Von der Bitterkeit zur Dankbarkeit

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Erst mit der Geburt ihres 4. Sohnes kommt es bei Leah zum Empfinden einer Dankbarkeit gegenüber Gott. Bis dahin wird sie vom Gefühl beherrscht, ungerecht behandelt zu werden. In einer solchen Stimmung ist jede Freude verhalten und oft von einem „aber“ begleitet.

Den 1. Sohn nennt sie Re’uven (von ראה = sehen), „weil HaSCHEM mein Elend angesehen hat;“
Den 2. Sohn nennt sie Schim’on (von שמע = hören), „weil HaSCHEM gehört hat, dass ich gehasst bin“
Der 3. Sohn wird nicht von ihr benannt. Mit Levi (von לוי = verbinden, begleiten, ausleihen), kündet sich ein Umbruch an, den sie nicht zu benennen imstande ist.
Mit dem 4. Sohn realisiert sie, dass es mehr als „glückliche Zufälle“ sind, die in ihr Leben „fallen“. Hier ihr Ausruf, wie er in den Übersetzungen zu lesen ist:
Dieses Mal will ich HaSchem danksagen!

Und was war beim 1. Mal und beim 2. Mal? Oder beim 3. Mal? War da keine Dankbarkeit, gab es keinen Grund zum Loben? Was macht den 4. Sohn so besonders, dass Leah plötzlich ihren Ausruf mit einem HaPA’AM (הפעם) einleitet?
Das HaPA’AM (Dieses Mal) wird in der Bibel zum ersten Mal von Adam verwendet, wenn er „der Mutter allen Lebens“ gegenübersteht. Aus dem Menschen wird eine ZELÁ (Rippe / Seite) entnommen und daraus „die Frau“ gebaut. Nachdem er unter den Tieren nicht eine Spezies gefunden hatte, die ihm entsprach, sagte er beim Anblick Evas: „Dieses Mal“, ah jetzt endlich!, das ist von mir, das sind meine Knochen, das ist mein Fleisch (Gen. 2:23). Genau so sagt Leah: „Ah jetzt ja, endlich erkenne ich es!“

Besonders ist für uns nur etwas, das mit uns selbst zu tun hat. Alles andere ist vielleicht interessant, aber im nächsten Augenblick haben wir es schon wieder vergessen. Wenn es uns aber trifft, be-trifft, dann hat uns etwas innerlich erreicht. Mediziner fragen ihre Patienten:
Und, hat das Medikament angeschlagen? Sprich: Haben sie eine Wirkung vernommen? Hat sich etwas verändert? Gibt es eine Änderung, die durch die Einnahme bewirkt wurde?

Wir Menschen reagieren auf Veränderungen. Texte und Videos im Internet, die positive Veränderungen für das eigene Leben versprechen oder zumindest in Aussicht stellen, gehören zu denen, die in hoher Zahl angeklickt werden.
Worte Gottes, die bei uns nicht anschlagen oder einschlagen, sind solche, die auf menschlich konstruierte Weise zu uns kommen. Dann kommen sie VON einem Menschen. Worte, die bei uns einschlagen, kommen DURCH einen Menschen von woanders her.
Was bewirken solche Worte? Leah gibt uns die Antwort: Zu Beginn dreht sie sich um sich selbst, versinkt fast im Selbstmitleid und will unbedingt erfahren, dass Jakob sie liebt. Auf einmal, mit der Geburt des 4. Sohnes, schlägt etwas bei ihr um. Sie hört auf zu jammern und zu klagen und macht ihr Glück nicht mehr von anderen abhängig. Erst beim 4. Sohn gibt sie bei der Benennung keinen Grund mehr an. Sie dankt Gott ohne „weil“.

