Das Kommen nach Ägypten ist identisch mit dem Zusammenkommen von Joseph und Juda. Deshalb wird das Wort wajigasch (und er näherte sich) gebraucht.
Wir lesen davon in 1. Mo 44:18
Da trat Juda zu ihm (Joseph) und sprach: Bitte, mein Herr, lass doch deinen Knecht ein Wort reden zu den Ohren meines Herrn, und es entbrenne nicht dein Zorn gegen deinen Knecht, denn du bist wie der Pharao.
Dieser Vers beginnt mit dem Wort „wajigasch“, 6-10-3-300, übersetzt: „er tritt hinzu“ bzw. „er naht sich“. Das verwendete Verb lautet nagasch, 50-3-300. In anderer Reihenfolge wird daraus goschen (Gosen), das ist der Ort, wo Israel wohnt. Wenn der Ort zum ersten Mal in der Bibel erwähnt wird, finden wir ihn direkt zusammen mit einem weiteren Begriff für „näherkommen“, nämlich kerev, 100-200-2 (davon Korban, „Opfer“).
Und du sollst im Land Gosen wohnen und nahe (kerev) bei mir sein, (…).
1. Mose 45:10
Dieses Einswerden drückt sich auch in Hes. 37:19 aus, wo die beiden Hölzer von Juda und Ephraim einswerden. Ebenso findet es schon mit Beginn der Schöpfung statt, weil Gott mit herabsteigt. Die Geschichte von Ägypten ist die Erzählung der Schöpfung auf einer neuen Ebene. Gott lässt Jakob nicht alleine ziehen, sondern sagt, dass er selbst mitkommen wird:
Ich will mit dir nach Ägypten hinabziehen, und ich will dich auch gewiss heraufführen; und Joseph soll seine Hand auf deine Augen legen.
1. Mose 46:4
Bei der Schöpfung wird der Mensch auf diese Erde gebracht, ja er wird regelrecht heruntergelassen, doch Gott begleitet ihn. Dieses Herabkommen auf die Erde müsste man eigentlich als „sich vom Ziel entfernen“ deuten. Doch der Wortlaut ist: „Er tritt näher.“ (s. oben). Auch der Ort Goschen (Gosen) bedeutet „in der Nähe von“.
Das Auf-Die-Erde-Kommen ist nur dem Anschein nach ein Sich-Entfernen, in Wirklichkeit aber ist es ein Näher-Kommen, ja mehr noch: Es ist sogar das letzte Glied in der Kette auf dem Weg zurück, denn Malchuth (in den Sephiroth) hat eine direkte Verbindung zu Kether. Malchuth bedeutet Königreich und es will sagen, dass jetzt die Gewissheit besteht, dass die Krone kommt (Kether bedeutet Krone).
Wir könnten dann auch etwas erleben, das in der Kabbala »kether malchuth« genannt wird, die „Krone des Reiches“, in dem das Allererste mit dem Letzten verbunden ist: Der Kreis schließt sich. Kein Kreis im kausalen Sinn, sondern ein Kreis aus Erlebnissen, Überraschungen, Erwartungen, Freude und Leid. So hat es sein müssen, es hat einen Sinn, dass es so und nicht anders war.
Auf dieser Erde und mittels des Weges auf dieser Erde kommt man wieder zum Ursprung zurück. Weil aber der Mensch, seiner Wahrnehmung folgend, sich verlassen und einsam fühlen wird, geht Gott mit und lässt ihn nicht alleine. Unsere Sinne täuschen uns und gaukeln uns vor, dass wir sehr weit weg von unserem eigentlichen Zuhause sind, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist. Die letzte Phase auf dem Weg bedeutet jedoch in einer Form, d.h. in einem Körper gefangen zu sein.
Israel (die Seele) weiß, dass es von woanders kommt und woanders hingehen muss. Ägypten (der Körper) weiß hingegen nichts von einer jenseitigen Welt und hat deshalb Angst vor dem Unbekannten. Aus diesem Grund wird Joseph auch der Adam Kadmon genannt und er steht damit gewissermaßen für den Ur-Mensch, denn durch sein Kommen nach Ägypten beginnt die Geschichte der „2“. Er bereitet alles im Keim vor. Deshalb bittet Joseph auch darum, dass er als Keim aus Ägypten herausgenommen wird, weil gerade die „1“ in sich das Verlangen trägt, in einer anderen Welt sichtbar zu werden, wo sie auch sichtbar werden kann.
Im Ägypten, wie es im 1. Buch Mose geschildert wird, konnte Joseph noch ein sichtbarer König sein, aber im 2. Buch Mose ändert sich das. Dort ist Joseph vergessen und Israel unbekannt, verborgen, eigentlich abstoßend, beängstigend, weil jetzt Tod und Leben nicht mehr als Einheit, sondern als Gegensatz gesehen werden.
Wer nach Mizrajim kommt, kann und darf es nicht mehr verlassen. Das Sein in Mizrajim ist immer eine Gefangenschaft, ein Exil. Nehmen wir wieder Joseph als Beispiel. Trotzdem er dort zum König wird, gelingt es ihm nicht, zu seinem Vater nach Kanaan zurückzukehren, obwohl es einem Mann in dieser Position doch ein Leichtes sein müsste, eine Reise zu unternehmen und selbst wenn diese nur ein kurzer Besuch zur Aufklärung seines Vaters wäre um diesem mitzuteilen, dass es sich um ein großes Missverständnis handle und es ihm, seinem Sohn Joseph, gut ginge. Offenbar gibt es keinen Weg für ihn mit einer Ausnahme: Er muss warten, bis seine Brüder ihn aufsuchen. Für die Wiederzusammenführung mit seinem Vater ist er von seinen Brüdern abhängig.
