Rakion, der erste Pharao

Einer Legende nach gilt der Gaukler Rakion als Begründer der Pharaonen-Dynastie. Folgende Geschichte wird dazu erzählt:

Zur Zeit, da Abraham nach Kanaan zog, lebte im Lande Schin’ar ein Mann mit Namen Rakion, der war sehr weise und alles Wissens kundig, auch schön von Gestalt, aber überaus arm und hatte nichts. Da ward ihm Angst darum, wie er sich ernähren sollte, und so beschloss er, nach Ägypten zu gehen zum König Aschwerosch, dem Sohne Enams; er wollte dem Ägypterkönig seine Weisheit zeigen, ob er nicht Gnade in seinen Augen fände, dass er ihn groß machte und ihm seinen Unterhalt gäbe. Und Rakion tat also. Da er nach Ägypten kam, befragte er die Leute des Landes um ihren König, und die gaben ihm Kunde über die Gewohnheit des Königs. Denn zu jener Zeit war es Sitte in Ägypten, dass der König nicht aus seinem Schloss herausging und sich dem Volke auch nicht zeigte, außer an einem einzigen Tag im Jahre; alsdann pflegte er sich wieder in seinen Palast zu begeben, um daselbst zu bleiben. An dem Tage aber, da der König herauskam, pflegte er das Volk zu richten, und ein jeder, der ein Anliegen an den König hatte, trat an diesem Tage vor sein Angesicht, und es ward ihm gewährt, worum er bat.
Als nun Rakion von diesem Brauch hörte und erfuhr, dass er vor den König nicht kommen könne, ward er sehr bekümmert und verdrossen. Da es Abend wurde, ging er hin und fand eine verfallene Backstube und blieb dort über Nacht verbittert und hungrig, und der Schlaf kam nicht über seine Augen, denn er sann in seinem Herzen immerfort nach, was er in der Stadt tun sollte, bis er den König zu sehen bekäme und wie er sich erhalten könnte. Des Morgens aber stand er auf und ging in der Stadt umher; da führte ihn der Zufall an den Kräuterhändlern vorbei; er befragte sie um ihr Tun, und die erzählten, dass sie sich davon ernährten, dass sie Grünzeug und Samen einkauften und es nachher an die Leute der Stadt verkauften. Da wollte es Rakion auch so machen, um seine Seele zu erhalten, aber er kannte nicht die Sitten des Landes und war wie ein Blinder unter den Menschen. Dennoch ging er hin und holte sich Grünes, dass er es verkaufte und dafür Nahrung bekäme, aber es versammelte sich um ihn loses Gesindel, die verspotteten ihn, nahmen ihm die Kräuter weg und ließen ihm nichts übrig.
Da machte er sich bitteren Herzens und seufzend davon, ging wieder nach der Backstube, in der er sich die vorige Nacht aufgehalten hatte, und legte sich auch diese Nacht dort nieder. Und wieder hielt er Rat mit sich, wie er es anstellen sollte, dass er seine Seele errettete, bis er in seiner Weisheit auf einen listigen Einfall kam, den wollte er ausführen. Er stand in der Frühe auf, überlegte weise und ging hin und heuerte 30 Leute an, alles kräftige Männer, freches Volk und wohl bewaffnet; er führte sie bis an die Grabeshöhlen der Ägypter und stellte sie dort auf. Und er befahl ihnen (lügnerisch und anmaßend) und sprach:
Dies ist der Erlass des Königs: Seid tapfer und seid Männer und lasst keinen Toten hier begraben, bis man für ihn 200 Silberlinge bezahlt hat, dann erst darf man ihn beisetzen.
Also taten die Leute mit den Toten der Ägypter die ganze Zeit. Und als 8 Monate vergangen waren, da hatte Rakion und seine Leute großen Reichtum gesammelt, Gold und Silber, Kristall und Edelsteine ohne Zahl. Da kaufte sich Rakion Pferde, viel Vieh hatte er auch und heuerte noch mehr Leute an und gab auch ihnen Pferde, dass sie bei ihm blieben. Als aber das Jahr vorüber war und die Zeit kam, dass der König sich dem Volke zeigen sollte, versammelten sich alle zu Ägypten und verabredeten miteinander, dem König zu unterbreiten, was Rakion und seine Leute mit ihnen anstellten. Da kam der König an dem bestimmten Tage, und alsbald traten vor ihn alle Ägypter und schrien und sprachen:
Der König lebe ewiglich! Doch was ist es nur, das du deinen Knechten antust, dass du keinen Toten begraben lässt, ohne dass man dafür mit Gold und Silber zahle? Ist je ein solches Ding in der Welt geschehen von der Zeit der ersten Könige, die vor dir waren seit Abram bis auf heute, dass man einen Toten nicht sollte begraben können, als nur um einen Preis? Wohl wissen wir, dass es des Königs Recht ist, von den Lebenden Jahr um Jahr einen Zins zu nehmen; du aber tust nicht allein dies, sondern forderst auch von den Toten, dass sie dir Abgaben leisten. Nun aber, oh König, wir können dies nicht mehr tragen, denn die Stadt ist verderbt darum, du weißt gar nicht wie sehr.
Da nun der König dies hörte, ergrimmte er sehr, und sein Zorn entbrannte in ihm, denn er wusste nicht um die Sache. Und er sprach: „Wer ist es nur, und wo befindet er sich, dessen Herz sich erdreistete, in meinem Lande zu tun, was ich nicht befohlen hatte? Sagt es mir an!“ Da erzählten ihm die Leute von dem Tun Rakions und seiner Männer. Da fuhr der König wieder auf, und er ließ den Rakion und seine Gesellen vor sich kommen.
Rakion aber nahm etwa 1000 Kinder, Knaben und Mägdelein, hüllte sie in Leinen, Seide und gestickte Kleider, setzte sie auf Pferde, tat sie unter die Hand seiner Leute und schickte sie dem König. Er selbst bereitete auch ein Geschenk für den König, das bestand in viel Gold, Silber, Kristall und Edelsteinen, dazu noch prächtige Rosse die Menge, so kam er vor den König und fiel nieder vor ihm zur Erde. Da wunderten sich der König und seine Knechte und alle, die zu Ägypten wohnten, ob der Werke Rakions, und sahen seinen Reichtum und die Gaben, die er dem König darbrachte, und es gefiel dem König wohl und er ward voll Staunens über ihn.
Rakion setzte sich vor den König; da fragte ihn der König nach seinem Tun, und Rakion sprach mit viel Weisheit vor dem König und seinen Hofleuten und allen Ägyptern. Da nun der König Rakions kluge Rede angehört hatte, fand dieser Gnade und Wohlgefallen in seinen Augen. Und auch alle Knechte des Königs und die Einwohner Ägyptens, die zugehört hatten, wurden von seiner Weisheit und von der Fertigkeit seiner Rede eingenommen und gewannen ihn sehr lieb von dem Tage an und weiter. Und der König wendete sich zu Rakion und sprach: “Dein Name soll fürder nicht Rakion heißen, sondern Pharao, denn du verstandest es, den Toten einen Zins abzugewinnen.” Also ward er auch Pharao benannt.

