Es gibt eine Geschichte von zwei Mäusen, die an der Wurzel einer Pflanze nagen, während ein Reisender aus ihren Blüten den süßen Nektar saugt. Eine Maus ist schwarz und die andere ist weiß.
Diese Parabel erzählt von der Welt der Zweiheit, von Nacht und Tag. Die עכבר (Maus) lebt im Verborgenen und unbemerkt verrichtet sie ihr Werk, dessen Konsequenz im Sturz der Pflanze besteht, deren Nektar noch den Reisenden frohlocken ließ.
Die Zweiheit dieses Lebens ist damit beschäftigt, das in der Zeit Gewachsene und Erblühte vergehen zu lassen. Man weiß von der Vergänglichkeit der Dinge, und trotzdem saugt man ruhig weiter an den Blüten, die die Erde hervorbringt.
Also soll dein Tun gestaltet sein, dass du dennoch tust, obwohl die beiden Mäuse ohne Unterlass mit dem Nagen beschäftigt sind. Solange du etwas auf deiner Lebensreise findest, das dir Nektar gibt, gehe nicht vorüber und sage: Ach, das ist doch schon dem Untergang geweiht.
Niemand weiß, wie weit die Mäuse schon gekommen sind. Letztlich wird sowieso alles von einer ganz anderen Seite kontrolliert, der auch die Mäuse untertan sind. Die Pflanze gibt ihren Nektar, den wir genießen sollen und dürfen, ohne uns sorgenvoll darum zu kümmern, was als Nächstes passieren wird.
Wir sollten uns dessen bewusst sein, dass das Süße zum Aufsaugen gegeben ist, dass die Pflanze nur deshalb gewachsen ist, ungeachtet ihrer Vergänglichkeit. Verweigerst du die Süße des Vergänglichen, bleibt dir nur das Bittere, das dich selbst innerlich so zernagen wird, wie die Mäuse es mit der Wurzel im Dunkeln tun.
Niemand von uns braucht sich um das Ganze zu kümmern.
Der Reisende weiß, dass die Pflanze vergehen wird, aber das hält ihn doch nicht davon ab, ihr das Liebliche zu entlocken. Das Erscheinende vergeht, aber was es in seiner Stunde hervorgebracht hat, waren Momente, in denen das Unvergängliche durchgebrochen ist.
Im Tun, trotz des Wissens um die Vergänglichkeit, liegt der Schlüssel zum Verständnis zeitloser Zusammenhänge: Wir werden tun und dann verstehen (Ex. 24:7). Diskutieren und Philosophieren kann man endlos, aber dadurch öffnen sich keine tieferen Schichten. Die Handlung setzt in Bewegung, doch sei sie im Sinne eines Zurückgebens und nicht, um dadurch etwas zu erhalten.
Gott gibt und der Mensch gibt zurück, mehr ist es nicht, aber auch nicht weniger. Dieses Zurückgeben besteht manchmal schlicht darin, die sich bietenden Situationen zu nutzen, solange sie „blühen“.
Eine Maus enthält in der hebräischen Sprache auch die Zeichen des Wortes „jenseitig“. Als Anagramm kann man die Zeichen von achbor umstellen zu k’ever, das „wie jenseitig“ bedeutet.
Dass die Dinge hier in der Welt erscheinen und wieder vergehen, hat nichts mit einem biologischen Codex zu tun, sondern mit dem Ewigen, der sie hervorbringt und wieder verschwinden lässt, der sie gibt und wieder nimmt.
Das will die Parabel von den beiden Mäusen und dem Reisenden erzählen.