Das vermeintliche Spiel, das Joseph dann mit seinen Brüdern treibt, ist keine Laune seinerseits, sondern die Einhaltung eines ägyptischen Gesetzes, das besagt, dass das, was zu Ägypten eingeht, nicht mehr daraus entkommen darf. In der Entsprechung bedeutet das, dass die Seele den Körper nicht eigenmächtig verlassen kann. Der Körper hält sie fest. Aus diesem Grund wurde Simeon zurückbehalten. Simeon ist im Hebräischen schim’on von sch’ma, 300-40-70, also „hören“. Das Hören ist gewissermaßen eine Art Pfand dafür, dass die Trennung zwischen Vater und Sohn aufgehoben wird.
Bei Jakobs Begräbnis gab es eine Ausnahme, die der speziellen Zustimmung des Pharaos bedurfte, die er nur aufgrund der Zusicherung der Rückkehr erteilte:
Mein Vater hat mich schwören lassen und gesagt: Siehe, ich sterbe; in meinem Grab, das ich mir im Land Kanaan gegraben habe, dort sollst du mich begraben. Und nun lass mich doch hinaufziehen, dass ich meinen Vater begrabe und zurückkomme.
1. Mose 50:5
Wenn man einmal nach Mizrajim, also in die Form hinabgestiegen ist, in den Körper gekommen ist, Fleisch geworden ist, ist das mit der Gefangenschaft verbundene Leiden unausweichlich. Tatsächlich aber kann Mizrajim ebenso wenig aus sich selbst heraus alleine leben, wie der Körper ohne Seele leben kann. Die Seele muss also herabsteigen, auf dass der Körper belebt wird. So ist Joseph, der aus der „1“ kommt, die Grundlage für den Fortbestand Ägyptens.
Alles, was sich in diesem Sinne später wiederholt, hat mit diesem Prinzip zu tun. Die Seele, die hierher in den Körper kommt, rettet den Körper, bringt ihm das Leben, gibt ihm das, was Joseph Ägypten gab. Das eine Mal, in der Israel tatsächlich Ägypten – vorübergehend – verlassen durfte, wie es bei der Wegführung Jakobs der Fall war, ist also eine wundersame Ausnahme, und auch das spiegelt sich im individuellen Leben wider.
Mit Jakobs Tod beginnt die erste Phase der Unterdrückung (Entwertung, Minderwertigkeit) in Ägypten, die nach Josephs Tod und dann mit Levis Tod usw. immer intensiver wird. Die Entwertung der Seele nimmt einen progressiven Verlauf, der sich beim Menschen u.a. in Form von Minderwertigkeitskomplexen zeigt. Je mehr der Mensch seine Seele vernachlässigt, desto minderwertiger fühlt er sich. Gleichzeitig werden Unruhe und Angst sein Leben bestimmen, was er mit Absicherungen jeder Art auszugleichen sucht. In die Mauern, die er um sich errichtet, mauert er die Seele ein, wie es alte Geschichten aus Ägypten von den Kindern Israel erzählen, die während ihrer Knechtschaft in Ägypten in die ägyptischen Häuser, in den ägyptischen Lehm eingemauert wurden.
Diese Geschichte zeigt in keuschem Kleide, dass die Ereignisse auf verschiedenen Ebenen einer Synchronizität unterliegen. Und so schmerzhaft, wie es für einen Menschen wäre, in eine Wand, in ein Haus eingemauert zu werden, so ist es für die Seele, in den Körper eingemauert zu werden. Und der Körper wird die Seele nicht von sich aus freilassen, das ist das Gesetz der Natur. Vom Augenblick der Schöpfung an ist es ein Naturgesetz, dass der Körper, also auch Mizrajim, alles festhält, was in ihn hineinkommt. So verhält es sich mit dem Essen im Wesentlichen, ebenso in der Pflanzen- und Tierwelt, ja sogar beim Atmen – immer wird etwas zurückbehalten. Der starke Drang etwas gefangen nehmen zu wollen liegt darin, weil der Körper weiß, dass das Gefangene ihn erlösen wird. Es zeigt sich wieder auf allen Ebenen. Menschen und Gruppierungen, die an sich binden wollen und klammern, drücken damit aus, dass sie erlöst werden möchten. Der Freie lässt frei, der Gebundene bindet.
Israel kam nach Ägypten, um schewer, 300-2-200, zu kaufen (1. Mose 41:57). Das Wort kann mit „Getreide“ übersetzt werden, doch schewer bedeutet in erster Linie „Bruch“ und als Verb: zerbrechen, zertrümmern, zerschmettern.
Sie kamen, um das Gebrochene, die Vielheit zu holen, doch dazu mussten sie selbst gebrochen werden. Die 2 entsteht aus der Teilung der 1. Auch das gesprochene Wort ist ein Bruch. Das Brechen des Schweigens offenbart im Gehörten die Herkunft des Gesagten.
In anderer Reihenfolge gelesen ergibt schewer, 300-2-200, bassar, 2-300-200, Fleisch. Als bissér gelesen, bedeutet das gleiche Wort „verkünden“. Wenn das Wort Fleisch wird, dann um die Vielheit wieder zur Einheit zurückzubringen. Der Preis: Selbst Vielheit werden, denn schewer bedeutet auch „kaufen“.
Einheit wird mit der „1“ dargestellt und Vielheit mit der „70“. Die Verbindung beider Werte ergibt die 71, die Zahl für das Wort Jonah, 10-6-50-5, Taube. Man könnte jetzt ahnen, was es mit dem „Zeichen des Jonah“ auf sich hat.
Der Inhalt basiert auf verschiedenen Texten Friedrich Weinrebs in Deutscher und Niederländischer Sprache.