Der König und seine Vögte hatten Rakion lieb wegen seiner Weisheit, und sie hielten Rat mit dem ganzen Volk der Ägypter und schlugen vor, dass man ihn neben Aschwerosch zum 2. König machen sollte. Und es taten also alle Bürger des Landes und ihre Weisen und machten den Rakion neben Aschwerosch zum König über sich und dies wurde zum Gesetz in Ägypten. Rakion aber richtete das Volk alle Tage, Aschwerosch hingegen nur einmal im Jahr, wenn er zum Volke hinausging. Also gewann Rakion mit Gewalt und List die Herrschaft über Ägypten und ließ sich von allen den Zins geben, daher nannte man ihn Pharao. Aber das ägyptische Volk liebte Rakion, den Pharao, sehr und schrieben ein Gesetz nieder, dass fortan jeder König, der über sie und über ihre Nachkommen herrschen werde, Pharao genannt werden sollte. Daher trugen die Könige Ägyptens, die von dem Tage ab und weiter regierten, den Namen Pharao.

(Sepher ha-Jaschar, Lech Lechá)


Rakion, der erste Pharao – eine kurze Deutung

Diese Geschichte aus dem Sepher ha-Jaschar (Midrasch) würde ein ganzes Buch ergeben, wenn man auf alle Punkte eingehen wollte. Zunächst einmal ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass Rakion parallel mit Abraham auszieht. Der 1948 als Abram geborene Abraham zieht im Jahr 2023, wenn er 75 ist, zum zweiten Mal nach Kanaan. Er folgt explizit Gottes Geheiß und weiß nicht, was ihn erwarten wird. Rakion hingegen verspricht sich Anerkennung und eine Verbesserung seiner Lebensumstände. Abraham kommt nach Kanaan, dem Ort des Ursprungs, und baut dort einen mizbeach (Altar) für Gott. Ein mizbeach ist dazu da, alles, was der Mensch in dieser Welt erlebt und was ihm begegnet, zu Gott zu bringen und so seine gesamte irdische Existenz an Gott zu binden. Abraham kommt gemeinsam mit Lot, trennt sich aber dann von seinem Neffen.
Es ist die Zeit des Weltenwandels. Die Welt Nimrods, der gegen Gott rebelliert, ist zwar noch gültig, aber im Begriff zu enden. Aus ihr fließt nun eine neue Welt hervor, es ist die Welt mizrajims, die nun Gestalt annimmt und deren König Pharao genannt werden wird. Der Ivri aus der Welt von Nimrod, der Gegenspieler Nimrods, wird auch seinen Platz in der Neuen Welt haben. Er wird sich mit mizrajim verbinden und wird durch mizrajim zum ersten Mal nach dem Anfang, nach dem Ur-Anfang, die Welt regieren. Übersetzt: Das Jenseitige kommt auf Gottes Geheiß herab und wird das Diesseitige nicht nur entmachten, sondern auch darüber herrschen.
Schon bald, wenn Abraham nach mizrajim kommt, fangen dort seltsame Dinge zu geschehen an und wenn er dort weggeht, nimmt er viel von dort mit. Der Ivri verlässt mizrajim immer als König, obwohl eigentlich Pharao der König mizrajims ist. Sowohl Rakion als auch Abraham beginnen ihre Auswanderung in schin’ar, einem Ort, der für die Interessen Rakions keine Entfaltungsmöglichkeiten bietet.