Die Freude, die mit der Geburt Jehudas aus Leah hervorbricht, wird auf dessen späteren Werdegang bezogen. Leah, so heißt es, sieht prophetisch, wie Jehuda mit seiner Schwiegertochter Tamar zu Fall kommt. Sie erkennt, dass er ebenso getäuscht wird, wie Jakob durch sie getäuscht wurde, weil sie sich als ihre Schwester ausgegeben hatte. Dass Tamar auf die Idee kommt, sich zu verkleiden und sich gegenüber Jehuda als leichte Dame auszugeben, wird mit Leas Verhalten gegenüber Jakob in Verbindung gebracht. Der Sohn handelt in dieser eigenartig anmutenden Geschichte das Vergehen der Mutter aus!
Doch als Jehuda mit seiner Tat konfrontiert wird, sagt er über Tamar: Sie ist gerechter als ich (Gen. 38:26). Jehuda steht zu seinen Taten und zeigt Einsicht. Er fällt, steigt aber durch sein Bekenntnis höher, als er vor dem Fall war. Darin liegt ein Geheimnis, das man nicht lehrend vermitteln kann. In der Geschichte des verlorenen Sohnes „fingen sie an, fröhlich zu sein“, als der Umgekehrte wieder zu Hause war (Luk. 15:24). Echte Reue zerknirscht den Menschen nicht endlos, sondern erhebt ihn in höhere Regionen. „Der Umgekehrte steht höher als der Hohepriester“, heißt es einmal. Leah sieht, dass durch Jehuda etwas in die Welt kommt, das mit Zurechtbringung und Mitgefühl zu tun hat, dass Barmherzigkeit über Recht steht. Ihr wurde klar, dass ihr diese Einsicht von höchster Stelle gegeben wurde.

Jehuda ist in der Bibel der Erste, der vor anderen einen Fehler eingestand. Er schämte sich nicht. Scham kann auch falsch motiviert sein, denn sie verhindert in einem solchen Fall die Reue. Nach Sotah 7 führt Jehudas Reue zu Rubens Reue. Wenn ein Mensch etwas wagt, das der Wahrheitsfindung dient, werden dadurch sofort Türen für andere aufgestoßen. Für den, der vorangeht, ist es am schwersten, hernach wird es immer leichter.
Jehudas Name unterscheidet sich nur durch einen Buchstaben vom unaussprechlichen Namen Gottes. Das JHWH (10+5+6+5) wird um eine Daleth ergänzt (JHWDH, 10+5+6+4+5). Die Daleth ist der 4. Buchstabe im hebr. Alphabet, so wie Jehuda der 4. Sohn Leahs ist. Verbinde den Namen Gottes, die „1“, mit deinem Leben in der „4“ und es wird dir leicht fallen, Fehler einzugestehen und Dankbarkeit wird ganz von selbst ohne „weil“ aus dir hervorkommen.
Menschen, die keine Fehler zugeben können, haben keine Gottesbeziehung, auch wenn sie eine solche behaupten. Für sie gilt nur das Prinzip von Lohn und Strafe, das sie auch auf sich selbst anwenden, wodurch sie ein latentes Gefühl des Nicht-Genügens empfinden. Dies bringt eine gereizte Stimmung mit einem chronischen Verurteilen der (aus ihrer Sicht) „bösen Welt“ mit sich.
Das Zugeben von Fehlern ist göttlichen Ursprungs. Jedes Mal, wenn ein Mensch echte Reue zeigt, blitzt etwas von der Freude Leahs bei ihm durch. Die ganze Thora lebt in und durch uns.

Als Leah dahin gelangt war, kommt ihr Gebären (wörtlich) „zum Stillstand“ (Gen. 29:35). Wenn uns etwas auf eine göttliche Weise berührt, wissen wir das in unserem Inneren. Wir wissen genau, dass es letztlich nicht ein Mensch oder ein bestimmter Umstand war, der uns grundlegend verändert hat – Leah geht nicht zu Jakob und ruft: „Oh danke, lieber Jakob, was bist du doch für ein großartiger Mann!“ Mit der Geburt Jehudas beginnt sie etwas von der Größe Gottes zu ahnen, was Rabeinu Bahya so zum Ausdruck bringt: „Sie hatte erkannt, dass Gott viel mehr für sie getan hat, als ihr zustehen würde und diese Anerkennung gab ihr ein tieferes Verständnis der mystischen Bande, die die irdische und die himmlische Welt zusammenhalten.

