Siehe, ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen; so seid nun klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. (Matth. 10:16)
Eine Sendung in die Mitte als Schaf, das auf Griechisch keinen speziellen Namen hat, sondern nur „das Voran-Gehende“ heißt (probaton, von pro-baino). Es geht voraus. Unsere Eltern gingen uns voran. Doch wir sagen auch, dass jemand seiner Zeit voraus ist, wenn er bspw. Einsichten hat, die seine Zeitgenossen nicht nachvollziehen können, und wir sprechen dabei von der Zukunft. Schon im Deutschen meint somit ein zeitliches Vorausgehen Vergangenheit und Zukunft zugleich. Auf Hebräisch heißt vorausgehen kedem, (קדם) 100+4+40, ein Wort, das den Zahlenwert 144 hat, die als Erfüllung der Zeit gesehen wird, weil die 12 sich in allen Bereichen selbst begegnet ist (12 x 12). Mehr kann die Zeit nicht hervorbringen. Die 144 ist die Grenze. Diese wird durch die 13 durchbrochen.
Im NT ist Jesus der Dreizehnte, der die Zeit aufhebt, indem er stirbt. Daher stirbt auch das Lamm, weil nur so die Grenze bricht. Der Westen, insbesondere Amerika, benennt die 13 als Unglückszahl, weil der Westen auch das Äußerste der Zeit, das Ende der Zeit, das Ende des Weges bezeichnet. Dort, und natürlich in erster Linie „im Westen“ jedes einzelnen Menschen, hat man Angst vor der Aufhebung der Zeit. Die 6 Schöpfungstage haben 144 Stunden (6 x 24), und am Ende des 6. Tages gibt es die große Konfrontation mit der Schlange, die auch im eingangs zitierten Vers vorkommt. Im NT ist am 6. Tag das Golgatha-Ereignis. Wieder steht ein Übergang von einer Welt in eine andere bevor. Joseph ist 144 Monate im Gefängnis Ägyptens. Auch in dieser Erzählung ist dann ein Ende erreicht. Jesus sitzt mit 12 Jahren in der Synagoge. Wenn bei ihm die 144 (Monate) voll sind, beginnt mit der 13 das Lehren. Innerhalb der 12 lehrt er nicht.
Es heißt, dass ein Mensch, solange er sich Raum und Zeit unterwirft, nichts weiter als leere Worte bildet. Die „Füllung“ kommt mit dem Durchbruch der Zeit von jenseits. Ein solcher Mensch wird die Bibel auf einer Ebene lesen, in welcher alles bei ihm selbst lebt. Er sucht es nicht mehr in der Zeit. Er sucht es bei sich selbst. Die 12 aber hat eine sehr wichtige Bedeutung, denn wir lesen in dem eben erwähnten Kontext in Lukas 2,40: „Das Kind aber wuchs und erstarkte, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade war auf ihm.“ Zum Wachsen und Stärker-Werden braucht es den ganzen Weg bis zur Vollendung der 12. Dass ein Mensch in die Zeit gesendet wird, ist weder Zufall noch Unfall, sondern hat einen konkreten Grund.
Judas Iskariot, der 12. Jünger
Es ist von der „Sendung der 12“ als Schafe in das Zentrum der Wölfe die Rede. In dem Kontext des Zitierten sehen wir, dass die 12 gesendet wird, und diese 12 wird „Schafe“ genannt. Der Letztgenannte der „Schafe“ in allen drei Evangelien, die die Namen der 12 Jünger aufzählen, ist immer Judas, der Iskarioth. In der 12-heit der Söhne Jakobs ist es Benjamin, der an letzter Stelle steht. Man nennt ihn „den Jüngsten“, was im Hebräischen identisch ist mit „der Kleinste“ (הקטן). In 1. Mose 49,27 lautet es: Benjamin ist ein Wolf, der zerreißt; am Morgen verzehrt er Raub, und am Abend verteilt er Beute.
