-Müssen, ohne dass er eigentlich kämpfen will?! Die Mehrheit möchte doch einfach nur ein friedliches Leben, Gesundheit, Glück und Freude, doch es kommt zu Ereignissen, die, wie am Beispiel Jakobs sichtbar, direkte Konfrontationen mit einer für unsere Augen verborgenen Welt sind.
Jakob war nicht der Angreifer und den Namen seines Gegners erfährt er auch nicht, aber er erkennt, wie es heißt, dass er es nicht mit einem gewöhnlichen Menschen zu tun hat, sondern mit einem Wesen, das ihm im Körper eines Menschen begegnet. Manchmal tauchen Menschen in unserem Leben aus diesem Grund wie aus dem Nichts auf, um hernach wieder zu verschwinden. Es gibt an dieser Stelle einen Verweis auf Dan. 9:21, wo der „isch“ Gabriel genannt wird, der kommt, „um Verständnis (binah) zu lehren“, und es heißt dort so eindrücklich:

„Im Anfang deines Flehens ist ein Wort ausgegangen, und ich bin gekommen, um es kundzutun; denn du bist lieb und wert.“

(Vers 23a ebd.)

„Kundzutun“ ist hier die Übersetzung von nagad, 50+3+4, das auch „erklären“ bedeutet, als wollte Gott sagen:
Ich werde mit dir auf eine Weise sprechen, die du verstehst. Ich kenne die verborgensten Gedanken deines Herzens und werde dir so begegnen, dass du nicht auf halber Strecke stehen- und steckenbleibst, sondern weitergehen kannst und Wunder über Wunder erlebst, die dich darob staunen lassen, was ich denen bereithalte, die mich lieben. Dass es einfach wird, hat niemand gesagt, aber dass nach der Nacht der Tag kommt, der alles klarmacht, ist gewiss.