Schin’ar (Sinear) – jeder Ort hat seine (Un-)Möglichkeiten

Das Land schin‘ar hat den Wert 620 (300+50+70+200). Das ist auch der Wert des Wortes Krone, welche der Mensch für sich sucht. Kether, Krone, schreibt sich 20+400+200. Man kann das Wort auch als „wie das Verhältnis der 2 zur 1“ lesen, darüber hinaus finden wir die beiden Zahlen 400 und 200 später auch als Entgelt für Gräber. Schin‘ar ist eine Ebene, in der das menschliche Genie Material genug findet, seine Einbildung zu einem Turm heranwachsen zu lassen, sodass der Mensch dem Wahn verfällt, er könne sich selbst krönen, indem er den Himmel dem Irdischen unterwirft.
Rakion ist sehr weise und weiß auch sehr viel, doch mit dieser Art von Weisheit und Wissen kann man in schin‘ar nichts anfangen. Raubvögel mögen nun mal kein Getreide. In schin‘ar steht der Turmbau im Zentrum des Interesses. Dazu braucht man Techniker und Wissen, das konkret anwendbar ist. Mithilfe dieser Intention möchte man den Himmel stürmen, selbst Gott sein und die Geschicke der Welt in die eigene Hand nehmen. Der Himmel muss der Erde unterworfen werden, man hat es satt von einer willkürlichen Entität gelenkt zu werden. Diese Gesinnung provoziert in allen Fällen ohne Ausnahme früher oder später den Einsturz der Welt, in der man sich befindet. Rakion ist ein Fremdling in schin‘ar, für seine Weisheiten gibt es keine Ohren, deshalb trägt er dort auch diesen Namen, der andeutet, dass er arm, leer und ohne Bedeutung ist. „Was ist das nur für ein Nichtsnutz und Müßiggänger, dieser Rakion!“, ruft man über ihn aus. Schin‘ar ist die Phase im Menschen, wenn er denkt, dass er unentwegt zielorientiert leisten muss, wenn sein Streben darauf gerichtet ist, die Dynamik der Wellen des Lebens perfekt für sich zu nutzen. Rakion begreift, dass er nach mizrajim, in die Welt der Gegensätze, der Welt der endlosen Diskussionen und Debatten gehen muss. Dort wird man ihn und seine Weisheit sicher anerkennen und wertschätzen. Ein großer Mann will er werden, und mizrajim ist wie gemacht dafür, dieses Ziel zu erreichen. Rakions Absicht ist von vornherein sich mit mizrajim dauerhaft zu verbinden, wohingegen Abraham genau das nicht will, was sich auch in der Trennung von Lot ausdrückt.

