Was unsere Wünsche über uns selbst sagen

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Es ist offensichtlich, dass alles, was man sich wünscht, von der Natur desjenigen zeugt, der es sich wünscht, und dass jede Tat von der Natur desjenigen zeugt, der sie ausführt. Deshalb ist es für jeden verständigen Menschen angebracht, sich mit den erlesensten Tätigkeiten zu beschäftigen, dies sei ein Zeichen seiner Intelligenz. 
(Alter jüd. Kommentar)

Diese Tätigkeiten sind derart, dass der Mensch durch sie die Verbindung zwischen Zeitlichem und Ewigem herstellen kann. Mit der Schärfung des Verstandes steigert sich das Interesse an Details, welche auch als „enge Pforte“ dienen können, die den Weg zum Leben eröffnen. Das Leben formt das Unvergängliche im Vergänglichen aus, doch muss der Mensch selbst diesen Zugang, diese Pforte in dem, was ihm als vergänglich gegenübersteht, entdecken. Sie ist weder offensichtlich noch leicht zu finden, die Mehrheit geht darüber hinweg und ahnt noch nicht einmal, welche Wunder in den kleinsten Dingen darauf warten erkannt zu werden. 

Die Fragen an uns persönlich sind: Was erweckt unsere Aufmerksamkeit? Worauf reagieren wir? Was es auch sei, es hat mit dem zu tun, was uns beherrscht, was uns von innen her regiert. 

In 1. Mose 1:17 heißt es, dass die Lichter des Himmels geschaffen wurden, um „auf die Erde zu leuchten“ (al ha-arez). Es heißt nicht, „um den Himmel zu erleuchten“ oder „Lichter, die zum Himmel hin leuchten“, sondern die Erde und die darauf leben, sollen nicht im Dunkeln umherirren. Niemand soll ohne Orientierung sein. Alle sollen für sich die großen Zusammenhänge sehen und erkennen, so wie auch jeder Sehende am Tag sofort einen Überblick erhält, ohne auf das Licht eines anderen angewiesen zu sein. 

Gott braucht diese Lichter nicht, er schenkt sie uns. Die Welt wurde geschaffen, auf dass wir, die wir auf Erden leben, die Wunder Gottes sehen und uns dessen gewahr werden, dass wir niemals alleine sind. Diese Lichter, die uns zum kindlichen Staunen bringen, sollen herrschen. Im Kontext des 4. Schöpfungstages kommt das Wort maschal (40+300+30, herrschen) zum ersten Mal in der Bibel vor und das gleich dreimal. Der Tag soll vom „großen Licht“ beherrscht werden und die Nacht vom „kleinen Licht“. Lesen wir das Wort maschal in der Umkehrung, lautet es l’schem, also „zum Name“, und ein Name gibt auch Auskunft über die Qualität einer Beziehung zwischen dem Namensgeber und dem Namensträger. So wie wir etwas benennen, stehen wir dazu und es deutet darauf hin, ob für uns Licht auf eine Sache oder Angelegenheit fällt oder nicht. Maschal (herrschen) bedeutet im Hebräischen auch die Bestimmung des Charakters. Unsere Wünsche stehen damit ebenso in einem direkten Zusammenhang. 

Das Regiment des großen Lichtes bringt das Wachstum desjenigen hervor, das der Wärme und des Lichtes bedarf. Das kleine Licht herrscht über die kühlen flüssigen Elemente wie die Quellen des Wassers und das Meer. 

Maschal (40+300+30) ist auch im Wort für Intelligenz enthalten (maskil, 40+300+20+30). Auch im Wort „verbunden“ (m’schulav, 40+300+30+2) wohnen die 3 Zeichen mit dem Zahlenwert 370 (z.B. 2. Mose 26:17). Daran lässt sich erkennen, dass die eigentliche Intelligenz mit Erhellung, Wärme, Wachstum und dem Einfluss auf das Zeitliche zusammenhängt, und nichts mit einem gemessenen IQ zu tun haben muss.

Am 4. Schöpfungstag wird das Herrschen jedoch erst nach dem Leuchten genannt, weshalb gesagt wird: Das Licht beginnt zu herrschen, sobald es sich bewegt, was an der Scheidung zwischen Tag und Nacht erkannt wird (Vers 18). Weg, Licht und Beherrschung gehören somit zusammen. 