Der Jüngste, der Kleinste zerreißt als Wolf das Schaf. Auch der 12. Jünger im NT trägt in seinem Zunamen Iskarioth die Eigenschaft des Zerreißens. Judas Iskarioth wird stets mit der Bezeichnung Iskarioth benannt, ein Wort, das direkt aus dem Hebräischen kommt und dort isch karioth / krioth lautet. Das ist der Mann (איש) der Risse (hebr. kera ist reißen, – Weinreb liest krioth als Plural von Riss). Dieser Judas wird dann selbst entzweigerissen (Apg. 1:18). Durch seinen Verrat wird das Lamm zerrissen, “geopfert”, nähergebracht. Der Tempel steht in Jerusalem. Diese Stadt befindet sich geografisch im Gebiet Benjamin, dem Wolf. Im Tempel wird das Schaf (Lamm) getötet und nur so wird der Zugang zum Innersten frei. Der Tempel ist Gottes Wohnen in der Welt. Gott wohnt dort, wovon es heißt: Hier werden deine Grundlage, deine Existenz, deine Erfahrungen, deine Weltanschauung zerrissen. Anders findet kein Näherkommen (korban) ins Innerste des beth ha-mikdasch (Haus, das heilig ist) statt. Der Kohen (Priester) zerlegt das Tier und ordnet alles neu. Unser Leben kommt in eine neue Ordnung. Alles wird neu sortiert. Siehe, es ist alles neu geworden (2. Kor. 5:17).
Der Vollständigkeit folgt hier eine Ergänzung zu dem bekannten Vers in Matth. 7,15:
Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, innen aber sind sie reißende Wölfe.
Hier kommt das Wort des „Pseudo-Propheten“, wie er auf Griechisch heißt, das erste Mal im NT vor. Wir bekommen die Beschreibung seines Charakters in diesem Vers direkt mitgeliefert.
Ein Kleid aus Schaf-Wolle lässt sich anfertigen, ohne das Schaf töten zu müssen. Der erste Schafscherer in der Bibel ist Laban, der Weiße (hebr. laban, 30+2+50, bedeutet weiß). Laban ist der Vater von Leah und Rachel und gilt als größerer Aggressor als Pharao. Sein Ziel ist die vollständige Vernichtung der göttlichen Linie, die sich in Jakob / Israel (der Seele) ausdrückt. Beim Scheren wird das von der Quelle Gewachsene (Wolle vom Schaf) von der Quelle getrennt, ohne die Quelle selbst versiegen zu lassen. Solange das Schaf lebt, kommt neue Wolle nach der Art dieses Schafes. Wir sehen hier die Umkehrung der Verhältnisse aus Matth. 10, wo von den Schafen im Zentrum, im Innen, und den Wölfen im Außen die Rede ist.
Charakteristisch für die Verdrehung ist das Wesen des pseudo-prophetes, sprich des Lügenpropheten (griech. pseudo bedeutet Lüge und Täuschung), der in unserem Vers in der Mehrzahl genannt wird. Es gibt oft viele Argumente gegen den Weg des Vertrauens. „Falscher Prophet“ ist auch eine treffende Beschreibung der Schlange, die im Parallel-Vers, der von den Schafen und den Wölfen handelt, genannt wird (seid klug wie die Schlangen). Die Grundlage der Welt (Lamm) muss dann nicht zerrissen werden. Mit ein paar guten Tipps und Ratschlägen kann man es doch genauso weit bringen … Nein, die Grundlage der Welt, deiner Welt, muss zerrissen werden. Dazu ist der Wolf da. Ohne Tod keine Auferstehung, keine Überwindung der Gesetzmäßigkeit der Formen, keine Himmelfahrt.
Zerreißen bedeutet, zwischen zwei Seiten zu sein, die um das, was in der Mitte ist, kämpfen. Wir kennen das vom Raub. Ein Dieb kommt heimlich, es gibt keinen Kampf. Der Räuber dagegen agiert frech und nimmt, was ihm nicht gehört. Der Eigentümer hält das Seine von der einen Seite fest, während der Räuber von der anderen Seite reißt. Das Reißen ist der Zug des Diesseitigen, des Irdischen, des Schweren. In dieser Welt liegt etwas, das zwingt, das „es“ haben will, das wissen will. Der diesseitige Mensch will es festhalten, aber die Zeit raubt ihm alles. Und dieses Rauben ist auf einer anderen Ebene das Scheren. Aus der Wolle fertigt man die Kleidung, die in anderen Sprachen direkt mit rauben zusammenhängt (im Port. bspw. haben roupa [Kleidung] und roubar [rauben] die gleiche Wurzel). Im Dt. existiert noch die Verbindung Raub und Robe (… und wer hat die Robe an? …). Das Schermesser ist auf Hebräisch ein ta’or, 400+70+200, ein Wort, das von arah, 70+200+5, stammt und wegnehmen, bloß legen, nackt machen und ausgießen bedeutet. Rückwärts gelesen wird arah (ערה) zu ha-ra (הרע), also zu “das Böse”.