Derselbe Weg, aber unterschiedliche Beweggründe

Diesen Gegensatz finden wir auch in uns selbst. Eine Seite will sich unbedingt mit der Welt hier verbinden, reich werden und etwas darstellen, während die andere Seite sagt: Ich bin hier auf Gottes Geheiß, aber so richtig weiß ich nicht, was ich hier soll. Rakion in uns sucht die Verwirklichung und Abraham sieht sich nur als Gast, der sich immer dessen bewusst ist, dass er hier keine bleibende Stätte hat, sondern die zukünftige sucht (Hebr. 13:14).
Bislang klang es so, als ob Rakion tatsächlich weise wäre, doch das Leere und die Armut, die sich in seinem Namen ausdrücken, treffen auch auf seine Weisheiten zu. Es sind Phrasen ohne Inhalt, ohne Tiefe, rhetorisch zwar beeindruckend, aber zusammengefasst oberflächlich ohne inneren Nährwert. Rakion glaubt, dass er den König von mizrajim mit diesen „Weisheiten“ beeindrucken kann, aber mizrajim ist die Welt der Zeit, der Langsamkeit und des Wartens. Je länger man dort auf einen Termin warten muss, desto wichtiger scheint derjenige zu sein, den man konsultieren möchte. Der König, der Kern, das Wesentliche ist in mizrajim immer verborgen. Nur einmal im gesamten Lebenszyklus kommt der König aus seiner Verborgenheit heraus und ist dann sichtbar. Dieses eine Mal kann der Moment des Todes sein, wenn dem Menschen plötzlich klar wird, dass er seine ganze Lebenszeit vertan hat. Diese Einsicht kann aber auch in das Leben fallen. Es ist ein Durchbrechen des Bekannten, ein plötzliches Einsehen, dass es doch noch etwas ganz anderes gibt, das zwar auch die ganze Zeit über da war, jedoch nicht erkannt werden konnte, weil es verborgen war.
Der König dort hat den Namen Aschwerosch, also bis auf die cheth den gleichen Namen wie der König von poras und modaj (Medien und Persien) in der Geschichte von Esther. Er ist der Sohn von Enam. Die Zahl von Aschwerosch ist 817 (1+300+6+10+200+300), das ist auch 19 x 43; das heißt, es ist die 10. Primzahl mal die 16. Primzahl, was die Verbindung zum Vater herstellt. Der Vater Enam, 70+50+40, zählt 160, also die 10 x 16 in den vor uns erscheinenden Zahlen. Die 160 ist die Zahl der gewachsenen Zeit, der Vielheit, die 4 x 40, die sowohl ein Baum, ez, 70+90, als auch das Silber, kesef, 20+60+80, zählen. Auch Kain zählt 160, denn die Zeit ist es noch heute, die ihren Bruder, das Jenseitige, erschlägt, weil sie ihn verachtet und weil er stört. Sobald man mit Zeit rechnet, erhebt man sich über die Ewigkeit, so wie Kain sich über Abel erhob (1. Mose 4:8). Deshalb ist Kain auch der eved adamah, der Diener der Erde, der nur das Prinzip von Ursache und Wirkung kennt, welches sich durch die Wahrnehmung als „Beweis“ darstellt. Auch mizrajim hat diesen Zeitcharakter, den der Zweiheit. Beim Vater (Enam) und beim Sohn (Aschwerosch) ist dieser Widerspruch präsent, aber auf unterschiedliche Art und Weise, denn der Vater zeigt den Bezug zur Zeit, zum Fließenden, in der gewöhnlichen Äußerlichkeit, in der 4 x 40, in der 10 x 16, dem 10-fachen des Ausdruckes der materiellen Vielheit und des Tierischen, also der 16. Aber der Sohn, der König, hat diese 10 x 16 in den Primzahlen (nach der alten Zählweise) in einer Reihenfolge, die unseren sichtbaren Zahlen einen ganz anderen Wert gibt. Denn was genau ist unsere Zahlenfolge, wenn doch nur die Primzahlen die wirklichen sind, die Zahlen, die für sich jeweils eine Einheit bilden. Die Zweiheit zeigt sich hier im Gegensatz zwischen der sichtbaren Reihenfolge und der Reihenfolge einer anderen Ordnung. Der König Achaschwerosch im Buch Esther ist auch der König einer Zweiheit, einer Welt von Gegensätzen. Er, der in seinem Namen die cheth hinzufügt, aber die jod entfernt und wiederum eine waw hinzufügt, hat auch die Gegensätze in seiner Welt, und er glaubt, dass dies die Welt erklärt.

Fragmentierte Erinnerungen – Ägypten und das Brot

Rakion kommt jetzt in diese Neue Welt und sieht, dass er den König dieser Welt nicht ohne weiteres erreichen kann. Es braucht Zeit, d. h. das Leben. Er verbringt die erste Nacht im beth ophim, 2+10+400 1+(6)+80+10+40, dem Haus des Backens. Man denke auch an den sar ophim, den „Herrn des Backens“, dessen Traum Joseph deutet. Rakions Backhaus ist verfallen, dort wird nichts mehr gebacken. Auch der Bäckermeister bei Joseph backt nichts mehr, weil er aufgehängt wird, d. h., die Verbindung des Zubereiters des Brotes mit der Erde wird in mizrajim gelöst. Der Zusammenhang zwischen Himmel und Erde, der sich in der Zubereitung von Brot ausformt, ist in mizrajim nur noch ein Relikt aus der Geschichte. Das Brot existierte noch in einer früheren Welt, aber in der gegenwärtigen Realität, der Welt der Zeit, weiß niemand mehr, wie das Brot zustande kommt. Das versteht man unter der verfallenen Backstube.
Im Brot drückt sich das aus, was man im Hebräischen tikkun nennt. Damit meint man ein Heilwerden, ein Verbessern eines Zustandes, eine Erfüllung, denn genau das ist der Weg von der chittah (Weizen) hin zum lechem (Brot). Im Brot sind die getrennten Körner wieder vereint. Davon künden in mizrajim nur noch Ruinen, er gibt nur noch ruinierte Erinnerungen. Diese Ruinen lässt man stehen, sie gehören zu mizrajim, das will sagen, dass tief in uns selbst Erinnerungen in fragmentierter Form davon vorhanden sind, dass es mal etwas gab, das nicht nur den Geruch und den Geschmack der Einheit kannte, sondern auch den Weg, der dazu führte.

