Einst kam ein Mann nach Hause zu seiner Familie und es dauerte nicht lange, da kam es zwischen ihm und seiner Frau zum Streit über – wie sich im Nachhinein herausstellte – Belanglosigkeiten. Der Mann wurde so wütend, dass er das Haus verließ und sich auf den Weg machte, um sich abzulenken und zu betäuben.
Plötzlich stellte sich ihm jemand in den Weg und fragte den Mann: „Na, weißt du, wer ich bin?“ „Nein, keine Ahnung, ist mir auch egal, lass’ mich einfach in Ruhe!“ „In Ruhe, du hast mich doch selbst gerufen!“
„Womit sollte ich dich gerufen haben?“, fragte der Mann.
„Deine harte Rede war es, die mich herbeirief. Ich bin die Finsternis über der Tiefe (תהום), die den Menschen beherrscht, wenn er finster dreinschaut. Andere nennen mich den Engel des Todes (מלאך המות) und fürwahr, ich bin es, denn drehe die Zeichen der Tiefe und du erhältst den Tod (המות). Fünf Stunden hast du noch, dann ist es Mitternacht, und dann werde ich zu dir kommen.“
Dem Mann fuhr die Angst in die Glieder; nein, so wollte er nicht aus der Welt scheiden. Er kehrte um, ging zu seinem Haus, versöhnte sich mit seiner Frau und kümmerte sich um seine Kinder. Sie sollten ihn alle in guter Erinnerung behalten. Er ordnete seine Angelegenheiten und unterwies die Frau wie jemand, der eine finale Übergabe vollzieht. Die Zeit lief davon, die Minuten vergingen wie Sekunden, aber er schaffte es rechtzeitig, eine liebevolle Stimmung herzustellen und in dieser das Haus zu verlassen. Kurz vor Mitternacht ging er in den Garten, setzte sich in der Kühle der Nacht auf eine Bank und schaute in den Himmel. Es war eine sternenklare Nacht, alles war so friedlich. Wie oft hatte er schon die Sterne gesehen, aber jetzt bekam alles eine solche Intensität, dass er das Leben förmlich in seinen Adern pulsieren spürte. Die Ferne schien auf einmal so nah und das Nahe rückte in die Ferne. Wie sich doch alles schlagartig relativiert, wenn man dem Tod ins Auge geschaut und von diesem einen Termin bekommen hat.
Nur noch wenige Minuten waren es bis zur angekündigten Zeit. Jeder Atemzug fühlte sich an, wie ein letzter Trank seiner Seele mit frischem Wasser. Da erschien der Engel und sah den Mann mit ernstem Blick an. „Ich bin bereit“, sagte der Mann. „Wofür?“, fragte der Engel des Todes.
„Du kannst mich jetzt mitnehmen, ich habe alles in Ordnung gebracht.“
“Von Mitnehmen war nicht die Rede, ich sagte nur, dass ich kommen werde. Und jetzt, da du alles in Ordnung gebracht hast, brauche ich nicht länger in deiner Nähe zu weilen. Das Dunkle hat dein Gesicht verlassen und so werde auch ich dich wieder verlassen. Wann ich dich holen werde, das verrate ich nicht, aber wisse, dass wenn du das Dunkle bei dir weilen lässt, ich auch stets in deiner Nähe bin, weshalb man sagt, dass finstere Menschen vom Hauch des Todes umgeben sind. Ich kann nicht anders, denn ich handle nur meinem Namen gemäß (החשך). Du aber kannst anders – heute Abend hast du es dir selbst bewiesen.”