In der Negation zeigt das Unbeherrscht-Sein dunkle Seiten und dadurch fehlende Orientierung im Menschen. Ihnen fehlt die Kraft, die immer wieder teils durch Kleinigkeiten ausgelösten Aggressionen in ihnen zu beherrschen. Zum Teil verhalten sie sich beim Aufflammen dieser Emotionen wie wilde Tiere rein instinktiv, als ob ihr Verstand ad hoc in den Standby-Modus versetzt worden wäre. So wenig wie das Sonnenlicht hilft, wenn man in einem geschlossenen Raum ohne Fenster ist, so wenig hilft das göttliche Wort, wenn es keine Verbindung zu uns selbst bekommt. Es fehlt schlichtweg die Sicht auf das Ganze, welche eine Gelassenheit mit sich bringen würde.

Die Lichter des 4. Tages „setzt“ Gott an die rakia („Himmelsfeste“). Für „Setzen“ steht im Hebräischen nathan, 50+400+50, es ist das Geben und auch das Schenken. Es fügt sich alles harmonisch ineinander. Diese Gabe Gottes schenkt dem Menschen einen Überblick, den kein irdisches Licht geben kann. Menschliche „Beleuchtungen“ können situativ ein Umfeld erhellen wie eine Lampe, aber die Weite bleibt verborgen. Selbst wenn man das eigene Niveau erhöht oder denkt, ein solches innezuhaben, ist das in dieser Hinsicht nicht mehr als ein Aussichtsturm, von dem man in der Nacht einen Weitblick erwartet. 

Die „Sprüche Salomos“ heißen im Original mischleij schlomoh. Auch hier finden wir als Grundwort das mittlerweile bekannte maschal (wovon mischleij stammt). Es bedeutet auch Gleichnis und in den ersten Versen dieses Buches der Sprüche liest man bezeichnenderweise von Kenntnis, Verstand, Weisheit, Besonnenheit und Klugheit, die für jeden Menschen bereitliegen. Wer diese sucht, dem wird im letzten Vers in Spr. 1 gesagt (Vers 33 sinngemäß frei übersetzt): 

Wer mir sein Gehör zuwendet, wohnt sicher und ist gelassen, weil er sich außerhalb der Angst befindet, die durch das Böse hervorgebracht wird. 

Wenn sich der Mensch als Geschöpf von seinem Schöpfer emanzipiert und seine Ohren abwendet, werden die Lichter, die Gott dem Menschen zur Orientierung und Freude geschenkt hat, sich ebenso emanzipieren und aus der Balance geraten. Sie werden dann auf eine Weise herrschen, die die Bedingungen auf Erden verändern. Hitze, Trockenheit und Überschwemmungen finden sich im Außen, nachdem sie im Inneren aufgetreten sind. Die gottgewollte Intelligenz, die permanent bestrebt ist, lebendige Zusammenhänge zu erkennen, weicht einem trockenen Verstand, der nur noch zeitlich vergänglich argumentiert, und der den Menschen verachtet, indem er ihn auf ein instinktgesteuertes Naturwesen degradiert, das man beliebig manipulieren kann. Nichts erscheint in der Außenwelt, was nicht zuvor innerlich aufgekommen ist. Andererseits kann jeder bei und in sich selbst den Unterschied machen, und so wie die Lichter Tag und Nacht unterscheiden, so können wir uns fragen – um auf den Anfang des Textes zurückzukommen –, was wünschen wir uns wirklich und welcher Gestalt ist unser Handeln? Die Antwort darauf hängt mit unserem inneren Klima zusammen. Dieses lässt sich durch die persönliche Suche nach der engen Pforte und dem Eintritt ins Leben ändern (Matth. 7:14).
Allgemeine Bedingungen für das Leben sind das Vorhanden-Sein von Wärme, Sauerstoff, Wasser, Nahrung und Obdach, alles im rechten Maß natürlich. Sollte Gott nicht wissen, dass wir dessen bedürfen? Er schöpft ex nihilo, aus dem Nichts, nicht weil er bedürftig ist, sondern weil er schenken möchte, und wie sich ein Vater über sein Kind freut, das sein Leben annimmt und es nach bestem Wissen und Vermögen gestaltet, so freut sich Gott über jeden Menschen, der das Geschenk des Lebens annimmt und nach dem fragt, der alles um der Freude willen geschaffen hat (s. Ps. 104:31). 

Als Menschen sollten wir uns unterstützen, aber nicht soll jemand über einen anderen herrschen. „Wenn das der Fall ist, so ist der Mensch seiner Würde verlustig gegangen und hinabgesunken zum Tier. Fortan wird er vom Tier in sich selbst beherrscht“ (nach Raschi). So wie Gottes Wille das Schenken der Freude, das Erfreuen des Nächsten ist, so wird auch der Mensch im Bild und Gleichnis Gottes den gleichen Wunsch verspüren.