Zum Backen gehört das Feuer, das in mizrajim unerwünscht ist, denn Feuer beschleunigt die Zeit (Wasser) oder hebt sie gar auf. Die letzte Stufe des tikkun ist immer das Feuer. In mizrajim ist der Schwerpunkt ein anderer, dort ist das Wasser das wichtigste Element. Alles muss dem Fluss des Wassers und dessen Kanalisierung dienen. Auf Regen hofft man nicht, „wir teilen uns die Zeit schon so ein, dass alles versorgt wird“ (in mizrajim „wässert man mit dem Fuß“, siehe 5. Mose 11:10).
In mizrajim wird das Brot gebacken, indem man es in die Sonne legt. Die Sonne bereitet es zu, nicht das von Menschen gemachte Feuer, das Feuer von unten, das durch das Feuer von oben entzündet wird. Aber mizrajim will dieses Feuer nicht, das Ewige im Menschen darf nicht entfacht werden. Dort hat man Angst vor dem Außerzeitlichen, vor dem Außergewöhnlichen, vor dem Revolutionären.

Das Grüne hat keinen Weg – Kaufen und Verkaufen

Um Rakion besser zu verstehen, muss man mit den Umständen dort vertraut sein. Er übernachtet also in einem solchen verfallenen Haus und hofft, dass ihm dort die richtigen Einfälle kommen, außerzeitliche Einfälle („hier wurde doch mal gebacken!“), die ihm eine Lösung für seine Probleme aufzeigen. Doch er wartet vergebens. Dann, wenn es Morgen ist, geht er hinaus in die Welt und trifft die Menschen. Er sieht, dass ihr Leben darin besteht, das Grüne, jerek, 10+200+100 zu kaufen, das Kraut, das wie Gras wächst, um es wieder zu verkaufen. Das Grün kommt fertig aus der Erde hervor, und veranschaulicht, dass es vollständig ist, weil Anfang und Ende sich berührt haben, das Gelb des Ostens und das Blau des Westens. Der Mensch in der Welt von mizrajim empfängt das Grün „fertig“, er kauft es, aber er hat keinen Anteil am Weg. Es kommt zu ihm und er zahlt den Preis dafür, ein Äquivalent, ein Opfer von dem, was er selbst hier ist. Und er gibt es wieder ab. Aus diesem Empfangen und wieder Abgeben besteht sein Leben hier. Das Grüne kommt schon fix und fertig aus einer anderen Welt zu ihm. Es ist hier bei ihm und er gibt es der anderen Welt unverändert genauso grün zurück. Es kommt aus dem Geheimnis und es geht wieder in das Geheimnis. Das ist bei jeder Erscheinung hier so, bei allem, was dem Menschen begegnet. Das ist, von diesem Standpunkt aus gesehen, die Beschäftigung der Menschen in der unteren Welt. Sie sind Kaufleute, die mit dem Grün handeln.

Rakion denkt, er könne damit sein Ziel, den König zu treffen, am Leben erhalten, indem er sich ebenfalls als Kaufmann für Grünes verdingt, und so bezahlt er für das Grün den geforderten Preis, aber er wird von rauen, wilden Männern überfallen, die ihm das Grün wegnehmen. Der Mensch, der den Kern mizrajims sucht (den König), denkt, dass er einen Weg gefunden hat, der ihn an sein Ziel bringen wird, indem er einfach alles so macht, wie die anderen es machen: So macht MAN das! Doch dann kommen Kräfte, mit denen er nicht gerechnet hat und die er nicht besiegen kann. Man kann sie als störende Geister, störende Gedanken oder störende Ereignisse bezeichnen. Andere nennen es „höhere Gewalt“; wie man sie auch nennt, es gibt Einflüsse, die uns mitunter auf „raue Art“ davon abhalten, bestimmte Ziele zu erreichen. Auf diese Mächte hat der Mensch keinen Einfluss. Wenn wir mit solchen „Räubern“ konfrontiert werden, zeigt sich darin Gottes persönliches Interesse an uns. Geh‘ doch nicht den Weg, den alle gehen! Nur weil es so bei den anderen funktioniert, muss es bei dir noch nicht lange nicht funktionieren. Niemand wurde geboren, um sich am Schicksal anderer zu orientieren.

