Wenn das Wort durch und durch geht

Als sie aber das hörten, drang es ihnen durchs Herz, (Apg. 2,37).

Hierbei geht es um die Rede des Petrus an Pfingsten. Für Durchdringen steht gr. katanysso (zusammengesetzt aus kata und nysso). Kata = herab, abwärts, nieder; nysso = stoßen, stechen. Das Nomen dazu ist der nyssa, der Prellstein, Wendestein, der bei Wagenrennen an einen Wendepunkt gesetzt wurde, um in die richtige Richtung zu leiten (notfalls durch Abprallen). Da dieser Wendepunkt mit »kata« weiter bestimmt wird, ist die Bedeutung quasi ein Pendant zum verlorenen Sohn, der auch genau dort seinen Wendepunkt findet, wo er »ganz unten« ist.
Eine solche Rede dringt bis zu einem Punkt tief in uns, wo es nicht mehr weitergeht, wo wir an einer Stelle berührt werden, die eine Handlung auslöst. Prompt entsteht die Frage (ebd.):

»Was sollen wir tun?«

Das so tönende Wort bewegt zum Handeln. Der Mensch realisiert: So kann es nicht weitergehen. Ich muss die Richtung ändern. Apg. 2,14 gibt im Grundtext einen Hinweis darauf, weshalb das Wort eine solche Kraft hat:

Petrus aber stand auf mit den Elfen, erhob seine Stimme und redete zu ihnen:

Auffällig in diesem Vers ist das selten verwendete Wort für reden, apophthengomai (ἀποφθέγγομαι), das nur 3x im NT vorkommt. In allen drei Fällen entsteht durch diese Art Reden etwas Außergewöhnliches. Das Wort ist aus apo (von, von etwas weg) und phthengomai (ertönen lassen, Laute von sich geben, reden) zusammengesetzt. Als Beispiel wird von Prof. H. Menge das Ertönen einer Trompete gegeben. Das hilft uns weiter. Die Trompete, die zu den Blechblasinstrumenten gehört, nimmt zusammen mit den Hörnern eine Sonderrolle unter den Musikinstrumenten ein. Bei Saiteninstrumenten bspw. erzeugt die schwingende Saite den Ton (der Mensch versetzt die Saiten zwar in Schwingung, generiert aber nicht den Ton an sich). Bei Holzblasinstrumenten (z.B. Oboe, Klarinette) schwingen Holzplättchen, bei Flöten wird der Luftstrom des Spielers vom Mündstück des Instruments gespalten und in Schwingung versetzt. Die letztgenannten Instrumente generieren also den Ton durch eine Aktivität von außen durch ihre Bauart selbst. Blechblasinstrumente – und dazu gehört vom Aspekt der Klangerzeugung auch das Schophar (Widderhorn), welches in der Bibel eine sehr wesentliche Rolle spielt –, sind reine Resonatoren. Der Spieler muss seine Lippen in Schwingung versetzen und an das Mundstück der Trompete halten. Die Trompete »beantwortet« diese Schwingung mit einer Klangverstärkung. Sie resoniert, ist in Resonanz mit ihrem Generator. Bauart und Material des Instruments haben großen Einfluss auf das Klangergebnis.
Das Nachvollziehen dieser Zusammenhänge ist für das Verständnis des griechischen apophthengomai von Bedeutung. Erstmals kommt das Wort in Apg. 2,4 vor:

Und sie wurden alle mit Heiligem Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen gab auszusprechen (eigentlich: auszutönen).

Die Folge:

Sie gerieten aber alle außer sich und waren in Verlegenheit und sagten einer zum anderen: Was mag dies wohl sein? Andere aber sagten spottend: Sie sind voll von süßem Wein. (Apg. 2,12-13)

Verlegenheit auf der einen Seite und Spott auf der anderen resultieren aus der Geistesfülle, die nach außen tönt.
Die zweite Bibelstelle ist die zu Beginn zitierte, die das Durchdringen des Herzens erwirkt. Zum dritten Mal finden wir das Wort apophthengomai bei Paulus, der angesichts seines »Tönens« von Festus für manisch gehalten wird (siehe Apg. 26,24-25). Die heutzutage in der Psychologie als affektive Störung bezeichnete Manie ist die Diagnose des römischen Statthalters Festus angesichts des »rasenden Paulus«. Übersetzt wird der Begriff Manie mit Besessenheit, Leidenschaft; krankhaft übersteigerte Neigung. Aus der Sicht eines Römers, der für das Gesetz und die Welt des kausalen Denkens steht, wirkt die durch den Geist inspirierte Rede wie »von Sinnen« bis hin zu »wahnsinnig«. Paulus erwidert hierauf (nach Schlachter):

Edelster Festus, ich bin nicht von Sinnen, sondern ich rede wahre und wohlüberlegte Worte!

Auch Paulus Rede (be-)trifft. Der zuhörende Agrippa sagt ihm:

Mit wenig (gr. oligo) überredest du mich, ein Christ zu werden.

Das dt. Überreden beschreibt, dass etwas über dem Reden ist; die Rede inhaltlich also nicht alleine maßgebend für die Konsequenz des Gehörten ist. Die Rede, das Tönen, geht in den zitierten Bibelstellen über das Konstruierte hinaus, durchbricht das Machbare. Hierin liegt das Besondere. Der Mensch, der Resonator des Geistes Gottes ist ( jeder mit seinem eigenen Klang! ), erhält von dort dieses unerklärliche Etwas, das »durch und durch« geht. Um den inneren Ursprung zu erreichen muss die Rede vom Ursprung aus kommen, sprich von dort generiert werden.
Die Verbindung zwischen Schophar und Bläser ist am Beginn des Horns, wo es am schmalsten ist; dort wo es begonnen hat am Haupt des Widders zu wachsen. An seinem Ursprung. An dieser Stelle ist das Horn immer noch das »kleine Kind«. Man könnte auch sagen: Dort wo du am bescheidensten bist, Kind bist, tritt Gott mit dir in Kontakt, gibt er seinen Odem in dich hinein und lässt dich tönen. Jedes Horn ist und tönt einmalig. In der von Gott dir zugedachten und von dir gelebten Einmaligkeit kann er durch dich den Klang hervorbringen, der auch andere bewegt, belebt und umkehren lässt. Auf die Frage: “Ja, wer ist schon so bescheiden?”, heißt es: Sei spontan, konstruiere nicht soviel, mach’ einfach – das ist das Kind. Es ist mutig, weil es nicht weiß bzw. noch nicht weiß. Doch zum Tönen braucht es ein gewachsenes Horn, also unsere ganze Erfahrung, unser ganzes (Er)Leben, unser ganzes Wissen, alles will und soll zum Klingen gebracht werden. Je länger das Horn, desto tiefer der Ton. Je tiefer der Ton, desto mehr Obertöne können vom »Spieler« erzeugt werden …

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Autor: Dieter Miunske