Eigentlich sollte jede der 4 Frauen 3 Kinder hervorbringen, deshalb war Leah mit einem Schlag klar, dass etwas Besonderes bei ihr vonstattenging, als ihr 4. Sohn geboren wurde. Das Danksagen (JADAH – ידה) bei Leah bedeutet auch „bekennen“ und „kontrollieren“ und zwar in dem Sinne, dass sie bekennt, wer die Kontrolle darüber hat, wer die Hand (JAD – יד) im Spiel hat, wenn etwas in ihr Leben kommt. Es ist eine Frau, deren Leben lange von Leid und Selbstverachtung geprägt war, durch die zum ersten Mal in der Bibel ein Dank an Gott zum Ausdruck kommt. Ein Schreiber einer Thora-Rolle hat bis dahin schon 11049 Wörter geschrieben. Mit dem 11050. Wort schreibt er eine Aleph, gefolgt von einer Waw, dann noch eine Daleth und eine He, zusammen ODEH (אודה) „Ich danke“. Moment, stutzt er, das hatten wir noch nicht und er wird es in den gesamten 5 Büchern Moses kein zweites Mal schreiben.

Danken scheint für den Menschen eine entsetzlich schwere Angelegenheit zu sein. Wie viele Menschen verharren in Verbitterung, fühlen sich ungerecht behandelt, vom Schicksal getreten und immerwährend klagen sie Gott an. Leahs innerer Umbruch kam durch das Realisieren, dass ihr mehr zuteilwurde, als sie aus ihrer Sicht „verdient“ hatte. Der Vergleich mit anderen kann sehr wohl auch eine heilende Wirkung haben. Wie vielen Menschen geht es im Moment schlechter als mir? Worin kann ich erkennen, dass es mir – wenn ich einmal in Ruhe darüber nachdenke – so viel besser geht als anderen? Solange man denkt, dass man diesen Zustand verdient hat, weil man sich in irgendeiner Form besser wähnt, schneidet man sich von jeder Gottesbeziehung ab, und düngt den Nährboden, der lauter Bitterkeit im Herzen wachsen lassen wird.

Jeder Moment ist ein HaPA’AM, ein „Dieses Mal!“ – weit weg ist man, sehr weit weg, wenn man denkt, dass einem dies und jenes zusteht. Lernen wir von Leah. Sie ist in der Bibel die HaGDOLAH, die Große (Gen. 29:16 – fast immer mit „die Ältere“ übersetzt). Rachel, ihre Schwester, ist HaK‘TANAH, die Kleine, der das Schicksal zunächst offenbar besser zuspielt, aber später wendet es sich ins Gegenteil. Benjamin, ihr 2. Sohn, wird von ihr zunächst Ben-Oni, Sohn meines Kummers, Schmerzes, „ach, es ist doch alles ungerecht!“, genannt. ONI bedeutet auch „meine Täuschung“, denn auch sie hatte dabei geholfen, Jakob zu täuschen. ONI stammt von AWEN, 1+6+50, dessen verborgener Wert 182 ist. Damit sagt sie im Stillen: Du Jakob, dir habe ich das alles zu verdanken! Wärst du doch nie in mein Leben gekommen! Jakob zählt 182 (10+70+100+2). Und sie gibt ihre Seele auf, während sie das sagt (Gen. 35:18). Es sind ihre letzten Worte. Jakob, bis ins Mark getroffen (es stirbt die Frau, die er so sehr geliebt hatte), gibt dem Namen eine neue Bedeutung, kehrt den Schmerz in Stärke um, indem er ihn Benjamin nennt.
Niemand sagte Leah, dass sie „die Große“ ist, es steht in der Bibel quasi nur als Überschrift über ihr Leben (Gen 29:16), wenn sie das erste Mal namentlich erwähnt wird, und vielleicht war es besser, dass sie es nicht wusste. Sonst wäre das erste und letzte „ich danke“ in den 5 Büchern Moses wohl kaum von ihr gesagt worden.