Wenn wir uns den Namen Rakions einmal genauer ansehen, erkennen wir, dass dort auch zwei Zeichen des Wortes „grün“, jarok, enthalten sind. In seinem Namen wird dann auch deutlich, woher seine Idee mit dem Grünen kommt. Der Name Rakion, der Ur-Pharao, steht sprachlich insoweit für die Verbindung von arm, leer und hohl mit dem Grünen, das keinen Weg hat. Er will als oberflächlicher Mensch über das Grüne eine Möglichkeit finden, anständig zu leben. Raue Umstände verleiden ihm diesen Weg, und so kehrt er nach diesem enttäuschenden Tag voller Bitterkeit und Kummer in die Backstube zurück, um auch die zweite Nacht dort zu verbringen. Wir wissen bereits, dass diese Welt nur in ihrer zweiten Hälfte die Entscheidung bringt. Erst die zweite Hälfte kann wieder an den Anfang anknüpfen.
In dieser zweiten Nacht hat er einen Einfall, der in eine ganz andere Richtung geht. Am nächsten Morgen heuert er 30 Männer an, stark und angriffslustig. Mit der 30 beginnt die Bewegung; es ist als Buchstabe die lamed, der Ochsenstachel, der das Tier in Bewegung bringt. Und er spricht, frech und ohne Autorisierung, im Namen des Königs zum Volk. Ab sofort muss für jeden Toten eine Gebühr von 200 Silberlingen (kesef) gezahlt werden. Mizrajim kennt zwar den Tribut der Lebenden an den König – alles Lebendige wird für den König geopfert –, für das Leben muss bezahlt werden, doch einen Preis für die Toten kannte man noch nicht.

Der Tod zählt mit

Die Weisheit Rakions, mit der er mizrajim etwas Neues gibt, besteht in der Einführung der Tatsache, dass auch der Tod mitzählt. Abraham zahlt Ephron, dem Chitti, die 400 (Schekel Silber). Rakion verlangt die Hälfte für einen Toten. Es handelt sich hier jedoch nicht um die doppelte Höhle machpela (machpela bedeutet „doppelt“), sondern um die einfache, wie es sich auch in den beiden Zahlen 400 und 200 ausdrückt. Für mizrajim bleibt die andere Hälfte verborgen. Mizrajim ist die Welt der Gegensätze; des Offenbaren und des Verborgenen, aber nicht als harmonische Einheit, sondern als unauflösbarer Gegensatz. Da mizrajim nun auch den Preis für die Toten zahlen muss, besagt dies, dass der Tod eine Bedeutung erhalten hat. Was Rakion mizrajim bringt, was seine Weisheit tatsächlich impliziert, ist die Tatsache, dass der Tod einen Sinn bekommt, dass er Anteil am Leben erhält. Es gibt eine Verbindung zwischen diesem Leben und dem Tod. Der Tod nimmt Gestalt an, zählt, ist nicht länger ein Vergehen. Das ist seine Weisheit und damit gibt er mizrajim einen neuen Aspekt.

