Die Prüfung Abrahams mit seinem Sohn Isaak wird abgebrochen, als er dabei ist, den letzten finalen Akt durchzuführen. „A intenção conta!“, sagen die Portugiesen, wenn man gezeigt hat, dass man gewollt hat. Sogar wenn man gewollt hat zu wollen, zählt es, dass man zumindest die Intention hatte. Auf dem Berg Morijah kam das Stopp-Signal in dem Moment, als es für alle sichtbar gewesen wäre, dass Abraham bis zum Äußersten bereit war. Doch es gab keine Zeugen. Die größten Prüfungen finden an Orten statt, die für andere ohne Bedeutung sind. Das Bekunden einer Treue vor den Augen anderer ist den Pharisäern wichtig, einem Abraham ist es eher peinlich. Gerade so beweist er – wenn man so will – wem er sich gegenüber wähnt. Das Ergriffen-Sein Gottes lässt nicht lange auf sich warten:
Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht JHWH, weil du solches getan und deines einzigen Sohnes nicht verschont hast, will ich dich gewiss segnen und deinen Samen mächtig mehren, wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und dein Same soll die Tore seiner Feinde besitzen, und in deinem Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast!
1. Mose 22:16-18
Das klingt doch nach einer großen Verheißung! Und wie gestaltet sich dieser Segen im weiteren Verlauf ganz praktisch? Sarah, Abrahams Frau, stirbt! Abraham ist Witwer und Isaak ein mutterloser Waise. Was ist denn das für ein Segen? Ob Abraham sich das so vorgestellt hat? Hängt das Ereignis der Hingabe überhaupt mit dem Tod Sarahs zusammen? In der Bibel findet man keine direkten Hinweise. In der Überlieferung hingegen wird berichtet, dass während Abraham mit Isaak auf dem Berg war, der Satan, der mehrfach erfolglos versucht hat, Abraham an dieser Tat zu hindern, zu Sarah gegangen ist, um ihr den „wahren Charakter“ Abrahams mitzuteilen:
„Hallo Sarah, weißt du eigentlich, warum dein Abraham mit eurem einzigen Sohn weggegangen ist? Was, das weißt du nicht? Abraham ist seinem Gott derart verfallen, dass er diesem sogar euren eigenen Sohn darbringen will. Denk‘ mal nach, Sarah (!), es geht um euren einzigen Sohn, den ihr doch als Wunder von Gott geschenkt bekommen habt. Wie kann dieser Gott denn nun das Geschenk zurückfordern und dann noch auf diese Weise, dass Abraham es selbst durchführen soll? Gibt es da nicht auch andere Optionen wie Krankheit oder Unfall, aber warum denn so?“
Jetzt fällt Sarah genau wie Eva herein, indem sie dem Satan glaubt, und so – übermannt vom Nicht-Tragen-Können eines solch verheerenden Schicksals – stirbt sie auf der Stelle. Wörtlich steht in Pirkei DeRabbi Eliezer 32 „Ihre Seele floh aus ihr.“
Typisch ist hierbei wieder die Art, wie der Satan argumentiert. Er betont das Negative, die einseitige Sicht auf das Ereignis, was von außen betrachtet nicht gelogen war, es entsprach in der Tat nur den Fakten. Das Ende aber kannte er nicht und was die wirklichen Hintergründe waren, wusste er auch nicht.
Das Verweisen auf harte Fakten kann diese Konsequenzen haben, dass ein Mensch die Nachrichten, die nur eine Sicht zulassen, nicht mehr verkraftet. Alles, was auf der Welt geschieht, hat eine Gegenseite, einen „Athbasch“, nie ist eine Sache „nur so und nicht anders“. Das gilt auch umgekehrt. Die Frage ist die nach der Betonung.
Ein einfaches „Das glaube ich dir nicht!“, hätte Sarah gerettet, doch sie ließ das Negative ungeprüft und nicht hinterfragt ungebremst mit voller Wucht in sie hineinfahren, sodass für ihre Seele kein Raum mehr blieb. Ihre mangelnde Fähigkeit, diese Botschaft zu hinterfragen, hängt noch mit einem anderen Thema in ihrem Leben zusammen. In 1. Mose 16:5 ruft sie Gott zum Richter zwischen ihr und ihrem Mann auf, weil sie sich ungerecht behandelt fühlt. Die Kommentare hierzu sagen, dass wer Gott zum Richter über andere anruft, selbst zuerst gerichtet wird. Obwohl sie jünger als Abraham ist, stirbt sie vor ihm. Die Bibel bezeugt Sarahs Tod auf das Notwendigste begrenzt:
Und Sara starb in Kirjat-Arba, das ist Hebron, im Land Kanaan. Und Abraham kam, um Sara zu beklagen und sie zu beweinen.
1. Mose 23:2
Und dennoch erfahren wir etwas mehr, denn Hebron (eigentlich Chevron, 8+2+200+6+50) bedeutet „Verbindung“ und es wird gesagt, dass diese Erläuterung in diesem Vers nur deshalb gegeben ist, um darauf hinzuweisen, dass ihr Tod mit dem Ereignis auf dem Berg Morijah verbunden ist. Wer käme auf die Idee, solche Ereignisse, die an ganz unterschiedlichen Orten passieren, miteinander in Verbindung zu bringen?
Und worin liegt jetzt der Segen? Genau wie Abraham ganz ohne menschliche Zeugen die Prüfung auf dem Berg Morijah durchlebte, so ist er wieder ganz alleine, wenn er seine Frau nicht mehr lebend antrifft. Sein Handeln ist ein stilles und bescheidenes vor den Augen der Welt. Für bestandene Prüfungen lässt er sich nicht feiern und im Zustand größter Trauer bleibt er wieder für sich, um zu verarbeiten, was er durchlebt hat. Ob er es verstanden hat, erfahren wir nicht. Einige Verse weiter nach dem Begräbnis Sarahs lesen wir
Und Abraham war alt, hochbetagt, und JHWH hatte Abraham gesegnet in allem.
1. Mose 24:1
„In allem“ (ba-kol, 2+20+30) steht dort tatsächlich, aber Abraham sagt es nicht von sich aus. Unser Urteil über uns selbst, was ist es wert? Wir erleben Dinge, unglaubliche Dinge und Schicksale, und am Ende heißt es unabhängig von jeder menschlichen Meinung über ein Leben, das im Glauben und Vertrauen gelebt wurde: Dieser Mensch war in allem gesegnet! Das Urteil Gottes über unser Leben ist das einzige, das zählt!