Saul als Menschenbild

Die Geschichte von Saul (eigentlich Scha‘ul) ist auch die Geschichte des Menschen. Sauls Verhältnis zum Rest des Volkes wird durch das Bild dargestellt, dass Saul einen Kopf größer war als die anderen, wobei im Text nichts von Kopf oder Haupt steht. In 1. Sam. 9:2 heißt es wörtlich „von seiner Schulter (aufwärts) an überragt er alles Volk“. Von oben nach unten gesehen beginnt mit der Schulter die Möglichkeit auf zweierlei Weise zu handeln; Links und Rechts können unabhängig voneinander agieren. Im gemeinsamen Handeln beider Seiten besteht jedoch auch die Möglichkeit des Begreifens von Größerem. Große Gegenstände können wir nur begreifen und anheben, wenn die Seiten, die sich gegenüberstehen, bei uns zu einer Einheit im Handeln werden.
Diese Einheit oberhalb der Schultern ist das Merkmal Sauls. Er stellt also die 1 gegenüber den anderen heraus, die ihm gegenüber nur seine 4 bedecken. So hat der Mensch gegenüber dem Rest der Welt die 1, während alles andere nur in der 4 präsent sein kann. Der aufrechte Mensch ist 1:4, also im Wesentlichen „ets pri ose pri“ (der Baum, der Frucht ist und Frucht macht), während die Welt nur „ets ose pri“ ist (der Baum, der Frucht macht, also nur das Werden aber nicht das Sein kennt). Die Welt, die Kraft, die in der Welt ist, sucht den Menschen. Der Mensch ist die Konsequenz des Höchsten, was die Materie erreichen kann. Er grenzt schon an das andere. Und in diesem Wunsch nach einem Mann, der die Welt beherrscht, offenbart sich die Unfähigkeit, selbst „1“ zu werden.

Der König steht dem Volk gegenüber, wie der Mensch dem Rest der Welt gegenübersteht. Der König ist der Kern des Volkes, der Mensch der Kern der Welt. Samuel warnt das Volk, dass der König es in Versuchung führen und ins Unglück stürzen würde. In ähnlicher Weise hat der Mensch den Untergang der Welt herbeigeführt. Doch so wie der König, wenn auch ein anderer, letztlich die Erlösung für das Volk bringt, ist es auch der Mensch, der Gesalbte, der letztlich, wenn auch in einem anderen Zustand, die Welt erlöst.
Die Wahl Sauls zum König entspricht der Erschaffung des Menschen. Saul traut sich nicht sich zu offenbaren, versteckt sich, so wie der Mensch bei jeder Konzeption immer wieder versucht, sich seiner Bestimmung zu entziehen. Es ist auch seltsam, dass ausgerechnet ein Mensch der König der Welt sein sollte. Man erwartete etwas ganz anderes. Zunächst will Saul nicht wahrhaben, dass er der Auserwählte ist, doch als er zum König gewählt wurde, kommt es zum Sinneswandel und er wollte das Königtum nicht mehr zurückgeben, nicht einmal dann, als es ihm schon genommen war. Das Gleiche gilt für den Menschen, der, wenn er einmal in diesem Leben ist, es auch nicht mehr loslassen will und so zum Verfolger des eigentlichen Königs wird – er verfolgt David, wie ein Saulus im NT den Sohn Davids verfolgt.
Die Salbung Sauls wird mit einem Krug durchgeführt (1. Sam. 10:1). Dieser Krug ist etwas, das zerbricht, ist aus Erde gemacht und Sauls Königtum ist nicht geblieben. Krug heißt auf Hebräisch pach, 80+20, es klingt identisch wie pach mit der cheth am Ende (80+8), und das ist das Schnauben, das wir auch bei Saulus in Apg. 9:1 finden:

Saulus aber, noch Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn schnaubend, ging zu dem Hohenpriester …

Der Krug bzw. das Krüglein hat die 1:4 Struktur wie der Mensch (pach, 80/20 > 4/1), der von Rachel, der Seite Josephs kommt (Saul stammt von Benjamin, Rachels Sohn). Die Leib-Seite des Messias wird gebrochen (1. Kor. 11:24) wie der Krug, auf dass aus einem Saulus ein Paulus werden kann. Als Menschen werden wir gebrochen, unsere Berechnungen gehen nicht auf, ganz anderes hatten wir erwartet. Weltsichten stürzen in sich zusammen, weil die Dinge sich drehen; aus dem vermeintlich wissenden Menschen könnte jemand werden, der sich selbst hingibt, weil das Leben ihn wahrhaft belehrt hat. Betrogen fühlt er sich wie Saul, er leidet, doch die Konfrontation mit der Harmonie Davids im Saitenspiel lässt ihn empfinden, dass es eine Stimmigkeit gibt, die der Verstand nicht konstruieren kann.

David stammt von Leah, von Juda, seine Salbung findet mit einem kerén (100+200+50), dem Horn eines Tieres statt, das heißt, mit der 3½ und diese Welt blieb. Die 3½ wurde also die Zahl, die die Zeit dieser Welt und auch die Zeit des Erscheinens von David bestimmt. Kerén hat die gleiche Struktur wir der Stein, evén, 1+2+50, wesentlich ist es die 1+2+5, die einerseits die Verbindung von Vater und Sohn aufzeigt, andererseits auch die 8 ergibt, die als Zahl direkt mit dem Öl zusammenhängt (schemen / schmonáh). Daraus sehen wir, dass das Entscheidende und Bleibende so gestaltet ist, dass das Äußere mit dem Inneren zusammengehörig ist und eine Einheit bildet.

(Basiert auf NL-Texten F. Weinrebs)