Es naht sich der Tag, an dem der König vor dem Volk erscheint, weshalb es in mizrajim zu großer Bewegung kommt. Die Ruhe des Alltags weicht der Unruhe. Große Ereignisse, im Kleinen wie im Großen, kündigen sich oft durch Unruhe, durch Hyperaktivität an, die nicht näher bestimmbar ist, weil es Verbindungen in Bereiche gibt, zu denen der Mensch keinen Zugang hat, aber diese Bereiche drücken sich im Leben des Menschen aus.
Rakion hatte durch seine Taten große Reichtümer erworben. Derjenige, der dem Tod einen Sinn und einen Platz in dieser Welt gibt, kann alle Schätze dieser Welt sammeln. Es sind die Schätze, die bleiben, es sind die Früchte, die die Welt dann gibt, die jeder Tote hervorbringt. Nach 8 Monaten hat Rakion sein Ziel schon erreicht. Diese 8 steht als 2 den verbleibenden 4 Monaten, die die 1 repräsentieren, gegenüber (8:4 = 2:1). Mit der Erfüllung der 2 hat Rakion bereits alle Früchte eingesammelt. Beim Übergang in die 1, in der der Zyklus vollendet wird, ist er nicht arm und mittellos, sondern ein reicher Mann. Alle zahlen jetzt für das Leben und für den Tod. In diesem Zustand, am Ende des Zyklus, kommt die Begegnung mit dem König Aschwerosch.
Das Bezahlen beim Tod und vor dem Tod ist auch das Opfer, das man bereits in diesem Leben bringt, denn dieses Leben und das Leben nach dem Tod greifen ineinander und man kann dieses Leben hier nicht ohne diese Verbindung zum anderen leben. Rakions Reichtum entsteht, weil er diese Erkenntnis einführt. Sobald ein Mensch die Verbindung zwischen Tod und Leben erkennt, wird Rakion bezahlt. Er wird von der Seite im Menschen bezahlt, die durch ihn auf den Zusammenhang zwischen Tod und Leben aufmerksam gemacht wird. Auf andere Art formuliert könnte man sagen, dass von der vollen Aufmerksamkeit auf das äußere Leben, nun die Hälfte weggenommen wird, die der Tod erhält. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit dem Tod widmen, dann „bezahlen“ wir Rakion. Dieses Bezahlen wird para, 80+200+70, genannt, was sich direkt im Namen Pharao 80+200+70+5 ausdrückt. Das Kaufen und Verkaufen ist sein Wesen.
Abgesehen von bezahlen bedeutet para verderben, verwildern, besudeln, Unruhe bringen. Die Zeichen des Wortes zählen 350, also die 3½ in den Hundertern und als Athbasch zählt es 16, die oben schon einmal zum Ausdruck kam. Auch das Wort für Strafe, Katastrophe und Unglück, pur‘anuth 80+200+70+50+6+400, geht auf para zurück. Diese Zahlung und dieser König, der auf dieser Zahlung aufbaut, haben einen sehr starken Einfluss auf die Welt. Rakion legt den Tod als Last auf die Welt. Der Tod drückt durch Rakion auf das Leben, und dieser Druck hängt unmittelbar mit dem Thema „Bezahlung“ zusammen. Auch im historischen mizrajim (Ägypten) kommt der Druck und die Last des Todes zum Ausdruck. Darin sieht man das Wirken Rakions als Pharao. Ihm gegenüber steht Abraham, der als Ivri nichts für den Tod verlangt, aber selbst 400 an Ephron zahlt, wenn er die meorath ha-machpelah kauft (1. Mose 23). Durch die 400, die letztlich für „alles“ steht, verbindet Abraham den Tod mit dem Leben. Dieses Opfer ist ausschließlich für Gott, der der Herr über Tod und Leben ist. Der Ivri opfert weder für das eine noch für das andere separat, denn er sieht und erkennt die Einheit von allem, weshalb er alles an Gott und damit an den Ursprung bindet.

Hohes Denken und tiefes Fallen

Rakion ist eigentlich DER Pharao, der immer als König über die Welt von mizrajim regiert. Aschwerosch lässt sich nur an einem Tag im Jahr von den Lebenden bezahlen, aber Pharao fordert permanent, das ganze Jahr über, seinen Tribut von den Toten. Rakion wird wegen seines Reichtums geliebt, auch wenn dieser Reichtum dadurch kommt, dass gestorben werden muss. Aschwerosch reagiert zunächst ablehnend, doch als er Rakions Reichtum sieht, akzeptiert er ihn. Die Welt wird reich, weil der Tod einbezogen wird und mitzählt – das überzeugt Aschwerosch. Auf uns heute übertragen könnte man sagen, dass der Tod nicht mehr verdrängt, sondern gewinnbringend für das Denken und den daraus resultierenden Einsichten genutzt wird. Rakion ist schließlich ein Weiser, ein Philosoph. Seine Aufgabe ist es nicht, den Menschen zu Gott zu bringen, sondern seine Aufgabe ist es, den Tod in das Leben einzubeziehen. Genau genommen heißt das, den Gegensatz zwischen Leben und Tod erst richtig herzustellen. Der Tod wird zu einer Tatsache des Lebens. Deshalb sieht die Überlieferung in Rakion nicht nur den Philosophen, sondern auch den Magier und den Zauberer. Er gaukelt dem Menschen eine Welt vor, die jedoch nicht die Realität ist. Er zaubert diese Welt herbei, damit er selbst in ihr existieren und Macht über sie erlangen kann. Mizrajim ist deshalb auch der Platz der avodah zarah, des Götzendienstes, der sich dem Worte nach darin äußert, dass man dem äußeren Kreis, dem ser, dient, während man den Kern leugnet.

