Die Erkennung des Selbstwertes

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Wer sich seines Selbstes bewusst ist, weiß, dass kein einziger Mensch auf der gesamten Welt mehr wert sein kann, als man es selbst ist. Respekt vor dem eigenen Leben und Selbstachtung erkennen den Wert des Nächsten; auch er und sie ist im Bild und Gleichnis Gottes. Wer den Nächsten nicht achtet, verachtet auch Gott. Deshalb lautet es in Philiper 2, Vers 3: in der Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst; für Demut steht dort im Griechischen tapeinophrosyne (ταπεινοφροσύνη), ein Wort das ein Kompositum aus niedrig und denken ist. So könnte man auch sagen: Das (bewertende) Denken möge eine untergeordnete Rolle spielen. Tapeino bedeutet sogar einebnen, was die Aussage dieses Verses noch verstärkt: Versuche einmal, in deinem Nächsten Gott zu sehen!  Jeder von uns ist aufgerufen, sein Gegenüber als Repräsentant Gottes anzuerkennen. Gott begegnet uns nicht direkt im Sichtbaren, sondern auf indirekte Art und Weise. Deshalb warnt das Alte Wissen eindringlich davor, Mitmenschen zu erniedrigen oder zu verleumden. Es wird dort sch’fach dam, Blutvergießen, genannt. Blut, hebr. dam, und gleichen, domeh, haben den gleichen Wortstamm, weshalb das Blutvergießen als gleichbeudeutend mit dem Nichtanerkennen, dass dieser Mensch Gleichnis Gottes ist, gesehen wird. 

Interessant ist, dass das dt. Wort Wert etym. mit werden in Verbindung steht. Geht es uns darum etwas zu werden? Suchen wir einen Zustand in der Ferne, von dem wir meinen, dass er jetzt nicht da ist? Was sollte das sein? Da ist der Wunsch, Karriere zu machen – beruflich oder privat. »Erster« möchten viele sein: in einer sportlichen Disziplin, einem Wissensgebiet, der Beste im Spielen eines Instrumentes. Selbstfindung in unterschiedlichsten Disziplinen. Es ist die Gier des Jägers, des Esaus, der nach dem Erlegen des Zweizentner-Tieres auf der Suche nach dem Dreizentner-Tier ist. Es reicht nie – egal, welches Tier er auch erlegt. Immer könnte es noch etwas mehr sein. Wenn du auf dem Höhepunkt deines irdischen Weges stehst, ist dein Nachfolger längst geboren. Vielleicht übertrumpft er deinen Erfolg noch – wer weiß? Und wer bist du dann nachdem du etwas geworden bist? Die Zeit bläst deinen Erfolg hinfort wie der Wind den Staub. Naturgemäß folgt in dieser Welt alles einer Sinuskurve. Es geht stetig auf und ab. Hierin steckt auch ein Trost: Wer ganz unten ist könnte sich kurz vor einem Aufstieg befinden. Es gab Menschen, die sich selbst das Leben aufgrund von Arbeitslosigkeit genommen haben, obwohl in ihrem Briefkasten bereits der Umschlag mit einem Stellenangebot lag. Andere verhalten sich noch als König, obwohl ihr Nachfolger bereits ernannt wurde [Saul und David]. Was wissen wir schon?

Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, wie Menschen alle selbstgesetzten und allgemein anerkannten Ziele erreicht haben. Auf dem Höhepunkt angekommen gibt es meist einen kurzen »Peak« im Ego und es folgt die Frage: Und jetzt? Könnte ich noch mehr erreichen, oder liegt das Glück doch woanders?

Macht der Mensch sich jedoch beharrlich auf die Suche danach, was ihn als Mensch im Innersten unabhängig von seinem Curriculum Vitae ausmacht, nähert er sich der Quelle aus der alles Leben quillt. Sie ist in uns allen vorhanden. Sich selbst als wertlos zu achten kommt einer Leugnung dieser Quelle gleich. Dadurch kommt sie nicht in den Fluss. Diese Blockade löst sich durch Wiedergewinnung des Vertrauens in das Leben. Dazu können wir uns gegenseitig helfen. Manchmal genügt ein einziger Mensch, der einem anderen sagt: “Du schaffst das!”

Das Vertrauen darein, dass ich selbst im Bild und Gleichnis Gottes bin, verschafft ein gesundes Selbstwertgefühl, das nicht von dem Urteil anderer abhängt, sondern in Beziehung zum Ewigen, zum Ewigen in mir, steht. Infolge dessen werde ich mich nicht wie ein Verlierer verhalten, aber auch nicht wie ein Despot. Das Leben ist ein Geschenk und nicht Folge eines Verdienstes. Somit ist Eigenruhm ausgeschlossen. In unserem Verhalten zeigt sich, inwieweit wir uns unseres Ursprungs bewusst sind und uns von diesem als Geliebte empfinden. Ursprung und Vater sind im Hebräischen identisch.