Der Zusammenhang ist offensichtlich. Das Nackt-Machen des Schafes dient in diesem Kontext dem Bekleiden des Menschen, der auf die List der Schlange hereinfällt. Das Wort für List, arum, 70+200+40, ist identisch mit dem Wort für nackt. Sobald der Mensch der Lüge glaubt, dass man die Geheimnisse des Jenseitigen zeitlich erklären könnte, ist er nackt. Es entsteht dann auch das Bedürfnis sich selbst zu „scheren“ (rasieren) oder gar nackt zu zeigen. An anderer Stelle wird die glatte Haut des Menschen mit der ebenfalls glatten Haut der Schlange gleichgesetzt.
Ist noch etwas von einer Gottesbeziehung vorhanden, entsteht die Scham. Das können wir bei Kindern während des Heranwachsens beobachten. Stirbt diese Beziehung ab, wird der Mensch schamlos. Im Lügenprophet ist die Beziehung korrumpiert, d.h., auf das Äußerliche reduziert und auf Verdienst aus. Die Wolle ist nur das Äußere des Schafes. Man nimmt, wovon man einen Nutzen hat. Genau das zeigt man. Man kleidet sich in das vom Schaf äußerlich Erkennbare. Man bekommt dadurch sogar den Geruch des Ewigen. Man übt sich äußerlich im Kleid von Demut und Bescheidenheit, ohne innerlich dieser Tugenden teilhaftig zu sein. Im Schafskleid propagiert man, dass alles gut sei, doch innerlich brodelt es. Man kommt nicht zur Ruhe.
Man kann vom Lamm äußerlich erzählen, weiß aber nichts von dessen Innerem. In der Konsequenz wird das Innere beim betreffenden Menschen selbst zerrissen. Wer nicht vertraut, hat den Wolf in sich selbst. Das Wesen des Lammes ist das Schweigen von innen heraus. Das Scheren lässt das Schweigen bestehen.
Die Welt der Wahrnehmung basiert auf einem geschlachteten Lamm, nicht auf Kraft, Macht, Schwere und Gewicht. Die Basis ist das Sich-Nicht-Behauptende. Etwas Schwaches, Sensibles trägt die gesamte Welt. Erlösung aber heißt, dass das Schweigen an einem bestimmten Punkt enden muss. Beim Übergang von einer Welt zur anderen spielt das Wort eine große Rolle. Die 12, Benjamin der Wolf, das Ende der Zeit, beendet das Schweigen. Rückwärts gelesen wird aus Wolf > flow, und genau das ist die Bedeutung des hebräischen Wortes für Wolf als Verb (se’ev, 7+1+2). Die Worte fangen an zu fließen, es kommt heraus und oft ist es nicht angenehm, was ausgesprochen werden muss, um Erlösung zu erleben.
Der Pseudo-Prophet beschwichtigt, redet schön und lässt das Lamm leben, damit es ihm Nutzen bringt. Der echte Prophet wird eher skeptisch sein und Dinge sagen, die unbequem sind, weil er den Tod nicht ausklammert, sondern einbezieht. Auch wird er nicht selbst etwas aus seinem Verstand konstruieren, sondern nur in Übereinstimmung mit den Worten vom Anfang erzählen. Dieser echte Prophet wohnt in uns und seine Stimme hängt mit unserer Stimmung zusammen. Das hebr. Verb navi, 50+2+1 (prophezeien) bedeutet “freies Fließen-Lassen aus einer Quelle, die ihre Wurzeln im Ewigen hat“. Es zeigt sich auch sehr deutlich in der freien Rede, die ad hoc aus uns selbst hervorkommt, wenn wir mit Begeisterung sprechen, gegenüber dem schriftlich Konstruierten, das evtl. nur vorgelesen wird. Leben ist jetzt und Begeisterung ist wie ein frischer Wind, der jetzt weht und etwas Neues bringt.
Der Wind von gestern setzt kein Segelboot in Bewegung. Ebenso wenig der angekündigte Wind von morgen.