Der Hunger zwingt zum Aufbruch

In jenem Jahr gibt es eine schwere Hungersnot in Kanaan, wo Abraham lebt. Es bedeutet, dass es keine Botschaft vom Himmel gibt, dass der Mensch im Himmel nur etwas Hartes und Unerbittliches sieht, wofür es sich nicht lohnt, sich zu interessieren. Das sind die Umstände, weshalb Abraham nach mizrajim kommt, dorthin, wo die Weisheit Rakions, der nun Pharao ist, herrscht. Abraham aber kennt die Gesetze mizrajims. Er weiß, dass dort nur die Hülle, das Äußere, zählt und dass das Innere dem Tod geweiht ist. Das heißt, man wird dort gerne seine Frau (Hülle) nehmen, ihn aber töten wollen.
Die Welt Rakions ist eine Hülle ohne Inhalt, ein Schein ohne Sein, selbst beim Tod redet man nur von der Hülle, vom Körper und von den Leistungen des Verstorbenen und wie nützlich dieser doch gewesen war, aber von seinem Sehnen, seinen inneren Wünschen, den Bedürfnissen seiner Seele weiß man dort nichts und man interessiert sich auch nicht dafür. Rakion fordert nur 200, nur die Hälfte, weil die andere Seite für ihn nicht relevant ist.
Wenn Abraham und Sarah an den Fluss mizrajims kommen, ruhen sie eine gewisse Zeit. Dieser Fluss ist der Lebensspender für das Leben in mizrajim. Fortwährend strömt er in seiner Regelmäßigkeit, fast alles ist vorherseh- und berechenbar. Abraham läuft mit seiner Frau am Fluss mizrajims entlang und sieht sie, wie sie im Wasser dieses Flusses erscheint. Er erkennt, wie sie in der Zeit wahrgenommen werden wird, dass sie auf mizrajim eine große Anziehungskraft ausüben wird. Sie ist genau das, was mizrajim sucht und erwartet, im Gegensatz dazu wird der Kern, der in der Entsprechung für den Mann steht, abgelehnt. Aus diesem Grund soll Sarah nicht als Frau, sondern als Schwester Abrahams auftreten, also als Zweiheit. Wenn das Wesen nicht mit dem übereinstimmt, wie es erscheint, kann mizrajim gut damit umgehen. Schauspielen, „so tun als ob“, der Rummel um eine Person, also die ganze Bandbreite der Heuchelei, stehen dort hoch im Kurs. Auf einen Kern schließt man in mizrajim nur von der äußeren Wahrnehmung her kommend, aber niemals umgekehrt, also dass das Äußere vom Inneren her kommt und an dieses Innere gebunden ist.
Abraham steckt Sarah in eine tevah. So bringt er sie nach mizrajim. Aber die tevah wird dort geöffnet und sie bringen das Wunder ihres Inhalts, diese strahlende Erscheinung, vor den Pharao. Dieser will Sarah zu sich nehmen, aber es kommen Schläge über ihn. Er merkt, dass an der Erscheinung doch etwas Besonderes ist. Er weiß noch nicht, dass die Erscheinung, die durch den Ivri gebunden ist, etwas ganz Besonderes ist, etwas aus einer anderen Welt. Auch ist ihm unbekannt, dass diese Erscheinung, anders als die nicht durch den Ivri gebundene, einen ewigen, einen überirdischen Charakter hat. Dann wird er von Gott darauf hingewiesen, dass es eine Verbindung zwischen Sein und Schein gibt und dass man die innere Welt nicht ungestraft von der äußeren Welt trennen kann. Das ist die große Lektion für Rakion, der sein ganzes Weltbild auf das Äußere, auf den Schein, aufbaut und der eine getrennte, entgegengesetzte Dualität von Leben und Tod, von Sein und Schein kennt.

Und dann kommt Abrahams Auszug aus mizrajim. Der Pharao hat bemerkt, dass mit dem Ivri etwas ganz anderes vor sich geht. Er schickt ihn aus seiner Welt von mizrajim hinaus und schenkt ihm große Reichtümer. Mizrajims Eigentum geht in den Besitz des Ivri über, die Materie wird an das Jenseitige gebunden. Überdies gibt Pharao ihm noch seine Tochter Hagar mit. Er sagt ihr: „Es ist besser für dich, eine schiphchah, 300+80+8+5, eine untergeordnete Frau im Haus Abrahams zu sein, als eine große Persönlichkeit in meinem Haus zu sein.“ Das ist der Sinn von Abrahams Ankunft in mizrajim. Mizrajim trifft auf die Welt der Einheit. Und diese Begegnung bringt es mit sich, dass ein großer Teil von mizrajim mitgeht und befreit wird, weil es an das Ewige gebunden wird. Und Abraham nimmt aus dieser Begegnung Hagar mit, die später auch seine Frau wird.
Der Hunger in Kanaan lässt den Menschen nach mizrajim, in eine niedere Welt gehen, doch wozu geschieht das? Um die niedere Welt zu befreien – sehr viel aus ihr muss befreit werden, sogar die Tochter Pharaos, die später eine Rolle spielen wird, wird mitgenommen und aus ihrem Umfeld befreit. Das ist das Prinzip der ganzen Schöpfung an sich: Es ist ein Herabkommen um der Begegnung und um der Befreiung willen, denn ohne Begegnung kann keine Befreiung stattfinden.

Die Deutung basiert auf Aussagen Friedrich Weinrebs in dem Werk “bijbel en midrash”.

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Autor: Dieter Miunske