Ohne Respekt keine Liebe

image_pdfPDFimage_printDrucken

Vor der Liebe steht der Respekt. Respekt bedeutet auch, dass man jemand Gewicht verleiht, sein Gegenüber wichtig nimmt. Das lat. respectus »das Zurückblicken, das Sich-Umsehen; die Rücksicht« bedeutet wörtlich, dass man in die Richtung blickt, zu welcher hin ein Mensch keine Augen hat, also nach hinten. Jede Rück-Sicht bedingt damit eine Umkehr, entweder eine vollständige oder wenigstens ein Drehen des Hauptes. Jeder gesunde Mensch ist somit imstande zu einem respektablen Umgang. Es ist eher die Verweigerung des Sich-Umwenden-Wollens, aus der das Wesen der Verachtung seine Nahrung bezieht.
Jemand, den man nicht achtet, wird man nicht lieben können. Umgedreht drückt sich Liebe immer in Achtung aus. „Gott liebt dich“ heißt damit zugleich, dass er dich achtet! Er respektiert dein Leben, deine Entscheidungen. Er hat dich nicht als willenlose Marionette geschaffen.

Das hebräische Wort für Respekt, jekar, 10+100+200, bedeutet auch „teuer sein“ „einem lieb sein“. Dinge, die man nicht ehrt, haben keinen (persönlichen) Wert, sind in den eigenen Augen billig und dementsprechend geht man damit um. Mangelnder Re-Spekt ist identisch mit mangelnder Rück-Schau, einem Nicht-Achten des Vergangenen bis hin zur Verachtung des Ursprünglichen. Das Ursprüngliche einer Pflanze ist ihr Kern, der Same, der bereits alles enthielt, was sich später durch den Lauf der Zeit entwickeln konnte. Singvögel ernähren sich häufig von Kernen, von Ursprünglichem. Diese Vögel werden auch der Seele verglichen und ist es nicht die Seele, die den Kern sucht, das Kon-Zentrierte?

Sie säen nicht und ernten nicht, sie sammeln auch nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch.

Matth. 6:26

Der Vers geht so weiter, dass Jesus fragt: „Seid ihr nicht viel vorzüglicher als sie?“ Andere übersetzen statt vorzüglich „mehr wert“. Tatsächlich steht hier im hebr. NT das oben erwähnte jekar, 10+100+200, also „euch gebührt der Respekt!“. Das Griechische verwendet hier einen Begriff, der den Sinn auf einen – für meine Begriffe – noch höheren Level hebt: Für „wert sein“ steht dort διαφέρω (diaphero), dessen Herkunft aus zwei Wörtern besteht, nämlich δια diá = δυο dyo zwei + φερω phéro tragen, (wörtlich: auf zwei Weisen, hier und dort, tragen). Der Mensch trägt hier und dort!
Die Seele zieht es zurück zum Ursprünglichen, aber der Körper verlangt danach, dass der Kern wurzeln und sich entfalten kann. Was wäre denn, wenn ein Kind geboren wird, dieses aber nicht laufen lernt, nicht sprechen lernt, seine Entwicklung gehemmt oder gar vollständig verhindert wird? Alles gehört zusammen, doch erst in der richtigen Verbindung kommt alles an seinen Ort und erhält seinen Wert und damit seinen Respekt. Der Mensch ist mehr als die Seele und mehr als der Körper. Aber trägt nicht die ganze Schöpfung dieses Wunder des „Hier und Dort“ in sich? Unser Umgang mit ihr und mit anderen zeigt, inwieweit tatsächlich die Welten in uns von der Verlobung zur Hochzeit gelangen, woraus dann etwas ganz Neues entstehen kann, das in seiner gesunden Entwicklung von niemand mehr gehindert wird.